Illustration: Rocky Beach Studio

Nach über 80 Jahren ist Mitte Februar das berühmteste Polizeirevier Darmstadts aus seiner Residenz im Schloss in die Bismarckstraße gezogen. Das P begleitete zum Abschied die beiden jungen Polizeikommissare (und P-Leser) David und Sebastian eine ganze Winternacht lang – und protokollierte eine  „typische“ Wochenend-Nachtschicht auf dem Schloss-revier. Von Kontrollen, Kuriosem und Kürzeln.

Das P-rotokoll:

18.00 Uhr Dienstbeginn auf dem 1. Polizeirevier. Die Polizeikommissare (PK) Sebastian und David führen mich ins Herz der Dienststelle: die Kaffeeküche (KK). Hand- und Pfotenshakes mit den „Kollegen“ sowie Diensthund „Blacky“.

18.26 Uhr Ich fühle mich fast schon wie ein richtiger Polizist, denn ich muss erst einmal Formulare ausfüllen. Aber „leider“ nur einfach und nicht vierfach, wie es richtige Beamte tun. Ich hafte für mich selbst und behalte selbstverständlich Polizeigeheimnisse für mich, wie zum Beispiel … ZENSIERT.

18.30 Uhr Sebastian führt mich durch das doch sehr „antiquierte“ Schlossrevier. „Ich freue mich auf ein neues, modernes Revier, das hoffentlich auch die nächsten 80 Jahre überlebt“, erzählt er mir während des Rundgangs. Ich nicke verständnisvoll.

18.36 Uhr Der Höhepunkt der Führung: Die Asservatenkammer! Betäubungsmittel (BtM), Falschgeld und Waffen erblicke ich nicht – nur einen sichergestellten Führerschein. Enttäuschung.

18.40 Uhr Erste Einbuchtung der Schicht! Ich setze mich probeweise in die zwei Quadratmeter große Präsenzzelle (PZ) aus Plexiglas. Sie versprüht beinahe den selben Charme wie die Plexiglas-Brücke am Schlossgraben – keinen!

18.41 Uhr Flucht aus der Präsenzzelle. Es erinnert mich zu sehr an Busfahren in der Rushhour: eine beengte, olfaktorische Herausforderung.

18.45 Uhr Ich bekomme Polizei-Ausrüstung ausgehändigt: Schutzweste, Mag-Lite, Funkgerät. Neidischer Blick auf Davids Waffe. Na ja, die (Schreib-)Feder ist mächtiger als das Schwert. Angeblich.

18.50 Uhr Sebastian zeigt mir ein paar Polizei-Programme am Computer. Wir berechnen Bremswege von Fahrzeugen. Ich werde ab sofort nur noch 30 Kilometer pro Stunde fahren – egal wo.

19.00 Uhr Wir werfen einen Blick in die Liste der aktuell abgeschleppten Autos. Sechs Fahrzeuge hat’s heute in Darmstadt erwischt. „Täglich rufen Fahrzeughalter panisch an und befürchten, dass ihr Wagen gestohlen wurde“, erzählt mir Sebastian.

19.03 Uhr Blick in die aktuelle Polizeistatistik: Im Schnitt werden in Darmstadt „nur“ zwei Autos pro Monat geklaut. Beruhigend, solange es nicht das eigene ist.

19.10 Uhr Der Dienstgruppenleiter (DGL) ruft zur Besprechung. Es beginnt ein taktisches Tauschen von Schichten. Die Beamten reden in Geheimsprache – ich bekomme vor lauter Abkürzungen einen Fimmel (AküFi) – und kaum was mit. Ob das auf mich abfärbt?

19.42 Uhr Schreie aus der KK. Im TV schlägt GER SWE bei der Handball-WM.

20.01 Uhr Erster Notruf: Schlägerei in der Elisabethenstraße. Wir flitzen durch die Fußgängerzone. Ich bin aufgeregt. Leider war eine andere Streife schneller vor Ort.

20.15 Uhr Zurück zum 1. Polizeirevier (Prev). Gemeinsames Pizza- und Pasta-Essen vorm Fernseher. Für meine TV-Vorschläge ernte ich lautes Gelächter aus der Runde. Was haben die „Kollegen“ denn gegen „K11“ oder „Die Autobahnpolizei“?

21.06 Uhr Anruf in der Einsatzzentrale (EZ) wegen eines „abgängigen“ Kindes. Das Kind soll schon den ganzen Tag im K-Bus durch die Gegend fahren und weigert sich auszusteigen. Ein anderes Team kümmert sich um das K-Bus-Kind.

21.45 Uhr Einsatz über 110: Verkehrsunfall im Martinsviertel. Ein Jeep rammte beim rückwärts Einparken mit seiner Anhängerkupplung einen anderen Wagen. Der ehrliche Fahrer verständigte die Polizei und wir ermitteln anhand des Kennzeichens den Geschädigten. Er wohnt gegenüber und die beiden regeln den Schaden unter sich. Es bleibt bei einer mündlichen Verwarnung für den Unfallverursacher. Sebastian und David kennen die Parkplatzproblematik im Martinsviertel.

22.05 Uhr Erste Fahrzeugkontrolle während der Fahrt. Wir überprüfen ein Darmstädter Kennzeichen vor uns: Kennzeichen und Halter sind „negativ“. Es liegt nichts gegen den Fahrer beziehungsweise zum Fahrzeug vor.

22.10 Uhr Wir fahren zum Polizeipräsidium am Böllenfalltor. Ich erhalte spontan eine „Audienz“ beim Polizeiführer vom Dienst (PvD). Er ist des Nächtens für ganz Südhessen verantwortlich und nimmt sich dennoch Zeit für mich.

22.17 Uhr Der PvD erklärt mir die Leitstelle. Es sieht aus wie an der Börse. Ein halbes Dutzend Beamte sitzen vor vier bis fünf Monitoren und nehmen die ganzen Notrufe per Headset entgegen. „Bisher ist es ein ruhiger Abend in Südhessen“, erzählt mir der Polizeiführer. „Aber normalerweise brennt’s an den Wochenenden. Und in Vollmondnächten ist sowieso mehr los“, sagt er mir zum Abschluss. Leider haben wir heute Halbmond.

22.44 Uhr Funkmeldung von einer Schlägerei beim Übergangswohnheim. Wir kommen trotz des Blaulichts schon wieder nur als zweite Streife an. So langsam wünsche ich mir eine Vollmondnacht.

23.02 Uhr Rückfahrt zum Schlossrevier. An der Kreuzung Frankfurter Straße / Pallaswiesenstraße hält uns eine Frau an. Ihre Begleitung wurde angeblich beklaut. Beim Überqueren der Straße wird die unvorsichtige Frau fast überfahren – Schock! Bei der Überprüfung der Personalien stellt sich heraus, dass beide ziemlich alkoholisiert sind und Widersprüchliches
erzählen. Sie sollen sich am nächsten Tag nüchtern auf dem Revier melden.

23.17 Uhr Streifenfahrt durch den Herrngarten und über den Lui: keine verdächtigen Wahrnehmungen (VWa).

23.30 Uhr Wir halten ein Fahrzeug in der Fußgängerzone an. Vier junge Twens sitzen aufgeregt drin. Ihre erste Polizeikontrolle – meine auch als Co-Kontrolleur. Der Fahrer stimmt einem Alkohol-Test zu: 0,0 Promille. Gut für ihn. Zum Abschied gibt es – als verkehrs-erzieherische Maßnahme – eine mündliche Verwarnung fürs Fahren in der Fußgängerzone.

23.36 Uhr Auf der Rückfahrt zum Revier passieren wir den Ratskeller. Pöbelnde Jugendliche ziehen gerade davon. Die Kellner erzählen uns von einer kleinen Keilerei und dem Hausverbot, welches sie den Unruhestiftern erteilt haben. Der Geschädigte verzichtet auf eine Anzeige. Keine Anzeige, keine Polizeiarbeit.

23.42 Uhr Uns kommt tatsächlich ein Auto auf dem Marktplatz entgegen. Der Marktplatz ist Fußgängerzone und der Fahrer „gewinnt“ durch seine Aktion eine Fahrzeugkontrolle. Er behauptet, sich angeblich „verfahren“ zu haben. Alkohol-Test ergibt 0,53 Promille. Ein weiterer Test nach fünf Minuten zeigt 0,49 Promille. Der Fahrer darf nicht weiter fahren. Sein Fahrzeug wird im Schloss ab- und der Schlüssel sichergestellt. Der Mann kommt mit einer Belehrung, aber ohne Auto davon.

24.00 Uhr Halbzeit: Wir kehren aufs Revier zurück. David verrät mir, dass er „das Flair vom Schlossrevier vermissen wird.“ Ich vermisse noch ein wenig „Action“.

0.31 Uhr Eine Ruhestörung bei einer Bar in der Innenstadt wird gemeldet. Wir fahren direkt vor das Lokal und bitten den Betreiber leiser zu machen. Drinnen tobt noch der Bär – draußen noch kein Bulle.

0.40 Uhr Streifenfahrt durch die Innenstadt. Wir halten einen Kleinwagen mit Darmstädter Kennzeichen wegen verdächtiger Fahrweise in der Pallaswiesenstraße an. Ein Darmstädter mittleren Alters stimmt dem Alkohol-Test zu: 1,05 Promille. Kritischer Bereich, denn ab 1,1 Promille ist die so genannte absolute Fahruntüchtigkeit erreicht. Das Auto des Betrunkenen wird von David ordentlich geparkt, der Mann auch – und zwar auf der Rückbank unseres Polizeiwagens.

1.05 Uhr Wir erreichen das 2. Polizeirevier für den gerichtlich verwertbaren Alkohol-Test am so genannten „Evidential“. Das ist ein brummender Kasten im Konsolen-Look der Achtziger Jahre. Der Betrunkene muss zweimal ins „Evidential“ blasen, danach spuckt das Gerät die entscheidene Notiz heraus: 1,08 Promille. Das ist haarscharf an einer strafrechtlichen Verfolgung vorbei. Suff gehabt!

1.47 Uhr Sebastian und David sitzen immer noch am Papierkram für die Trunkenheitsfahrt: die vierfach ausgefüllten Formulare. Ich arbeite währenddessen an der Bürokratie-Formel: pro 0,3 Promille zwei Durchschläge mehr zum Ausfüllen?

2.15 Uhr Zurück im Schlossrevier. Noch mehr Formularspaß für Sebastian und David. Die Feder ist nerviger als das Schwert, besonders mitten in der Nacht.

2.23 Uhr Notruf in der EZ: Eine Person will bei der „Krone“ von der Brücke auf die Straße springen. Wir hüpfen ins Auto. Kein „Springer“ zu sehen – auch nicht auf der Straße.

1.26 Uhr Notruf über Funk: Brand in Kranichstein.
Wir rasen mit Blaulicht zur Reviergrenze (Kranichstein gehört noch zum 1. Polizeirevier). Ein Fahrradanhänger wurde im Neubaugebiet angezündet und brennt lichter-loh. Die Polizisten löschen das Feuer. Die Befragung der Nachbarn ist ergebnislos: keine Täterbeschreibung.

2.33 Uhr „Wir gehen in die Fahndung ohne Täterbeschreibung“, sagt David und „fahren die Brennpunkte
in Kranichstein ab“. Wir entdecken drei junge Männer mit Tüten und einer Shisha, die angeblich in einem Schrebergarten gegrillt haben. Sebastian lässt sich
die Grillstelle zeigen, während David die Personalien der Männer überprüft. Die Geschichte ist plausibel,
damit scheiden sie als Brandstifter wohl aus.

2.55 Uhr Rückfahrt zur Wache. Auf der Kranich-steiner Straße stadteinwärts fährt ein Heppenheimer Mercedes auffällig, nämlich betont langsam. Fahrzeugkontrolle: Es ist ein älteres Ehepaar, das sich „nur“ verfahren hat. Wir bringen sie auf den rechten Weg Richtung A5. Jede Nacht eine gute Tat.

3.03 Uhr Kontrollfahrt um eine Großraumdisco herum. Wir biegen in die Seitenstraße ein und sehen, wie ein Fahrzeug falsch in eine Einbahnstraße hineinfährt und nach zehn Metern parkt. Verkehrskontrolle: Die Anliegerin hat 0,0 Promille und „nur ne Abkürzung genommen“. Sebastian und David kürzen den Vorgang auch ab – mit einer Verwarnung im Ordnungswidrigkeitsbereich (Owi).

3.25 Uhr Zurück auf der Wache: Noch mehr Papierkram für die beiden. Ich lasse mir von den anderen Beamten der Nachtschicht kuriose Polizeigeschichten aus vielen Jahren Schlossrevier erzählen (siehe Infobox). Die Realität ist besser als Fernsehen.

4.56 Uhr Sebastian und David sind „schon“ fertig mit ihrem Papierkram – und ich von den vielen amüsanten Anekdoten der Polizisten.

5.00 Uhr Letzte Streifenfahrt für diese Nacht. Zufällig kommen wir beim Nachtbäcker vorbei. Einsatzkommando (EK): Nougathörnchen! Keine Verdächtigen in der Backstube. Ich nehme nur ein suspektes Stückchen fest, äh mit.

5.21 Uhr Rückfahrt über den Cityring. In der Zeughausstraße erblicken wir einen jungen Mann AUF der Fußgängerampel sitzend. Aufgeschreckt von der Polizeisirene klettert er herunter. Sichtlich betrunken erklärt uns der österreichische Student – zu Besuch in Darmstadt – seine Aktion: „Ich komme aus den Bergen und klettere halt gerne“. Sebastian erteilt ihm schmunzelnd eine mündliche Verwarnung und „Artistik-Verbot“ für den restlichen Heimweg.

5.28 Uhr Funkmeldung: Ruhestörung in der Frank-furter Straße. Angeblich eine viel zu laute Party im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Jemand aus dem zweiten Stock hatte sich beschwert. Wir vernehmen keinen Lärm und den „Störungsmelder“. Sichtlich verwirrt erklärt uns der Mann, dass nun nichts zu hören sei. Eine unhörbare Ruhestörung.

5.50 Uhr Rückkehr zum Revier. Wir parken das Fahrzeug am Schlosskeller und hören noch Musik. David sagt: „Die Bässe des Schlosskellers zum Dienstende morgens um 6 Uhr waren Kult.“

6.00 Uhr Dienstschluss! Ich gebe übermüdet meine Ausrüstung ab. Zwölf Stunden P-olizeiarbeit sind vorbei. Jetzt ist Schicht im Schloss.

 

Polizeigeschichte: Der City-Taucher

Mitte der Siebziger alarmierte eine aufmerksame Bürgerin nachts um vier Uhr die Beamten des Schlossreviers. In der Einkaufspassage sei ein Schaufenster eingeschlagen worden. Der Dieb floh in Richtung des Weißen Turms. Als die Polizisten ihm entgegenkamen, nahm er – sehr merkwürdig laufend – Reißaus. Die Beamten hatten keine Probleme ihn einzuholen, denn mit seinen Flossen (!) und dem Taucheranzug kam er nicht weit. Die Erklärung des betrunkenen Diebes: Er sah den Taucheranzug im Schaufenster und wollte schon immer so ein Ding anprobieren.

Polizeigeschichte: Die Vergiftete

Eines Tages kam eine völlig aufgebrachte Dame mittleren Alters mit einem Korb voller Gemüse aufs Schlossrevier. Sie behauptete, dass ihr Gatte sie vergiften wollte. Die Beweise hätte sie dabei. Die verdutzten Beamten schauten fragend auf den Gemüsekorb. Die Dame packte Gurken und Tomaten auf den Tisch und „zwang“ die Polizisten die Lebensmittel unter einen Wasserhahn zu halten. „Sehen sie, wie komisch das Wasser abperlt. Da muss Gift drauf sein!“ Die Beamten sahen eine Gurke im Wasserstrahl.

P-olizeigeschichte: Der Zeuge

P-Leser Hannes verdankte seiner Mutter ein paar Stunden in der Präsenzzelle im Schlossrevier. Als er noch Teenager war, beobachtete er eines Nachts einen Verkehrsunfall und erzählte seiner Mutter davon. Die rief im Schlossrevier an und gab ihren Sohn als Zeugen an, ohne dass er davon wusste. Die Eltern fuhren kurz darauf in einen längeren Urlaub und die Vorladungen erreichten weder die Eltern noch Hannes. Der wurde dann eines morgens von der Polizei abgeholt und saß in der Plexiglas-Zelle bis zum Gerichtstermin ein. Und die Moral von der Geschicht‘: Vergiss Deine Zeugen-aussage nicht.

Polizeigeschichte: Der Verpeilte

P-Leser Tim* fuhr mit seinem Wagen zu einer Hausparty in Bessungen. Als ihn nachts der Hunger überkam, fuhr er betrunken zum Nachtbäcker. Er kehrte zur Party zurück, wo er auch übernachtete. Am Morgen danach wachte er mit Schrecken auf, denn sein Wagen war nicht mehr da. Er rief bei der Polizei an und die verneinten, dass sein Auto abgeschleppt wurde. Also erstatte er Anzeige. Zwei Tage später alarmierten Tims Freunde ihn, dass sein Auto in der Nähe des Nachtbäckers stand: schräg eingeparkt, mit halb offenem Fenster und nicht verschlossener Fahrertür. Der gute Tim hatte am Partyabend beim Nachtbäcker zwar die leckeren Stückchen mitgenommen, aber nicht seinen Wagen. Die Rücknahme seiner Anzeige bedurfte all’ seiner Kreativität.

Was passiert mit dem alten Schlossrevier?

Die Antwort des Dezernats V, Bau und Immobilien, der TU Darmstadt: „In die Räume der Polizei werden zunächst TU Wissenschaftler einziehen und ein Lernzentrum untergebracht werden. Neben der Polizei zieht aus dem Darmstädter Schloss im Jahr 2012 noch die  Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) aus. Für diese wird derzeit ein Neubau zwischen Mensa-Stadtmitte und dem Alten Hauptgebäude der TU an der Magdalenenstraße errichtet.  Nach dem Auszug werden die Räumlichkeiten im Schloss saniert. Der Fachbereich Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften, der bisher nur teilweise dort untergebracht ist, soll dann vollständig im Schloss sein Zuhause finden. Neu ins Schloss einziehen werden das Sprachenzentrum der TU und das Studienkolleg, das Patentinformationszentrum, das Europäische Dokumentationszentrum EDZ, das TU-Archiv, das Präsidium sowie das Deutsche Polen Institut. Das Schlossmuseum behält seine angestammten Räume.“