Autonom
Foto: Egon Alter

Über zwanzig junge und jung gebliebene Menschen treffen sich an einem schwülwarmen Abend und diskutieren sich die Köpfe heiß. Als dann auch noch Zeit für das Gespräch mit dem anwesenden Journalisten ist, begrüßt die Uhr schon fast den nächsten Tag.

Na klar, wir sind hier in der Oetinger Villa – auf dem voll besetzten Balkon, um ganz genau zu sein. Hier wird gerne diskutiert. Aber nicht um anstehende Konzerte geht es gerade, zumindest nicht in diesem Haus. Die Mitglieder der „Kampagne für ein Autonomes Zentrum“ gehen hier zwar ein und aus und treffen sich hier. Aber die bestehenden Möglichkeiten der selbst bestimmten Freizeitgestaltung sind nicht nur räumlich beschränkt.

Ein neues Haus soll her, mietfrei und zur freien Benutzung, so die einfache Forderung, mit der sich Ulrike und ihre Mitstreiter an die Stadt wenden: „Wir haben so viele Ideen, die einfach nicht umzusetzen sind, weil keine Räume mehr da sind. Ein regelmäßiges Café, eine Fahrrad- oder eine Siebdruckwerkstatt: Alles zur Zeit nicht möglich“, sagt die junge Autonome. Aber was heißt eigentlich „autonom“? Zwar sollen in dem neuen Alternativen Zentrum (AZ) auch linke Gruppen Platz für ihre politische Arbeit finden. Und dass rassistische und sexistische Einstellungen strikt abgelehnt werden, versteht sich von selbst. Vielmehr noch geht es aber um eine grundsätzliche Einstellung: Freiwillig und in eigener Verantwortung sollen Ideen umgesetzt werden, kreativen Individuen wie auch politischen Initiativen soll ein zusätzlicher Raum in Darmstadt zur Entfaltung geboten werden.

Richtige Selbstverwaltung heißt für die Initiative nicht nur, die Räume nutzen und gestalten zu können. Auch finanziell möchte man unabhängig arbeiten können, die notwendigen Gelder selbst und durch Eintritts- und Getränkepreise bei Veranstaltungen sowie Mitgliedsbeiträge erwirtschaften. „Würden wir Geld von städtischen Ämtern bekommen, könnten die uns in unsere Arbeit reinreden. Genau das wollen wir nicht“, erklärt Philip Koletzki, einer der jungen Aktiven. Weitere Nachteile wären, dass erst einmal bewilligte Zuschüsse auch wieder gekürzt werden könnten oder zu Lasten anderer Häuser wie zum Beispiel der Oetinger Villa gehen. Das will die Kampagne dadurch verhindern, indem das nicht ganz so autonome Jugend- und Kultur-Zentrum und auch die Bauwagenplätze bei den Verhandlungen mit der Stadt mit einbezogen werden. Mit den schon bestehenden alternativen Projekten in Darmstadt soll nicht konkurriert werden, im Gegenteil: „Wir würden uns dann gut ergänzen, was bei den einen nicht geht, wird woanders veranstaltet und umgekehrt.“

Dass auch über die so genannte autonome Szene hinaus ein großes Interesse besteht, wurde mit der „Nachttanzdemo“ bewiesen. Über 400 Menschen tanzten zwei LKW mit DJs an Bord hinterher, auf dem Luisenplatz beendete eine kurze, aber ausgelassene Party den Event. Erste Unterstützer finden sich nicht nur im feierwilligen Partyvolk. Neben den Stadtverordnetenfraktionen von Uffbasse und der Linken bekunden auch Studierendenvertretungen Interesse: Der AStA der Evangelischen Fachhochschule würde gerne eine „Gegen-Uni“ veranstalten, eine Veranstaltungsreihe mit selbst organisierten Vorträgen und Seminaren, wie es sie schon in Berlin, Bochum und Frankfurt gibt. Ulrike hierzu: „Das wäre uns auch sehr wichtig, denn kritische Bildung hat kaum noch einen Ort.“

Mögliche Orte für den neuen Freiraum wurden schon erkundet und auch der Stadt gezeigt. Das Problem bei allen zunächst vorgeschlagenen Immobilien ist, dass die Kampagne die Besitzverhältnisse noch nicht kennt. Auch wie es innen jeweils aussieht, ist der noch nicht bekannt. Am einfachsten wäre es wohl, wenn die Stadt eines ihrer leerstehenden Gebäude der Initiative zur freien Benutzung überlässt. Das wird aber sicher nicht so schnell und sehr wahrscheinlich nicht ganz ohne Bedingungen gehen. Philip kündigt daher vorsorglich einen langen Atem an: „Wir wollen nicht nach dem ersten Nein aufgeben. Bei den Gebäuden wären wir  kompromissbereit, aber nicht bei dem Konzept.“