haus_ausschnitt
Bild: Alexander Heinigk

Darmstadt besitzt architektonische Ecken und Kanten, städtebauliche Details, die vor Schönheit nur so glänzen – oder durch Hässlichkeit abschrecken. Sie prägen das Bild der Stadt und auch wir Darmstädter gehen oft an diesen Stellen vorbei, bemerken sie nicht, obwohl sie so bemerkenswert sind. Deshalb haben wir diese Orte gesucht, dokumentiert und stellen sie an dieser Stelle Monat für Monat vor. Frei nach dem Motto „Die Schönheit der Dinge liegt in den Augen des Betrachters“.

Bei einer ökologischen Sightseeing-Tour durch Darmstadt darf ein Besuch von Hundertwassers „Waldspirale“ im Bürgerparkviertel nicht fehlen. Doch was sich hier als mit bunten Kacheln und Farbe verzierter, gewöhnlicher Wohnungsbau mit schiefen Fenstern und dunklen Räumen erweist, wurde an anderer Stelle in Darmstadt vor fast 40 Jahren deutlich besser und konsequenter umgesetzt: als „Baumhaus“. Damals wurde der Darmstädter Architekt Ot Hoffmann von der Stadt Darmstadt beauftragt, die Innenstadt umzugestalten und Verkehrs- in Fußgängerstraßen umzuwandeln. Zum städtebaulichen Konzept gehörte ebenfalls die Verbindung der Fußgängerzone mit dem Herrngarten: Das Baumhaus an der Ecke Schleiermacherstraße/Zeughaustraße sollte diesen Übergang bilden. Eine Fußgängerbrücke sollte vom Pali-Parkplatz aus zum Vordach des Baumhauses im ersten Obergeschoss hin aufsteigen, von wo aus man dann über ausladende Treppen in Richtung Herrngarten hätte hinabsteigen können. Gedacht war, die ganze Häuserzeile einzubinden, was aufgrund von schwierigen Grundstücksverhältnissen verworfen werden musste. Als Überrest dieser mutigen städtebaulichen Idee kragt heute nur noch ein weites, begrüntes Vordach vom Gebäude aus.

Das Baumhaus

Das Baumhaus bietet eine Synthese zwischen urbaner und ökologischer Lebensweise, ohne dabei auf Komfort und Modernität verzichten zu müssen. Hier versöhnen sich Natur und Technik. Es ist ein Stadthaus, das trotz seiner lärmintensiven und innerstädtischen Lage über ruhige Wohn- und ausreichende Grünzonen verfügt. So hat ein Blick vom Baumhaus auf den stark befahrenen City-Ring durchaus eine besondere Ästhetik und macht den Anspruch an das Haus deutlich.

Stellt man sich das Baumhaus ohne Bäume vor, lassen sich durchaus Elemente der Klassischen Moderne erkennen. Man hätte es mit einem interessanten, aber nicht außergewöhnlichen Wohn- und Geschäftshaus der siebziger Jahre zu tun. Stellt man sich das Baumhaus ohne Haus vor, sieht man einen dichten Wald mit Kiefern und Efeu, mit Biotopen, Regenwasserbecken und einem kleinen Windkraftwerk mitten in der Stadt. Wohnt und arbeitet man in diesem Haus, verbindet sich beides zu etwas Besonderem, etwas Einzigartigem, was man so wohl nur in Darmstadt vorfindet – das Baumhaus als Gestalt gewordene Utopie. Die Kombination aus nacktem Beton und üppiger Begrünung als naturnahes Wohnen in der Stadt war Anfang der Siebziger in keinster Weise populär oder aktuell. Umso mehr ist der Mut des Architekten zu würdigen, der hier seine Vorstellung von ökologischem Bauen verwirklichte.

Noch heute ist das Bauwerk reizvoll, zumal es wie ein eigener Organismus seine ökologische Idee verkörpert, während diese beim Hundertwasser-Werk lediglich als formaler Aspekt in Form einer verzierten Fassade an der Oberfläche auftaucht.