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Foto: Jana Matejka

„Allerheiligen“ feiert die römisch-katholische Kirche am 1. November. Gedacht wird „aller Heiligen“, auch solcher, um deren Heiligkeit niemand weiß außer Gott. Wenn nicht – wie in diesem Jahr – dieser Feiertag auf einen Sonntag fällt, zeichnet er sich in Darmstadt besonders dadurch aus, dass die Innenstadt mit shoppenden Katholiken aus Bayern und Baden-Württemberg überquillt. Gute Gelegenheit – auch für Nicht-Christen und Atheisten – einmal den Darmstädter Friedhöfen einen Besuch abzustatten.

Sie formen mit einer Gesamtfläche von 70 Hektar einen beachtlichen Bestandteil des Stadtbildes: Friedhöfe – früher „Gottesäcker“ genannt – bieten mitten in unserer Stadt eine wunderbar ruhige und meditative Atmosphäre abseits vom Stadt- und Straßenlärm. Sie sind grüne Oasen, in denen man einen Spaziergang zwischen Himmel und Erde unternehmen kann.

Der Besuch eines Darmstädter Friedhofs ist eine Reise in die Darmstädter Vergangenheit, ein historischer Blick auf Familiengeschichten unserer Stadt. Neben der Traurigkeit, die jedem zu Ende gegangenen Leben innewohnt und auf Grabsteinen dokumentiert ist, kann man dem Besuch eines Friedhofs auch unterhaltsame Komponenten abgewinnen: eine unerschöpfliche Auswahl von Namen, kann so manchen werdenden Eltern Inspiration sein, das Kopfrechnen kann per Ermittlung der jeweils erreichten Lebensjahre trainiert werden, Stil- und Geschmacksrichtungen können anhand der Grabgestaltung analysiert werden.

Naturbelassener und weitestgehend unangetastet von Menschenhand sind dagegen die jüdischen Friedhöfe. Der 300 Jahre alte Jüdische Friedhof in Darmstadt am Rande des Steinbergviertels in Bessungen ist von unschätzbarem kulturhistorischem Wert. Der älteste dort zu findende Grabstein stammt aus dem Jahr 1714. Jüdische Friedhöfe – Beit Hachajim, „Häuser des ewigen Lebens“ genannt – vor allem ihre älteren Grabsteine, sind nicht nur eindrucksvolle Denkmäler, sie sind auch wertvolle und vielfach einmalige Quellen der Geschichte der jüdischen Kultur und des jüdischen Lebens.

Ebenso wichtig wie Namen und Daten, die sich oft nur hier erhalten haben, sind die begleitenden Texte, die vielfältige Einblicke in den jüdischen Glauben und in jüdisches Denken vermitteln. Ein jüdisches Grab wird niemals aufgelassen, also niemals neuerlich belegt. Es besteht bis zu jenem Tag, „da neues Leben in anderer Form geschehen wird“. Es bleibt unangetastet von Menschenhand. Allein die Natur mag hier eingreifen, mag Wurzeln ziehen oder den Grabhügel im Laufe langer Jahre von immer neuer Erde bedecken. Die Gräber den evolutionären Kraft zu überlassen und gleichsam die gärtnerische Hand anzulegen, Pflanzen und Wege in Ordnung zu halten und die Gräber mit der gebotenen Distanz, doch auch mit der erforderlichen Aufmerksamkeit zu umsorgen, ist eine hohe Kunst, die auf dem jüdischen Friedhof sehr gelungen ist.

Ein Spaziergang über das weitläufige, von Bäumen beschattete, von Efeu und Farnen teilweise überwucherte Areal schafft eine ambivalente Stimmung: Verzauberung über das Märchenhafte dieser Friedhofslandschaft mit den dicht an dicht aufgereihten Gedenkstelen und Grabsteinen. Und Beklommenheit angesichts der Ursachen dieser romantischen Verwilderung. Ein Friedhofsgärtner setzte sich einst couragiert für den jüdischen Friedhof ein, so lehrt eine Wandtafel im Eingangsbereich: Oskar Werling (1891-1969) verhinderte während der Nazizeit die Schändungen und Zerstörungen durch die Schergen von SA und SS – ein Schicksal, das tausende anderer Friedhöfe traf.

Spaziergänge über die Friedhöfe schaffen vielleicht auch eine Verbindung zwischen all den unterschiedlichen Schicksalen und Lebenswegen, die in Darmstadt existieren.

Darmstädter Friedhöfe:

Jüdischer Friedhof, Seekatzstraße 29

Alter Friedhof, Herdweg 105 – 107

Waldfriedhof, Am Waldfriedhof 25

Friedhof Bessungen, Heinrichwingertsweg 63

Friedhof Eberstadt, Palisadenstraße 5 – 7

Friedhof Arheilgen, Weiterstädter Straße 46

Friedhof Wixhausen, Auwiesenweg 18

Die Öffnungszeiten sind für alle Friedhöfe gleich, variieren jedoch abhängig von den Jahreszeiten:

1. Oktober bis 2. November: von 7 bis 19 Uhr

3. November bis 14. Februar: von 7 bis 17 Uhr

15. Februar bis 31. März: von 7 bis 18 Uhr

1. April bis 30. September: 7 bis 20 Uhr

An Sonn- und Feiertagen sind die Friedhöfe erst ab 8 Uhr geöffnet!

Ausnahme Jüdischer Friedhof:

Montags bis mittwochs:  7 bis 12.15 Uhr und 13.15 bis 15.15 Uhr

Donnerstags: 7 bis 12.15 Uhr und 13.15 bis 14.45 Uhr

Freitags: 7 bis 12.30 Uhr

Literaturhinweis: Haus des ewigen Lebens – Beit Hachajim. Der Jüdische Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714 – 1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988.