Foto: Linda Breidert
Foto: Linda Breidert

Darmstadt besitzt architektonische Ecken und Kanten, städtebauliche Details, die vor Schönheit nur so glänzen – oder durch Hässlichkeit abschrecken. Sie prägen das Bild der Stadt, und auch wir Darmstädter gehen oft an diesen Stellen vorbei, bemerken sie nicht, obwohl sie so bemerkenswert sind. Deshalb haben wir diese Orte gesucht, dokumentiert und stellen sie an dieser Stelle Monat für Monat vor. Frei nach dem Motto: „Die Schönheit der Dinge liegt in den Augen des Betrachters.”

Zu einem lebendigen, quirligen Ort sagt man in der Türkei „renkli ve hareketli bir yer“. Als solcher stellt sich das Nazar Center in der Kasinostraße dar. Die viel befahrene Straße wirkt sonst eher wie eine zu klein geratene Stadtautobahn. Der Dönerladen neben Tankstellen, Autohäusern und Schnellrestaurants wäre eigentlich nichts, worüber es sich zu berichten lohnte. Hier hat sich jedoch in den letzten Jahren eine Ansammlung von Geschäften niedergelassen, die den Namen Center ernsthaft verdient. Im Wesentlichen haben die Läden eines gemein: ihre kulturelle Herkunft.

Was von der Politik als negativ gefärbter Begriff der Parallelgesellschaft geprägt wurde, stellt hier eine echte Qualität dar: Man kann zur Mittagspause in eine kulturelle Oase abtauchen. Hier wird die (sowieso nicht existente) deutsch-türkische Grenze aufgehoben. Das Nazar Center könnte genauso gut in – sagen wir mal – Darmstadts Schwesterstadt Bursa liegen. Es bietet selbstverständlich auch den geräumigen Parkplatz für tiefergelegte 3-er BMWs mit potenter Stereoanlage. Und mehrheitlich sind die Frisuren der Fahrer im Sinne eines Gesamtkunstwerkes passend schnittig. Die Geräuschkulisse des vorbeifahrenden Verkehrs und die Gerüche aus der Küche machen das Bild erst richtig authentisch. Man fühlt sich wie in der Türkei – und das, ohne verreist zu sein.

Das Angebot ist umfassend: Neben dem Schnellrestaurant gibt es einen Friseur, einen Bäcker, frischen Fisch, ein Wettbüro und einen Supermarkt – ähnlich der Ansiedelungen rund um den Basar einer türkischen Kleinstadt. In der Bäckerei wird man von der freundlichen Sabahat Kaya empfangen. Leidenschaftlich preist sie das frische Brot an, das mehrfach täglich gebacken und meist warm verkauft wird. „Besonders lecker finde ich die ‚Simit’“, sagt sie. Die Sesamringe isst man in der Türkei zu jeder Tages- und Nachtzeit, im Nazar Center geht das 23 Stunden am Tag. Der Begriff „Nazar“ kommt übrigens aus dem Arabischen und bedeutet „(böser) Blick“. Dem türkischen Volksglauben nach muss man sich vor unheilvollen Blicken schützen. Davor schützt das sogenannte „Nazar Amulett“, welches meist aus blauem Glas hergestellt wird. Zerbricht es, so hat es seinen Dienst – böse Blicke abzuwenden – getan und wird schleunigst wieder ersetzt. Zu kaufen gibt es das Amulett in der Kasinostraße nicht. Aber böse Blicke sind dort eh nicht zu fürchten.