Foto: Christian Ian Ray
Foto: Christian Ian Ray

Er ist laut und hässlich. An den meisten Stellen weder besonders radfahrer- noch fußgängerfreundlich. Dafür leitet er den Verkehr um Darmstadts Zentrum herum: der Cityring. Der Citytunnel ist der erste Teilabschnitt dieses Verkehrskonzepts, den ein von der A5 in Darmstadt ankommendes Fahrzeug erreicht.

Fährt man entlang der Rheinstraße auf Darmstadts Mitte zu, taucht man kurz vorher ab und verschwindet in Darmstadts Unterleib, als wäre dies dem Stadtnamen geschuldet. Doch „Darmstadts Darm“ will gerade eine für dieses Organ typische Krankheit verhindern: die Verstopfung. Weil östlich der Stadt keine Autobahn verläuft, muss der Regionalverkehr nach Dieburg oder in den Odenwald durch die City – und das Verkehrsnetz wesentlich mehr Fahrzeuge verkraften, als es die Größe der Stadt erlaubt. Während der Citytunnel also für Autos den mehr oder weniger flotten Durchmarsch erlaubt, ist er für Radfahrer und Fußgänger ein Hindernis, weil er die umliegenden Stadtviertel ausgrenzt und von der City abschneidet.

Foto: Baumann, Darmstadt, und T.K. Müller, Darmstadt, aus dem Archiv Krebs und Kiefer
Foto: Baumann, Darmstadt, und T.K. Müller, Darmstadt, aus dem Archiv Krebs und Kiefer

Dass Darmstadt eine verhältnismäßig große Fußgängerzone besitzt, ist mitunter dem 540 Meter langen Citytunnel zu verdanken, dessen Bau der ehemalige Oberbürgermeister Heinz Winfried Sabais Mitte der 1970er Jahre durchsetzte. So wirbt auch Darmstadt Citymarketing damit, dass  „die Darmstädter Innenstadt durch ihre kompakte Bauweise besticht. Die Fußgängerzone erstreckt sich auf einer Fläche von nur 90.000 Quadratmetern. In nur 7 Minuten durchqueren Sie die gesamte Fußgängerzone.“

Regelmäßig wurde und wird der Darmstädter Citytunnel auch von Fußgängern heimgesucht. So veranstalteten dort der Krisenpräventionsrat Darmstadt und die Arbeitsgemeinschaft (AG) Kobra zusammen mit DJ Ufuk Ende der 1990er Jahre zwei „Tunnelraves“ mit Nebel, Laser und Technobeats. Die Vita der DJs schmückt sich noch heute mit den Terminen dieser offenbar beeindruckenden Ereignisse. Alle Jahre wieder wird der Citytunnel temporär gesperrt, wenn die Abiturienten ihren Siegeszug gegen Pisa feiern – und dies scheinbar auch unbedingt in Darmstadts Tunnel tun müssen.

„Als sei der City-Tunnel ein künstlich geschaffenes Flussbett, das nun von Menschen geflutet wird,“ beschrieb das Darmstädter Echo den Siegeszug tausender Darmstädter, die zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 das 4:0 ihrer Mannschaft gegen Australien feierten. Wie ein Magnet zieht es feiernde Fußballfans immer wieder in den Tunnel.

Offenbar strahlt die unterirdische Cityumgehung etwas Reizvolles aus, sie verbindet die natürliche, gewohnte Ober- mit der künstlich geschaffenen Unterwelt. Vielleicht ist es aber auch die temporär erzeugte Stadionatmosphäre, die uns singend durch das gekachelte Verkehrsbauwerk ziehen lässt. Hoffentlich tun wir das auch am 1. Juli gegen 22.30 Uhr wieder, falls es keine Verlängerung gibt.

Lukas Szczepanczyk
Foto: Lukas Szczepanczyk