Foto: Linda Breidert und Björn Harres
Foto: Björn Harres

Darmstadt besitzt architektonische Ecken und Kanten, städtebauliche Details, die vor Schönheit nur so glänzen – oder durch Hässlichkeit abschrecken. Sie prägen das Bild der Stadt, und auch wir Darmstädter gehen oft an ihnen vorbei, bemerken sie nicht, obwohl sie so bemerkenswert sind. Deshalb haben wir diese orte gesucht, dokumentiert und stellen sie an dieser Stelle Monat für Monat vor. Frei nach dem Motto: „Die Schönheit der Dinge liegt in den Augen des Betrachters.”

Derzeit strahlt das Gelände eine spannungsvolle Ruhe aus, früher hörte man dort laute „Knell”! So der Volksmund unter den Johannesviertlern, wenn sie sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg über den lärm beschwerten, den die 3.000 Schlosser des Eisenbahnausbesserungswerkes bei ihrer Arbeit verursachten. Das deshalb heute sogenannte Knell-Gelände ist ein 20.000 Quadratmeter großes Areal zwischen dem Gewerbegebiet Nordwest und dem Johannesviertel im gründerzeitlichen Wohngürtel der Kernstadt.

Ein Viertel der Fläche wurde bereits umgenutzt und wird frequentiert von der einkaufenden Johannesviertel-Szene und Fastfood-Restaurant-Besuchern. Während auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bahn seit 1873 reger Betrieb herrschte, ist es heute davon geprägt, dass die künftige Nutzung politisch und städtebaulich ebenso rege diskutiert wird. nach wie vor also ist es „laut” um das Knell-Gelände, und gleichzeitig spürt man dort eine geniale Interims-Stimmung, die es unweigerlich in die P-Architektur-Kolumne „besonders … Darmstadt” katapultiert.

Unweit des Stadtzentrums von Darmstadt blickt man auf eine weitläufige Schotterwüste, aus der sich einzig die beiden Luftschutzbunker und ein Wasserturm erheben. Eine riesige Richthalle, ein heiz- und ein Pförtnerhaus, die das Areal ehemals prägten, wurden zurückgebaut, der kontaminierte Boden großflächig ausgetauscht. Das Gelände besticht im Moment durch eine ästhetische Tristesse, die „Operation Knell” ist eingeleitet, nicht aber durchgeführt. Besonders vor dem Hintergrund, dass die derzeitige Atmosphäre nur von zeitlich begrenzter Dauer sein wird, erhält das Knell-Gelände seinen Reiz. Erworben hat die Stadt Darmstadt das Gelände mit dem Ziel, dort ein neues Stadtviertel mit eigener Identität zu entwickeln. Zentrale Verwaltungsgebäude sollen die markante Stadteingangssituation von norden in Richtung Innenstadt bilden, wofür ein eigener Architektenwettbewerb ausgelobt wurde. Ursprünglich sollte auch der Messplatz von der Alsfelder Straße dorthin verlegt werden, um die dadurch freiwerdende Fläche zur Erweiterung der Wohnbebauung des Bürgerparkviertels zu nutzen. Aufgrund der nähe zur Firma Merck und der europäischen Umweltrichtlinie Seveso ii, die einen Sicherheitsabstand von Chemiewerken für Wohnnutzungen fordert, scheiterte dieser Plan aber.

Die Verwaltungsgebäude der heag Südhessischen Energie AG (hSE) und des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft Darmstadt (EAD) ziehen nun um und werden im mittleren teil des Areals platziert. Auf den dadurch frei werdenden innerstädtischen Flächen (Dornfelder Weg und Niersteiner Straße) sollen Wohngebäude entstehen – die sogenannte Rochade. Für den nördlichen teil der Knell gibt es bislang keine neue Idee.

Inmitten dieser noch immer andauernden Diskussion stehen nun beharrlich der ehemalige Wasserturm und die noch übrig gebliebenen Winkeltürme – auch Spitzbunker genannt. Momentan signalisieren sie die Ruhe vor dem Sturm, die Spannung, die sich aus der Umnutzung alter Relikte ergibt. Und doch wissen wir, dass das Knell-Gelände in Zukunft als innerstädtisch angesiedelte Verwaltungsfläche zwar angenehm auffallen, das derzeit bestehende Besondere des Areals jedoch für immer verschwinden wird.