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Foto: Meike Heinigk

Blickt man von oben auf Darmstadts Skyline, so erkannte man einst die Stadt an ihren historischen Gebäuden wie dem Hochzeitsturm oder der Stadtkirche. Seit Beginn dieses Jahrtausends hat sich – aufgrund seines Neuanstrichs – ein weiterer architektonischer Blickfang hinzugesellt: ein mint- und orangefarbenes, zehngeschossiges Hochhaus. Und nicht nur aus der Vogelperspektive, sondern auch, wenn man das Hochhaus an der Kreuzung Heidelberger/Eschollbrücker Straße passiert, erblickt man ein außergewöhnlich bunt zusammengewürfeltes Ensemble, welches erst einmal mehrere Fragen aufwirft. War derjenige, der die Farbgebung gewählt hat, unter Umständen farbenblind? Sind die Hühner und der gesamte Vorplatz des Gebäudes Ergebnis eines VHS-Kurses mit dem Titel „Mosaiken und Töpfern – leicht gemacht“? Ist die goldene Antenne auf dem Dach sponsored by Unitymedia? nd zu guter Letzt: Ist der Matratzenladen im Erdgeschoss das Geschäft mit dem längsten, niemals enden wollenden Räumungsverkauf aller Zeiten? Das P hat nach Antworten auf diese Fragen gesucht.

Es handelt sich hierbei um ein Gebäude in Privatbesitz, welches als Studentenwohnheim geführt wird. 145 Ein-Zimmer-Appartements mit Duschbad und Kochnische sind dort untergebracht, als Besonderheit betont das Studentenwerk den „Gemeinschaftsraum mit Einbauküche sowie die besondere Ausstattung der Treppenhäuser mit marokkanischer Handwerkskunst“. Die Liebe zum Detail durchzieht also auch das Innere des Gebäudes, und bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Gebäudekomplex als eine Anhäufung von Symbolen, die den Anschauungen und lehren des Mannes folgen, nach dem auch der eigenwillig gestaltete Vorplatz benannt ist: Viktor Schauberger (1885-1958), österreichischer Naturforscher und Mystiker.

Seine Lehren abseits der Schulwissenschaften und die sich im Gebäude widerspiegelnden Zusammenhänge würden ganze Semester mit Vorlesungen füllen. Als Pionier der Bionik war es Schaubergers Empfehlung, aus den harmonischen Prozessen der Natur zu lernen, um einen Ausweg aus der exponentiellen Wachstums-Gasse heutiger Entwicklungen zu finden. Als Symbol steht dafür die ausgleichende, harmonische und schöne Form des Eis, als Harmonie von nur gedachten Gegensätzen.

Ein solches Ei in Gold befindet sich deshalb neben dem Brunnen auf dem Darmstädter Viktor-Schauberger-Platz, der ebenfalls etwas bedeuten soll: Viktor Schauberger gelangte durch die Beobachtung der im strömenden Gebirgsbach ruhig stehenden Forelle sowie durch überlieferte Ideen der Holzflößer zu der Überzeugung, dass die Natur große Antriebskräfte zur Verfügung stelle, von deren Existenz wir nichts wüssten. Er meinte, diese Kräfte isolieren und im konzentrischen Wasserwirbel technisch nutzbar machen zu können. Er meinte weiterhin, dass es im Kern des Wirbels zu „starken Verdichtungserscheinungen“ komme, wodurch Materie „die räumliche Sphäre verlasse“ und gleichzeitig eine „Energieform“ frei werde, die „in der Natur allgemein dem Aufbau der Substanz diene“ – die „Freie Energie“. Er konstruierte Geräte zur Erzeugung von Energie oder zur Fortbewegung, die ohne Treibstoff auskommen und weder Abgase noch Lärm verursachen, zum Beispiel den Flugkreisel.

Bis heute verfolgen zahlreiche Anhänger diese Ideen, und auch der Brunnen vor dem Studentenwohnheim ist eine Wirbelschale nach Schauberger, in der durch „naturrichtige Bewegung“ das Wasser energetisch angereichert wird. Das goldene Gebilde auf dem Dach des Hochhauses wiederum stellt sogenannte Kornkreise dar. Für Ufokontaktler könnten dies Zeichen von Außerirdischen sein, die uns Hinweise darüber geben wollen, wie alternative Energieformen außerhalb von geschlossenen Systemen möglich wären – in Zeiten des Klimawandels fast schon eine Überlegung wert.

Hinter all diesen Bildern, die nun eine der verkehrsreichsten Kreuzungen Darmstadts schmücken, steht ein Mann namens Henry Nold. 1998 lobte er für sein Hochhaus einen Architekturwettbewerb aus, zur „Revitalisierung eines hochhauskomplexes mit Büro-, Laden-, Gastronomie- und Wohnflächen“. Realisiert wurde das Wettbewerbsergebnis nicht. Was als städtebauliche Untersuchung gedacht war, geriet in den Strudel hyperbolischer Eikurven. Das Gebäude ist nun also den Kornkreisen, Viktor Schauberger und auch der Kunst des katalanischen Architekten Antoni Gaudí gewidmet. Seine Formsprache war die des katalanischen Jugendstils: geschwungene Linien, naturnahe weiche Formen mit Motiven der Flora und Fauna, Bruchsteine und bunte Keramikfliesen, die der Darmstädter als Gestaltungselement in seine Bauwerke einfließen ließ. Den Brückenschlag zum Jugendstil möchte Henry Nold damit auch noch schaffen. Der Mittvierziger ist unter anderem auch Initiator der Lebensreformtage in Darmstadt, Oberbegriff einer Reformbewegung, die aus der Kritik an der Industrialisierung und Moderne bereits um 1900 entstanden ist.

Das Studentenhochhaus

Mit dem wohl symbolträchtigsten Studentenwohnheim Darmstadts (neben das Nold übrigens 1995 auch das erste, an der Feng-Shui-lehre ausgerichtete Bambushaus in Darmstadt gebaut hat) verschaffte er der stark befahrenen Kreuzung in Darmstadts City einen Ort des Nachdenkens und mit folgender, auf der Homepage des Viktor-Schauberger-Hauses zu findenden Botschaft: „Ein Symbol und ein Chiffre des Friedens und der Einheit des Lebens, über den Namen Viktor Schauberger hinausgehend. Nicht nur den 150 Studenten im Wohnheim, auch den tausenden Autofahrern sei täglich ein Drall der Inspiration, des Nachdenkens und der Tat im Sinne der Natur gewünscht. Der Ort möchte auch helfen, die Lebensreform-Bewegung von 1900 mit der Mathildenhöhe in Darmstadt als Denkmal aus dem Musealen in unsere Zeit zu übersetzen und zur Ermutigung für ein verantwortungsbewusstes Handeln anregen.“

Dem P stellt sich nun eigentlich nur noch die Frage: Was war zuerst da: das Huhn oder das Ei? Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein Ei! Ohne Ei kein Huhn, ohne Huhn kein …