Foto: Amnesty Darmstadt
Foto: Amnesty Darmstadt

Von Darmstadt und Bensheim aus operiert ein lokales Amnesty-Team mit knapp 60 Ehrenamtlichen an Fällen fernab vom Medien-Gezwitscher. Seit 45 Jahren. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass Amnesty International erst vor 52 Jahren in London entstand, um auf die Verletzung von Menschenrechten im Schatten der Weltpolitik hinzuweisen. Das Motto: „Es ist besser eine Kerze anzuzünden als sich über die Dunkelheit zu beklagen.“ Das P kam mit der Taschenlampe vorbei, um dies genauer zu beleuchten. Mit dabei: Die Amnesty- Bezirkssprecher Stefan Weisenseel und Eberhard Kutsmichel.

 

P: Herr Weisenseel, bitte vollenden Sie: „Fighting the bad guys since 1961“ [weltweiter Amnesty-Slogan, Anm. d. Red.] bedeutet für mich …

Stefan Weisenseel (SW): … zusammen mit anderen auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und Tätern und Opfern zu zeigen, dass Menschenrechtsverletzungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen und missbilligt werden.

Am Amnesty-Infostand (zum Beispiel am Luisenplatz) sollte jeder unbedingt vorbeikommen, weil …

SW: …man sich über unsere Arbeit und über konkrete Menschenrechtsverletzungen informieren kann, ohne beschwatzt oder bekehrt zu werden.

Herr Kutsmichel, welchen Amnesty-Fall beklagen Sie aktuell?

Eberhard Kutsmichel (EK): Das Schicksal von Nadeschda Tolokonnikowa [inhaftiertes Pussy-Riot-Mitglied, Anm. d. Red.], weil in ihrem Fall die unmenschliche Haft im russischen Straflager deutlich wird.

Wie lange gehören Sie der Amnesty-Gruppe in Darmstadt an?

EK: Seit 37 Jahren. Da war ich schon fertig mit dem Studium. Damals habe ich viel in der Zeitung gelesen und mich über die Weltentwicklung und die Diktaturen geärgert. In dieser Zeit ist in Lateinamerika ein Land nach dem anderen diktatorisch regiert worden. Man sitzt zu Hause und schimpft – aber man macht nichts! Eines Tages kam ein Ehepaar zu uns zu Besuch und meinte: „Wir gehen jetzt mal zu Amnesty.“ Und ich sagte: „Oh, da komm ich mit.“ Wobei ich gar nicht so genau wusste, was die so machen. Mir waren nur die kurzen Statements aus der Zeitung bekannt, wie „Amnesty prangert an…“.

Wie darf man sich die Arbeit in Ihren Anfangsjahren vorstellen?

EK: Wir waren fünf Leute in einem Haus in Darmstadt und haben „Urgent Actions“ geschrieben.

… die Eilaktionen…

EK: Genau, die sind heute noch ein Hauptbestandteil der Amnesty-Arbeit. Schließlich sind sie sehr effektiv, weil dann aus vielen Amnesty-Ländern zahllose Protestbriefe an einen Innenminister oder Staatsanwalt geschrieben werden. Die erhalten Wäschekörbe voll Post! So wird einem klar, was für Menschenrechtsverletzungen in der Welt begangen werden.

Wie groß ist der Bezirk Darmstadt?

SW: Wir sind der kleinste Bezirk in Deutschland. Zu unserem Bezirk zählen Darmstadt, Dieburg, der Odenwald und Bensheim.

Und doch wurde von Darmstadt aus Einiges angestoßen …

EK: Da ist zum Beispiel der Fall eines ermordeten Journalisten in Angola aus dem Jahr 1995, Ricardo De Mello. Man vermutet, dass die Regierung dahinter steckt. Er hat Bestechungsfälle aufgedeckt. Eine Darmstädter Gruppe hatte mit seiner Witwe, die nach Portugal flüchten konnte, sehr lange regen Kontakt. Die Gruppe konnte auch helfen, mehr Aufmerksamkeit für den Fall zu schaffen.

SW: Spaß machen vor allem solche Fälle, in denen man jemanden betreut hat, der dann auch freigelassen wird. Politische Häftlinge wie Mehmet Desde, ein türkischstämmiger deutscher Staatsbürger. Er ist 2002 bei der Einreise in die Türkei festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden. Auch ihn haben wir mithilfe von anderen Bezirken unterstützt. Nach sechs Jahren (!) kam er endlich frei. Während der Betreuung bestand ein direkter Draht zu ihm. Inzwischen ist er Amnesty-Mitglied und hat ein Buch über seine Folter-Erfahrungen geschrieben.

Auch Mehmet Desde kam zu Besuch nach Darmstadt?

SW: Er war im Schlosskeller, um wirklich bewegend von all dem zu erzählen. Er betonte dabei, wie sehr es geholfen hat, in der türkischen Haft mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben. Da merkt man: Ich sitze hier nicht allein, die Welt erfährt von meinem Schicksal.

Am 15. November 1968 wurde die Darmstädter Amnesty-Gruppe gegründet. Wo genau ist leider nicht überliefert. Wissen Sie mehr zum diesjährigen Festakt?

SW: Wir sind am 15. November im Literaturhaus, ab 19 Uhr. Alles wird noch nicht verraten, nur so viel: Eine kleine Performance wird geboten sowie eine Lesung mit Kurztexten unserer Amnesty-Mitglieder – jung wie alt.

Zum 45-jährigen Bestehen wünschen Sie dem Amnesty-Bezirk Darmstadt …?

SW: …weiterhin viele engagierte Mitglieder und tolle, erfolgreiche Aktionen.
EK: …dass seine Arbeit so bald wie möglich überflüssig wird!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Mitmachen!

Jeden ersten Donnerstag im Monat, um 20 Uhr: Amnesty-Infotreffen für Neueinsteiger im Bessunger Weinlokal Heiping (Hermannstraße 7).

www.amnesty-darmstadt.de
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