Fotos: Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion
Foto: Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion

Eröffnungsszene: Darmstadt ist seit 1. April Bühne für die Studentenkomödie „13 Semester“. Vor ein paar Tagen rief mich Sofie Scherz an, die Produktionsleiterin des Kinostreifens, der Anfang 2009 erscheinen wird. Ob ich am Freitagabend Zeit hätte, den Jugendherbergsgast zu spielen, der die beiden Erstsemester und Stadtneulinge Momo und Dirk etwas barsch zur Nachtruhe auffordert – quasi eine Edelkomparsenrolle mit Text. Na klar, sagte ich, und dachte mir, Freitagabend nach der Arbeit ans Set, meinen Satz sprechen, mit ein paar Leuten quatschen, Filmluft schnuppern und dann ein Bier trinken gehen. Cut.

Wir machen jetzt Mittagspause“, ertönt um kurz nach 21 Uhr eine Anweisung durch das Funkgerät von Jacek, dem ersten Aufnahmeleiter. Ich bin gerade am Drehort in der Gundolfstraße im Woogsviertel eingetroffen. Erst hat man mich in die Jägertorstraße geschickt, aber dort wird später nur der Außenschuss gedreht. „Die Drehgenehmigung für Innen wurde dort kurzum zurückgezogen“, weiß Gina. Die Mainzerin ist Produktionspraktikantin und erzählt mir beim Essen im Zelt, dass sie keine Lust mehr auf ihren Bürojob im F.A.Z.-Institut hatte. „Ich muss jetzt ins Motiv“, was so viel heißt wie: Gina geht ins mehrstöckige und von außen hell angestrahlte Haus in der Gundolfstraße 25, an dessen Klingelschildern zwar mehrfach der Familienname Wenzel steht, das aber für die nächsten Wochen die WG von Momo und Dirk sein wird. Cut.

Inzwischen ist das Zelt gerammelt voll. Die etwa 40-köpfige Crew ist gut gelaunt und freut sich übers Catering: Königsberger Klopse, Eier mit Senfsauce, Salat und Schokopudding. Sogar eine kleine Espressomaschine steht bereit. Ich schnacke mit Andrew, dem Regieassistenten, der gerne hätte, dass ich meiner Textpassage etwas Lokalkolorit verpasse, in etwa Fresse halde un Lischt ausmache!“- Cut.

Neben mir sitzt „Dirk“, gespielt von Robert Gwisdek, der seinen Filmfreund „Momo“ und Schauspielkollegen Max Riemelt (aktuell zu sehen in „Die Welle“) aufzieht: „Max isst lieber in seinem Wagen, nicht hier zusammen mit dem Fußvolk.“ Die beiden haben schon gemeinsam in „Lauf um Dein Leben“ vor der Kamera gestanden. Cut.

„Stock aus dem Arsch”

Ich versuche immer mal wieder herauszufinden, wann ich dran bin. Diese scheinbar einfache Frage trifft alle, die ich damit nerve, eiskalt als ob ich nach der Anzahl der Sonnenstunden in Grönland im Jahresmittel fragen würde. Cut.

Mittlerweile ist es 22 Uhr. Ich stehe abwartend, interessiert und gelangweilt zugleich im Regen. Da taucht Elch auf. Der 25-jährige Darmstädter ist „Fahrer“, seitdem er bei den Dreharbeiten am Schloss Jacek angesprochen hat, ob es noch Jobs gibt. „Ich bin heute schon zweimal nach Frankfurt gefahren, um Lichtkram und Technik zu holen.“ Elch bewegt einen der circa 15 Kleinbusse, die von Technik über Garderobe bis zum Catering all das transportieren, was man braucht, um Kino zu machen. Cut.

Ich stehe im Hauseingang mit Kostümbildnerin Sabine und ihrer Assistentin Ilka. Beide sind aus Hamburg. Wir finden heraus, dass auch Ilka mich vor ein paar Tagen angerufen hat. „Nicht zu grell, nicht zu knallig, nichts Gestreiftes, gedeckte Farben. Und eine Jogginghose, T-Shirt und Schlappen mitbringen“, lautete ihr Telefon-Briefing zu meinen Klamotten. Ich frage Sabine nach ihrem größten Dreh und sie schwärmt von James Bond – der, „der in Hamburg gespielt hat“. Der Titel fällt ihr nicht mehr ein, dafür aber Pierce Brosnan, der immer direkt vors Set gefahren wurde. „Der hatte vier Doubles und für Kletter- und Fahrszenen gab es unterschiedliche Regisseure.“ Außerdem war sie im Hotel „Vier Jahreszeiten“ supernobel untergebracht. Ganz so nobel sei es im Darmstädter „Prinz Heinrich“ nicht. Sabine muss aber sowieso noch heute Nacht nach Berlin aufbrechen. Mit dem Auto wohlgemerkt, denn „fliegen tun hier nur die Schauspieler“. Nach dem An-Dreh der Bettszene will sie sich auf den Weg machen. Am Set ist sie seit heute Mittag. Cut.

Es ist mittlerweile halb eins. Ich steh’ im ersten Stock in einem Zimmer mit zwei Hochbetten und einem Spind ein wahrer Jugendherbergsklassiker. Steffi bezieht die Betten. Sie kümmert sich vor und nach dem Dreh um die Requisite. In der Filmsprache nennt man das Außenrequisite. „Die Betten mussten gekauft und von unseren Bühnenbildnern zusammengeschraubt und gestrichen werden“, verrät sie mir, während ich in Jogginghose und T-Shirt samt Puschen auf meinen Einsatz warte. Ein Stockwerk weiter oben wird gerade noch eine Szene mit Momo und Dirk geschossen, in der beide mit ihren „Guitar Hero“-Klampfen vor der Playstation posen. „Stock aus dem Arsch“, ruft Dirk Momo zu. Cut.

Endlich. Momo und Dirk liegen unten, ich oben. Zumindest steht es so im Drehbuch. Während ich mir überlege, wie ich meinen Satz zum Besten gebe, stolpert Aufnahmeleiter Ingo rein. „Wir hängen tierisch hinten dran. Für den Außenschuss der Jugendherberge müssen wir heute noch das Gebäude in der Jägertorstraße 181 filmen. Die Jägertorstraße ist allerdings nur heute bis 03.30 Uhr für uns gesperrt. Das Haus hier haben wir auch noch nächste Woche.“ Cut.

Binnen weniger Minuten spricht sich herum, was Ingo schon angedeutet hat: Abbruch und Aufbruch. Die Bettszene wird nachgeholt. Die Filmcrew beginnt sich und die Hardware in Richtung Jägertorstraße zu bewegen. Während ich mich wieder umziehe, kommt Regisseur Frieder Wittich zu mir und entschuldigt sich: „Ich habe echt ein schlechtes Gewissen.“ Trotz des Timing-Problems ist er sehr happy. „Man ist immer nur so gut wie seine Leute. Man will Herz reinstecken und da und dort mal noch was ausleuchten. Und dann stehen da 40 Leute, die einen angucken und warten.“ Ich frage ihn, wann er weiß, dass eine Szene im Kasten ist. „Man weiß, wann es gut ist. Wir gucken uns dann tief in die Augen.“ Dann philosophiert er noch ein wenig über das Filmemachen und wie es ist mit Ideen, die reifen müssen und Zeit brauchen, damit sie richtig gut werden, und an deren Umsetzung viele Menschen beteiligt sind. Er kenne das von seinem Vater, der ist Architekt. Bei einem Artikel sei es ja auch nicht anders. Idee, Entwurf, Umsetzung und immer mal wieder ein Glas Rotwein zwischendurch, um zu erkennen, ob er schon richtig gut ist. In vino veritas! Cut.

01.30 Uhr. Ich schreite trotz unvollendeter Dinge gut gelaunt zu meinem Auto, feile gedanklich an meiner Reportage und freue mich auf ein längst überfälliges Bier. Draußen begegnet mir noch mal Elch, eingepackt in einen übergroßen Anorak mit Fellkapuze und Funkgerät, abfahrbereit für die Jägertorstraße. Gut, wenn man zwei Kleinbusse voller Klamotten dabei hat. Es ist kalt und regnet in Strömen. Produktionsfahrerin Antje aus Wiesbaden rollt die fünfzig Meter Kabel wieder ein, die sie zuvor ausgerollt hat, „danach muss ich eine rauchen gehen“. Cut.

Film ist ein knallharter Job. Ein Handwerk. Improvisation. Eine logistische Meisterleistung. Warterei mit netten und interessanten Menschen. Und vor allem Hingabe und Faszination für etwas, da erst auf der Leinwand seinen Zauber entfaltet. Abspann.

13Semester-4
Fotos: Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion