Illustrationen: Hans-Jörg Brehm
Illustration: Hans-Jörg Brehm

Unter den über 750 Zoos in Deutschland gibt es zahlreiche Aquarien, Wildparks und Kleintiergehege, aber nur 60 richtige zoologische Anlagen. Das Vivarium in Darmstadt ist eine davon. Am östlichen Stadtrand gelegen bietet es seit 1964 ein vier Hektar großes naturnahes Zuhause für 700 Tiere aus 150 verschiedenen Arten. Mehr als 200.000 Besucher wandeln jährlich durch den beschaulichen Tiergarten, der sich in einem steten Wandel befindet.

Ein Besuch des Vivariums ähnelt dem eines Fußballstadions. Hier begegnen sich Fans und Laien, Einheimische und Touristen, die Tengelmann-Kassiererin und der Abteilungsleiter der Firma Merck, die nach Inspiration suchende Künstlerin und der seine Pflicht erfüllende Familienvater sowie das sich und die Umwelt vergessende Liebespaar vor dem Aquarium mit den „Spritzsalmlern“ und „Prachtkopfstehern“, na gut, die gibt es im Fußballstadion nicht, obwohl?

Außerdem lebt hier die wahrscheinlich letzte Darmstädter Prinzessin: die Prinzessin von Burundi aus dem Tanganjikasee in Ostafrika, die sich mit dem Schachbrett-Schlankcichlide ein Aquarium teilt. Ähnlich wie im Fußballstadion benehmen sich auch hier einzelne Gruppen daneben. So musste wegen Streitereien in der Nasenbärgruppe nach einem Ausweichquartier gesucht werden, quasi für ein Heimspiel ohne Zuschauer.

Die Gehege sind allesamt offen gestaltet, das heißt, die Tiere sind in der Regel nicht hinter Glas oder Käfigtüren abgeschottet. So schwimmt das Otterpärchen Kathrin und Peter fröhlich durch einen Teich, zu beobachten von einer kleinen Brücke, die es vom Gehege der Binturongs (auch Marderbären genannt) trennt. Das Stachelschweinterrain weckt den Wunsch, hineinzuklettern und sich eine der verlorenen Riesen-Stacheln zu mopsen. Das Affenhaus besticht durch seine Offenheit, nicht aber durch den absonderlichen Geruch, der dem Besucher einem darin entgegenschlägt.

Ein Spaziergang durch das Vivarium bietet neben der großen Auswahl an Tieren auch viel Natur und Ruhezonen: Bänke neben Bambuspflanzen, hohe Bäume und ein schöner Spielplatz sind Teil der Anlage, die den Namen „Tierpark“ mit Betonung auf „Park“ verdient hat. Von hier aus kann man wunderbar die vielen menschlichen Arten beobachten, die sich auf biologischer Exkursion befinden. „Schau mal Oma, ein indonesischer Schopfmakak“, erklärt ein Vorschüler altklug, während eine Mittzwanzigerin mit Blick auf einen Kormoran zum Besten gibt, dass „Katamarane kleine Kinder fressen“.

Im Wattvogelhaus bietet eine Pinnwand Besuchern die Möglichkeit, Fragen zu stellen und vom Vivarium-Personal beantwortet zu bekommen. Erfrischend auch hier der Humor, der trotz der pädagogischen Ausrichtung, die im Vivarium eine wichtige Rolle spielt, nicht außen vor bleibt: „Hätten Sie auch ein artgerechtes Gehege für meinen Mann?“, fragt eine Besucherin, was vom Vivarium mit „viel zu teuer“ beantwortet wird. Als Skandal empfindet es eine Lehrerin, dass „im Otterhaus gepoppt wird“, doch die Vivarium-Leitung kontert mit „Biologieunterricht hautnah“. Dem Jungen, der die Schnappschildkröte vermisst, wird tröstend mitgeteilt, dass sich diese nun im Schnappschildkrötenhimmel befände.

Durch die Mitarbeit bei verschiedenen nationalen und internationalen Zuchtprogrammen für bedrohte Tierarten leistet der Darmstädter Tierpark einen wichtigen Beitrag zum angewandten Arten- und Naturschutz, der europaweit organisiert ist. Der Erhalt bedrohter Tierarten wird weltweit gemanaged, die Zoos kooperieren hier über verschiedenste Verbände miteinander. In der Reptilienzucht beispielsweise kümmert sich das Vivarium unter anderem um eine Wasserpython, eine Abgottschlange, eine Puffotter und eine Riesen-Stachelskink. Beispielhaft sind auch die Zucht und Auswilderung von Europäischen Wildkatzen, Uhus und Mönchsgeiern.

In den vergangen zehn Jahren baute das Vivarium kontinuierlich neue Tieranlagen und modernisierte die vorhandenen. So entstand das Schopfmakakenhaus, ein neuer Streichelzoo, ein begehbares Kängurugehege und das Binturong-Haus. Ende März eröffnete das Riesenschildkrötenhaus für sechs faszinierende Aldabara-Schildkröten, die seit knapp 35 Jahren in Darmstadt leben.

Dass die Existenz des Vivariums bisweilen sogar einen innenarchitektonischen Einfluss auf Darmstadts Bürger hat, zeigt eine Pinnwand-Notiz von Ariane: „Das Wattvogelgehege hat mich dazu inspiriert, mein Schlafzimmer unter dem Motto ,Dünenlandschaft‘ auszustatten.“

Das neu gestaltete „Mäusehaus“ dagegen, wo sich zahlreiche der kleinen Nager in einem altmodischen Küchenschrank zwischen Porzellangeschirr und Nippes tummeln, ist wohl eher symbolischer Ausdruck dafür, dass wir alle uns wünschen sollten, dass unserem Vivarium nie die „Mäuse“ ausgehen und es unserer Stadt als vielfältiger „Treffpunkt der Arten“ erhalten bleibt.

Illustrationen: Hans-Jörg Brehm
Illustration: Hans-Jörg Brehm