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Illustration: Mel Loebel

„Frauen studieren nicht, Frauen malen aus und unterstreichen bunt“. So lautet der Name einer äußerst populären Gruppe in der Online-Community für Studenten StudiVZ. Die 46.169 Mitglieder nehmen diese Aussage hoffentlich nicht ganz ernst, denn bis die Ansicht, dass das „schöne Geschlecht“ sich lieber mit Haushalt und Kaffeekranz beschäftigen sollte statt mit Chemie und Mathematik, verworfen werden konnte, war es ein langer Weg.

Vor 100 Jahren wurde an der Technischen Hochschule Darmstadt (der heutigen Technischen Universität) und an der Landesuniversität Gießen die Grundlage für gleiche Bildungschancen der Geschlechter im damaligen Großherzogtum Hessen geschaffen: Frauen wurden zum Studium zugelassen. Ein guter Anlass, um die letzten 100 Jahre Frauenstudium noch einmal Revue passieren zu lassen und in die Zukunft zu schauen.

Dies geschieht mit einer abwechslungsreichen Veranstaltungsreihe und der Ausstellung „100 Jahre Frauenstudium an der TU Darmstadt“ im neuen Foyer am Karolinenplatz. Die Entwicklung von der ersten Studentin Franziska Braun, die sich im Oktober 1908 im Fach Architektur an der TH Darmstadt einschrieb, bis hin zu einem Drittel Frauenanteil an der TU Darmstadt heute wird mit alten Dokumenten, Zeugnissen und Ausschnitten aus den „Darmstädter Hochschulnachrichten“ belegt. Sie bieten außergewöhnliche Einblicke in die Realität von Studentinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus, nach dem Krieg, in den siebziger Jahren und der Gegenwart – und dokumentieren gleichzeitig ein großes Stück Geschichte der TU Darmstadt.

Illustration: Mel Loebel
Illustration: Mel Loebel

Der Reihe nach. Als zum Ende des 19. Jahrhunderts die Frauenbewegung ein immer stärker werdendes Interesse an akademischer Bildung zeigte, ängstigten sich Professoren nicht nur um das sittliche Wohl der männlichen Studenten, sogar die Zerstörung der Universitäten wurde prophezeit. Dass diese Vorhersage nicht eintreten sollte, zeigte sich schnell. Die ersten Studentinnen hatten es dennoch nicht leicht. Zur Einschreibung Franziska Brauns kündigten die Darmstädter Hochschulnachrichten zwar „den Beginn einer neuen Aera: die Eroberung der Technik durch die Frau“ an, die Anzahl der Studentinnen, die häufig aus dem Ausland kamen, blieb jedoch gering. Im Sommersemester 1915 waren gerade einmal sieben Frauen unter den 862 immatrikulierten Studenten. Die Gründe dafür waren vielfältig: Das Studium an einer Hochschule war damals im Vergleich zu dem an einer Universität nicht hoch angesehen. Der Aufwand des Studiums war sehr groß und lohnte sich oft nicht, da die Frau nach der Hochzeit ihren Beruf meist aufgab. Außerdem war die Unterkunft während des Studiums nicht gesichert: Es gab keine Wohnheime für Studentinnen und viele Bürger wollten sie nicht als Untermieterinnen aufnehmen. Sogar 1929 waren Männer laut der ersten Professorin an der TH Darmstadt, Ottilie Rady, noch besorgt, dass „die weiblichen Züge, die er am meisten schätzt – am meisten benötigt – bei den Frauen durch das Studium abgeschwächt oder gar vernichtet würden“.

Die große Veränderung, die sich auch in der Anzahl der Studentinnen niederschlug, kam erst in den 1970er Jahren. Die Abtreibungsdebatte und die „neue Frauenbewegung“ machten auf weibliche Belange aufmerksam und veränderten das Selbstverständnis der Frauen. 1976 wurde das Eherecht reformiert, so dass beide Ehepartner das Recht hatten, berufstätig zu sein. Auch die Hochschulreform von 1977 sollte die Gleichberechtigung voran bringen. Speziell in Darmstadt trug außerdem die Einführung der Magisterabschlüsse in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu einem Studentinnenanteil von immerhin 10,8 Prozent im Wintersemester 1974/75 bei.

Heute ist das Studium von Frauen zwar etabliert und akzeptiert und wird in Darmstadt seit 1994 von einer Frauenbeauftragten begleitet, in naturwissenschaftlichen und technischen Vorlesungen sitzen aber immer noch wenige junge Frauen. Um dies zu ändern und Abiturientinnen den Einstieg zu erleichtern, Studium und Karriere zu fördern, engagieren sich gleich zwei Organisationen an der TU Darmstadt: Femtec, ein Zusammenschluss verschiedener Unternehmen und das Mentorinnennetzwerk für Frauen in Naturwissenschaft und Technik. Die Buntstifte zum Unterstreichen können also getrost zuhause gelassen werde.

 

Weitere Informationen unter: www.100-jahre-frauenstudium.tu-darmstadt.de