Foto: Christine Hartung
Foto: Christine Hartung

Neulich war in einer Tageszeitung das Ergebnis von irgendeiner Umfrage abgedruckt. Dabei ging es um Sachen, die so und soviel Prozent der Deutschen niemals tun. Und erstaunlicherweise war das Joggen ganz vorn: Zwei Drittel aller Deutschen joggen nämlich nicht. Gar nicht. Nie. Wer hätte das gedacht… Ich gehöre nicht zu diesen zwei Dritteln. Ich gehöre allerdings auch nicht zu denen, die mit dem Powerriegel in der Hand und mit Reflektorstreifen an den hautengen, nagelneuen Sportklamotten tagein, tagaus dutzende Kilometer abspulen. Nein, ich bin ein bekennender Gelegenheits­jogger. Ein bis zweimal die Woche eine Runde drehen, das langte mir bisher. Bis … ja, bis auf einmal die Gelegenheit kam, dem Rest der Welt zu zeigen, dass ein kleines bisschen Iron Man auch in mir steckt. Und diese Gelegenheit war … die 2008er Premiere des Darmstadt-Marathons am 6. September.

Mehr als 6.000 Läufer in der eigenen Stadt, dazu eine Strecke, die man in- und auswendig kennt, Dutzende anfeuernde Freunde und Bekannte am Wegesrand – wann wurde einem die Teilnahme an dieser Quälerei schon einmal so schmackhaft gemacht? Nun, mich jedenfalls hat dieses erhoffte Ambiente zumindest genügend motiviert, mal die Halbstrecke in Angriff zu nehmen. Den vollen Marathon hebe ich mir vorerst für die nahe Zukunft auf, dafür war diesmal die Trainingszeit zu kurz.

6 Wochen vor dem Lauf

Was muss man als blutiger Laie und Gelegenheitsläufer nun tun, um sich halbwegs seriös vorzubereiten? Ich jedenfalls, der ich mir noch nie Gedanken um Zeiten oder Geschwindigkeiten gemacht, sondern beim Laufen immer nur gedankenverloren in die Natur geguckt habe, bin gleich mal in den nächsten Laufshop gegangen und habe mir ein Zusatz-Feature für den iPod gekauft, das in der Lage ist, Geschwindigkeiten und Entfernungen zu messen und mit beruhigender Frauenstimme Zwischenzeiten durchgibt. Frustiert allerdings am Anfang ungemein.

3 Wochen vor dem Lauf

In der Kneipe erzähle ich von meinem Vorhaben. Ein Freund outet sich ebenfalls als Läufer und wirft gleich Fragen auf: „Wann und was isst und trinkst du? Gehst du vorher aufs Klo und wenn ja, wann und wie oft? Das sind alles entscheidende Fragen!“ Entscheidende Fragen, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe. Ich entscheide spontan, es dabei auch erstmal zu belassen… Hinzu kommen dann noch eine Fülle von Trainingstipps – von der Distanz, Frequenz und Geschwindigkeit der Trainingsläufe bis zum Puls ist offenbar alles wissenschaftlich exakt durchgerechnet. Man muss es eben nur in die Praxis umsetzen.

1 Woche vor dem Lauf

Ein marathongestählter Freund erzählt mir, dass man in der letzten Woche nicht mehr trainieren, sondern sich nur noch entspannen und ausruhen soll. Endlich mal ein Tipp, den ich sofort beherzigen kann!

1 Tag vor dem Lauf

Wie kommt es eigentlich, dass es in Darmstadt ausgerechnet an Wochenenden, an denen ich morgens um sieben fit sein muss, die meisten und besten Angebote gibt, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen? Voller Neid auf die Nicht-Läufer lege ich mich um halb Zwölf beleidigt ins Bett.

Der große Tag ist da!

Der ganze Bölle-Parkplatz scheint zu bersten vor lauter Sparkassen-Marathon-Läufern aus Buxtehude, Bremen, Dortmund und Nieder-eschingen. Ansonsten beherrschen Betriebssportgruppen oder Zahnarztpraxen-Staffeln (mein Favorit: „Die steilen Zähne aus Weiterstadt“) das Bild. Der Läufer an sich scheint also eher ein organisiert-geselliger Typ zu sein. Und nervös ist er auch: Selbst bei gut besuchten Lilien-Heimspielen schlagen sich nicht so viele Männer in die Büsche, um sich schnell noch mal zu erleichtern (was sich im Verlauf der Strecke noch das eine oder andere mal wiederholt).

Da ich keine Bestzeit angegeben habe (wie auch, bin ja noch nie die Strecke gelaufen…), stehe ich im letzten Startblock – und brauche deshalb schon mal vier Minuten, um überhaupt über die Startlinie zu kommen. Die ersten drei Kilometer ist an das Joggen, das man von menschenleeren Feldwegen gewohnt ist, nicht zu denken. Es ist eher ein Zickzack-Lauf vorbei an den ersten Seitenstechen-Selbstüberschätzungs-Opfern.

Die ersten zehn Kilometer laufen gut und es zeigt sich, dass das Ganz-Hinten-Starten einen psychologischen Vorteil bringt: Ich überhole mehr, als dass ich überholt werde. Ein Blick nach vorne auf der Landstraße nach Traisa zeigt aber: Da vorne rennen ja immer noch Tausende. Wenn man so vor sich hin trottet, gibt es – abgesehen davon, den paar versprengten Zuschauern tapfer zuzulächeln – nicht viel anderes zu tun, als sich auf die nächste Verpflegungsstation zu freuen.

Die Organisation ist (nicht nur hier) 1 A, es gibt lecker Cola, Isogetränke, Bananen, Äpfel – und ich bin überzeugt, wenn ich das Buffet lang genug untersucht hätte, hätte ich auch noch Gebäck und Kaffee gefunden. Fies wird es im Grunde erst auf dem Weg zur Spitzkehre am Oberfeld, denn da sehen wir, die wir uns auf dem Hinweg befinden, erstmals die Spitzengruppe, die schon auf dem Rückweg ist: Drahtige Kerle und Frauen, die noch deutlich frischer als wir wirken. Und was viel schlimmer ist: Die haben schon vier Kilometer hinter sich, die wir noch vor uns haben. Ab Kilometer 18 beginne ich innerlich, die Ganzstreckenläufer zu bemitleiden, die noch nicht mal die Hälfte hinter sich haben.

Diese Denkweise versüßt mir den Endspurt: Was sind schon drei Kilometer, wenn die anderen noch 24 laufen müssen? Mit dieser Einstellung lässt sich auch der letzte fiese Anstieg im Bessunger Forst überwinden, bevor es dann nach gut ein dreiviertel Stunden auf die Zielgerade im Hochschulstadion geht. Auch, wenn es wie ein Klischee klingt – obwohl es nur die halbe Strecke ist, bei deren Nennung die richtigen Läufer nur müde lächeln, stellen sich beim Einlauf ins Stadion die Nackenhaare auf.

Im Ziel angekommen …

… gibt’s sofort Finisher-Medaille und irgendwann auch ein T-Shirt. Zeit, den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Die längste Schlange ist nicht vor dem Stand mit den isotonischen Getränken, sondern – wie es sich für echte Sportler gehört – am Bierstand. Ich entscheide mich dafür, vernünftig zu sein und ein Radler zu trinken. Schließlich ist im nächsten Jahr wieder Darmstadt-Marathon, diesmal geht’s durch die Innenstadt. Und nach dem Lauf ist vor dem Lauf.