Foto: Antje Herden
Foto: Antje Herden

Man lebt in und mit seiner Stadt. Aber wie nimmt man sie wahr? Sieht man noch das leerstehende Haus, die vermüllte Brache, das Fleckchen Restnatur hinterm Zaun, die von Tauben verunzierten Denkmäler gestrenger Herren? Wollte oder dürfte man seine Stadt mit- oder neuplanen? Das Stadtraumfestival „stadt finden“ hat im Rahmen der Darmstädter Schwerpunktwoche des Architektursommers Rhein-Main Antworten gesucht.

„Meine persönliche Motivation liegt in dem Glauben begründet, dass nachhaltige Stadtentwicklung nur dann gut funktioniert, wenn sie nicht durch Planer allein getätigt wird“, sagt Oliver Langbein, Vorsitzender des Darmstädter Architektursommers. Darum beschritt er gemeinsam mit der renommierten Architektin Kerstin Schulz (Büro Liquid), fünf internationalen Künstlern und Akteuren sowie Darmstädter Architekturstudenten andere Wege er Kommunikation mit den Bürgern. Im Stadtraum wurde eine Juniwoche lang mit künstlerischen Interventionen irritiert, provoziert, zum Schmunzeln animiert und öffentlich diskutiert. Ich war dabei und begeistert. Ein persönlicher Rückblick.

 

The Big Crunch (Samstag, 18. Juni)

Foto: Antje Herden
Foto: Antje Herden

Wir sitzen nachts im warmen Regen, Hammerklopfen und Bohrgeräusche wetteifern mit einer Nachtigall. Hinter uns entstehen alternative Hütten aus Papprollen, Wasserkanistern oder rauen Brettern. Vor uns liegt die Weite des Georg-Büchner-Platzes, Pilze beleuchten eine riesige Welle. Und das alles hier bei uns und nicht in N.Y., Paris oder Tokyo. Der mehrfach ausgezeichnete Theatervorplatz spielt ja sowieso „große Welt“: Seine Dimensionen, die psychedelischen, als Pilze getarnten Tiefgaragenausgänge, die Wasserspiele – alles Dinge, die den Platz zu einem Lieblingsort der Darmstädter machen. Hier baut sich nun frech eine Welle aus 10.000 Stücken Zivilisationsmüll auf – „The Big Crunch“, die Raum-Klang-Installation vom Raumlabor (Berlin) und dem Sound-Designer Bruno Franceschini, zusammengeschraubt von Darmstädter Studenten. Es ist atemberaubend. Zwei Tage später werden wir im Inneren stehen, dem Knirschen und Ächzen der Klanginvasion lauschen, an der kleinen Bar ein Bier bestellen und eine alte Dame wird mir stolz ihren kaputten Gartenstuhl ganz oben zeigen.

 

Ahoi (Donnerstag, 23. Juni)

Am Himmel droht es dunkel. Trotzdem: zum Woog. Während einige Interessierte mit großen Objektiven drauf los halten, höre ich neben mir: „Und was passiert da jetzt?“ „Ha!“, will ich rufen, laute Musik wird einsetzen und aus jedem der 220 orangefarbenen Gummireifen, die auf dem Wasser schwimmen, werden Fontänen im Takt an den Wolkenrand spritzen, dazu werden funkelnde Lichter die Karpfen zum Tanzen bringen und dann entsteigen die Nixen dem Wasser. Manche stehen mitten drin – und merken es nicht. Andere laufen seit zehn Jahren gedankenlos am eingezäunten Stadtsee vorbei und heben erst jetzt wieder den Blick. Lassen ihn über das Wasser schweifen, sehen die magisch leuchtenden Reifen der poetischen Installation „Ahoi“ von Janser Castorina Architektur & Elisabeth Koller aus Graz – und diesen wunderschönen Flecken mitten im Heimatstädtchen.

 

Foto: Antje Herden
Foto: Antje Herden

Creatureama (Freitag, 24. Juni)

„Guck mal, hier ist ja noch was von Star Wars!“, ruft das kleine Mädchen und rennt zum Mülleimer im Carree auf dem eine kleine, seltsame Kreatur sitzt. Es ist nicht die einzige. Ein riesiges Raumgebilde erhebt sich über dem Eingang zur Tiefgarage. Und die TerrassenBar der Centralstation wird von einem überdimensionalen Wesen bewacht. Zuvor hatten wir schon drei Figuren auf dem Luisenplatz bewundert. „Soll ich das mal aufräumen?“, fragte der Müllmann in Orange und grinste. Er hatte verstanden. Die Creatures von Terreform One (New York) sind aus weißem Styroporverpackungsmüll gebaut, dessen Entsorgung einem nach dem Kauf eines Elektrogerätes Kopfzerbrechen bereitet – sie sind Zeugen unserer Energiebilanz und radikale Aufrufe zur Nachhaltigkeit in den Städten. „Nur die Kinder sehen das, die Erwachsenen laufen einfach daran vorbei“, staunt mein 10-Jähriger und hat (beinahe) Recht. Auch das ist ein Ergebnis dieser Woche: Allen kann man Sehen nicht beibringen. Manche brauchen vielleicht mehrere Anstöße.

www.asrm2011.de