Foto: Förderverein Liberale Synagoge
Foto: Förderverein Liberale Synagoge

Mit über 50 Veranstaltungen wird in diesem Jahr in Darmstadt an die Zeit des Nationalsozialismus gedacht. 80 Jahre ist es her, dass in Darmstadt Bücher verbrannt wurden. Vor 75 Jahren wurden Synagogen, jüdische Geschäfte zerstört und Juden ermordet, und 1943 fanden die letzten Deportationen von Darmstädter Juden, Sinti und Roma statt.

Die Idee für ein Gedenkjahr stammt von Oberbürgermeister Jochen Partsch und wurde Ende letzten Jahres vom Magistrat der Stadt beschlossen, so die Pressesprecherin der Stadt Eva Bredow-Cordier. Daraufhin lud man unterschiedliche Organisationen, Vereine und Institutionen ein, ihre Veranstaltungsideen für ein Gedenkjahr einzubringen.

Wie wichtig auch heute noch das Erinnern ist, zeigt nicht zuletzt der Diebstahl der Stolpersteine in Griesheim vor einem Jahr, die zum Gedenken an die jüdische Familie Loeb verlegt worden waren, und die erneute Zerstörung des Denkmals für die deportierten Juden, Sinti und Roma am ehemaligen Güterbahnhof im Mai dieses Jahres. Manchen ist das Gedenken offensichtlich ein Dorn im Auge.

Vielfältiges Programm

Insgesamt wird im Rahmen des Gedenkjahres einiges geboten: Stadtrundgänge, Filmvorführungen, Ausstellungen, Vorträge und viele Gedenkveranstaltungen. Fast jede Woche kann man etwas über die unrühmliche Geschichte der früheren Nazi-Hochburg Darmstadt – bei den letzten freien Wahlen 1932 wählten hier fast 50 Prozent die Nationalsozialisten – erfahren. Auch Daniel Neumann, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Darmstadt, findet für die zahlreichen bisherigen Aktivitäten lobende Worte: „Das Programm war vielfältig und umfassend.“

Beeindruckend ist die Zahl der beteiligten Organisationen und Institutionen. Am Ende werden es mehr als 40 sein – von der Akademie 55 Plus bis zur Volkshochschule sind alle beteiligt, die sich in der Stadt mit Bildung und Geschichte beschäftigen. Die Stadt unterstützt das Gedenkjahr mit 60.000 Euro, die Hälfte davon ist für die Reparatur des Denkmals am Güterbahnhof eingeplant.

Besucher sollen aber nicht nur passiv konsumieren, einige Veranstaltungen bieten die Möglichkeit sich aktiv einzubringen. Die Darmstädter Geschichtswerkstatt beispielsweise hatte zur Beteiligung am Projekt „Darmstädter Biographien 1933-1945“ eingeladen. Hierbei konnten sich Interessierte mit den Biografien von Opfern, aber auch Tätern beschäftigen und diese bearbeiten. Am Ende werden die Ergebnisse auf der Homepage der Geschichtswerkstatt veröffentlicht und so dauerhaft dokumentiert. Hierdurch sollen vor allem auch Schüler und junge Menschen angesprochen werden, erklärt Hannelore Skroblies von der Geschichtswerkstatt: „Das Auffinden der Spuren von Zeitzeugen und ihrer Lebensgeschichten bleibt für Jugendliche nach wie vor faszinierend.“

Koordination hätte besser laufen können

Dennoch fällt auf, dass man fast ausschließlich auf klassische Formate der politischen Bildung setzt. Es fehlen innovative Ideen, Interaktivität, neue Medien und Technologien, aber auch neue didaktische Ansätze. Thematisch wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich die Veranstalter nicht nur auf die Vergangenheit konzentriert hätten, sondern auch heutigen Antisemitismus und Rassismus thematisiert hätten, um so aufzuzeigen, warum man sich mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Darauf kommt auch Regina Dreesen von der Initiative Denkzeichen Güterbahnhof zu sprechen: „Die Menschen müssen stärker sensibilisiert werden und Zusammenhänge mit heutigem Rassismus und Diskriminierung im Bereich Zuwanderung und Asyl müssen hergestellt werden.“ Leider wurde das nicht getan. Auch die Diskussion um die Umbenennung der Hindenburgstraße in Darmstadt hätte hier als Anknüpfungspunkt dienen können.

Bei manchen Initiativen zeigt sich aber auch Unbeholfenheit im Umgang mit der Geschichte. Ein Verein kündigte seine Veranstaltungen mit denkbar unpassenden Worten an: In der Pressemitteilung wurden von der „‘heißen‘ Phase des Super-Erinnerungsarbeitsjahrs 2013“ und „Highlights“ gesprochen. Man fragt sich, was dem Verfasser hier durch den Kopf ging. Natürlich ist dies eine Ausnahme – aber eine bedauerliche. Auch die Koordination hätte besser laufen können. Die Broschüre für das Gedenkjahr erschien erst im Mai. Da war aber bereits fast die Hälfte der Veranstaltungen gelaufen. Wenn man die Öffentlichkeit für die Thematik interessieren will, sollte man hier zukünftig besser planen.

Gleichwohl wird es engagierten Bürgern nicht gerade leicht gemacht, aktiv zu werden, wie Regina Dreesen aus ihrem Beruf als Lehrerin zu berichten weiß: „Die Ausstellung unserer Schule zur Bücherverbrennung wurde im Stadthaus in der Frankfurter Straße gezeigt, den Aufbau musste ich selbst machen, eine Eröffnung gab es nicht und auch keine Mitteilung an die Presse.“

Dennoch ein wichtiger erster Schritt

Trotz dieser Kritikpunkte handelt es sich um einen Schritt in die richtige Richtung. Das sieht auch Hannelore Skroblies so: „Das Programm ist ein Versuch – und zwar der erste und auch ein gelungener, die verschiedenen Gruppen und Vereine der Stadt zu einem Gedenkjahr-Programm einzuladen.“ Insbesondere die Stadt Darmstadt und Oberbürgermeister Partsch haben hier wichtige Impulse geliefert. Das wird von allen Seiten bestätigt. Auch Daniel Neumann kann dieser Einschätzung nur zustimmen: „Ich denke, dass Darmstadt sich nicht verstecken muss. Die Stadt unterstützt zahlreiche lokale Initiativen der Erinnerungsarbeit und sie selbst ist in unterschiedliche Aktivitäten im Rahmen der Erinnerungsarbeit eingebunden.“

Für Skroblies wäre es wichtig, die Synergieeffekte des Gedenkjahres zu nutzen und zukünftig einen runden Tisch der unterschiedlichen Gruppen und Vereine einzurichten: „So könnte man sich unabhängig von Gedenkjahren besser absprechen und Veranstaltungen besser koordinieren.“

 

Sich engagieren!

Das Erinnern und Gedenken in Darmstadt lebt von den Menschen, die sich dafür engagieren. Wer sich deshalb aktiv einbringen will, kann sich bei einem der teilnehmenden Vereine melden. Dringend gesucht werden auch Darmstädter, die die Patenschaft für einen Stolperstein in Höhe von 120 Euro übernehmen möchten. Bei Interesse kann man sich im Kulturamt bei Bernhard Baum melden: Tel.: (06151) 13 33 36 E-Mail: bernhard.baum@darmstadt.de

 

www.darmstaedter-geschichtswerkstatt.de

www.denkzeichen-gueterbahnhof.de

www.vielfalt-in-darmstadt.de/resources/2013_Broschuere_Gedenkjahr.pdf

www.gesichtzeigen.de