Foto: Privat
Foto: Privat

Sechs Darmstädter waren, sind und gehen auf Reisen, um mit Leidenschaft und Liebe an verschiedenen Orten der Welt zu helfen. In den nächsten sechs Ausgaben des P-Magazins werden die persönlichen Erfahrungen aus sechs verschiedenen Ländern von sechs unterschiedlichen Menschen aus Darmstadt und Umgebung vorgestellt. Helfen ist nicht selbstverständlich – und muss deshalb an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden!

Nunzia La Delfa, italienisch-stämmige Darmstädterin, 36 Jahre alt, zog es während ihres Studiums zur Förderschulpädagogin 2005 nach Brasilien – durch ihre Freude an der Kampfkunst Capoeira und das Interesse an Kultur, Land und Leuten. Hier arbeitete sie zunächst in einem Kinderheim in São Paulo, mit zwölf teilweise körperlich und geistig behinderten Kindern, die von ihren Familien verstoßen wurden. Anschließend folgte sie – als erste Europäerin – der Einladung eines Capoeira-Mestre und ging nach Fortaleza, eine zweieinhalb Millionen-Einwohnerstadt im Nordosten Brasiliens. Hier erfüllte sich Nunzia ihren Traum, anderen Menschen zu helfen: Sie weitete ein Capoeira-Projekt für Kinder, die in dem Armenviertel „Riacho Doce“ leben, zu einem Hilfsprojekt namens „Associação Espaço Cultural Água de Beber“ (Verein kultureller Raum, Wasser zum Trinken) aus.

„Ich habe wirklich viele unglaublich tolle Erfahrungen während meiner Reise gemacht, doch ein Erlebnis ist mir besonders in Erinnerung geblieben“, erinnert sich Nunzia. Sie lernte drei Straßenkinder kennen, einen vierjährigen und einen siebenjährigen Jungen sowie ein fünfjähriges Mädchen. Die Kinder sahen unterernährt, ungepflegt und unglücklich aus. Nunzia nahm sich ihrer an und lud sie ein, mit ihr in ein Einkaufscenter zu gehen. „Alleine das Rolltreppenfahren faszinierte die Kinder vollkommen. Sie waren überglücklich, mit mir einkaufen zu gehen und das Leben für einen Tag zu genießen“, so Nunzia.

Vom Glück, eine Prinzessin zu sein

Normalerweise sei es in Brasilien nämlich nicht erlaubt, dass vermeintliche Straßenkinder ein Einkaufszentrum betreten. „Jeder bekam neue Wechselkleidung geschenkt, der kleine Junge hatte keine Schuhe und war ganz stolz auf seine ersten eigenen, neuen Havaianas. Das Mädchen wusch sich auf der Toilette des Einkaufszentrums, anschließend schlüpfte sie in ihr neues Kleid und schrie vor Glück, eine Prinzessin zu sein“, erzählt Nunzia weiter.

„Wir gingen etwas Leckeres essen. Sie aßen so viel, dass sie sogar Bauchschmerzen bekamen. Zum Schluss bekamen die Kinder Brot, Butter und Käse als Proviant für sich und die Eltern mit, die angeblich Müll-sammeln waren und dann die Kinder treffen wollten. Doch ob die Kinder überhaupt noch Eltern hatten, ob sie nicht selbst Müll-Sammeln gehen mussten, ich weiß es nicht, denn ich habe die Kinder nie wieder gesehen“, beendet Nunzia ihre rührende Anekdote.

Capoeira für Straßenkids

In „Riacho Doce“, dem Armenviertel von Fortaleza, nutzte die Capoeira-Gruppe „Água de Beber“ eine Räumlichkeit, um wöchentlich Capoeira anzubieten. Als Nunzia 2005 dazu kam, wurde das Projekt mit regelmäßigen Tagesangeboten für die Kinder des Armenviertels erweitert – tägliche Hausaufgabenhilfe, Bastelangebote, präventive Gesundheits- und Hygiene-Schulungen und natürlich Capoeira waren nun an der Tagesordnung. Es wurde jede Woche ein Plan mit den verschiedenen Angeboten der Woche an der Tür des Projektes ausgehängt.

Damit das Projekt starten und Straßenkinder von den Aktionen erfahren konnten, lief Nunzia durch die Favela „Riacho Doce“ und lud alle Straßenkinder ein, die sie traf, an ihrer Initiative teilzunehmen. Schnell sprach sich Nunzias Vorhaben bei den Kindern herum und das Angebot konnte im Laufe der Zeit für 100 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 16 Jahren umgesetzt werden.

Da die Schulform Brasiliens Unterricht am Vor- und Nachmittag für Jüngere und Unterricht am Abend für Ältere vorschreibt, wurde jede Woche neu geplant, damit alle Kinder die Möglichkeit hatten, an der Entwicklung der Programmpunkte teilzuhaben. „Aber nur, wer auch die Schulbank drückte, konnte an den tollen Aktionen im Projekt teilnehmen“, stellt die Projektleiterin klar.

„Zunächst gab es weder Tische noch Bänke.“

Foto: Privat
Fotos: Privat

Nunzia hat viele Menschen mobilisieren können, an ihrem Projekt mitzuarbeiten und die Netzwerkarbeit mit anderen Organisationen zu erweitern – doch es war ein langer Weg: „Zunächst gab es weder Tische noch Bänke, keine Tafel und auch keine Bücher. Doch Dank toller Kooperationspartner und der Stadt Fortaleza konnte die Initiative sich weiterentwickeln und vergrößern“, erklärt sie.

„Ich telefonierte mir die Finger wund oder klopfte direkt an den Türen verschiedener Ämter, bis ich schließlich die gewünschte Unterstützung erhielt. Mit Spendengeldern, die ich aus Deutschland dabei hatte, wurde ein Raum angebaut, damit verschiedene Angebote zur gleichen Zeit laufen konnten“, so Nunzia, die immer ehrenamtlich mitgearbeitet hat, weiter. Während der Anfangsphase war es sogar so, dass sie ihr eigenes Geld ins Projekt steckte, um beispielsweise den Kindern ein regelmäßiges Mittagessen zu kochen. „Ich habe mich immer total willkommen und wohl gefühlt, die Menschen sind so dankbar und schließen einen sehr tief ins Herz, da lohnt sich die ganze Arbeit“, sagt Nunzia.

Der Kontakt nach Fortaleza ist bis heute erhalten geblieben. 2006 war Nunzia noch einmal für drei Monate vor Ort, anschließend besuchte sie das Projekt jährlich, um sich über die aktuelle Situation ein Bild zu machen. „Ich bin sehr stolz darauf – und auch sehr glücklich. Noch immer in unregelmäßigen Abständen besuche ich das Projekt und bekomme Berichte zugesendet. Es ist wunderbar, dass es noch immer läuft.“

Doch Nunzias Tatendrang war noch lange nicht ausgeschöpft. Über die Capoiera-Gruppe mit dem gleichen Namen wie das Projekt „Espaço Cultural Água de Beber“ lernte Nunzia ihren Mann, den brasilianischen Capoiera-Mestre Macaco, kennen. Gemeinsam mit ihm arbeitet sie an einem Konzept im Rahmen von Capoiera in Sao Salvador. Des Weiteren gründeten sie in Darmstadt die Capoeira-Gruppe „SSA“.

Jedes Jahr – das nächste Mal im Dezember 2012 – geht es mit einem Koffer voller Sachspenden nach Brasilien. Zusätzlich versuchen Nunzia und ihr Mann Geldspenden für die Straßenkinder in Brasilien zu akquirieren, unter anderem über Events ihrer Capoeira-Gruppe „SSA“ in Darmstadt. Da schließt sich der Kreis.

 

Hilf auch Du!

Leider gibt es kein Spendenkonto, aber über die Website kann man Nunzia und Macaco kontaktieren:

www.capoeirassa.de