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Illustration: Hans-Jörg Brehm

Glücklicherweise ist das Ehrenamt nicht nur eine Domäne ergrauter Privatiers, auch auffallend viele junge Menschen engagieren sich, ohne dafür bezahlt zu werden. In Deutschland sind 23 Millionen Menschen über 14 Jahre ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden, Initiativen oder Kirchen tätig – auffällig oft im Kulturbereich. Warum investieren gerade junge Menschen ihre Zeit in Non-Profit-Projekte und Vereine statt einfach nur karrieremäßig durchzustarten? Wir vom P wollen es genau wissen und starten in dieser Ausgabe eine Serie, in der wir „Alternative Kulturvereine“, die Konzepte und ihre Macher vorstellen. 

In Lebensmitteln längst als allgegenwärtiger Dickmacher verschrien, gilt in anderen Bereichen alles, was metaphorisch „Zucker“ ist, noch als besonders begehrenswert. Aus diesem Gedanken heraus entstand vor zwei Jahren der gleichnamige Laden in der Liebfrauenstraße 66 im Martinsviertel: das Zucker. 50 Quadratmeter Ladenfläche mit Waren, die eine besondere Geschichte haben. Von selbstgemachten T-Shirts, Taschen, Kühlschrank- und Wallstickern über Notizblöcke aus alten Büchern, Musik von Darmstädter Bands bis hin zu Kuriositäten wie dem Kartenspiel „Tyrannen“.

Zwischen der Stangenware der vielerorts üblichen Handelsketten und dem Ramsch aus den Ein-Euro-Shops profilieren sich Läden wie das Zucker über ihr einzigartiges und eigenwilliges Sortiment „Spezialisierung“ oder „Nische“ preist das Marketing diese Art der gewinnträchtigen Positionierung an – aber auch in dieser Hinsicht ist das Zucker anders. Denn nicht Gewinn und Marge, sondern einzig allein die Würdigung und Wertschätzung für Handgemachtes treiben die etwas mehr als zehn Mitstreiter an. Der Schriftsteller Oscar Wilde, oft zitiert mit dem Ausspruch „Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert“, würde sich sicher über so viel Wertschätzung freuen.

„Wir werden uns niemals wegen Geld streiten“, lautet deshalb auch eine Klausel im Gründungsvertrag der Zucker GbR. In nur zwei Wochen fanden die beiden Zucker-Gründerinnen Petra und Yvonne das passende Konzept und den richtigen Personenkreis. Das positive Echo der überwiegend weiblichen Stammkundschaft fügt sich da stimmig ins Gesamtbild. Aber eigentlich seien sie selbst ihre besten Kunden, schmunzeln die Zucker-Betreiber: „Schließlich hat jeder sein Lieblingslabel ins Sortiment gebracht“, verrät Yvonne. André, der eigene Produkte für das Zucker entwirft, formuliert seine Motivation so: „Nicht nur selber konsumieren, sondern selbst was machen. Es ist ein tolles Gefühl, was in den Raum zu stellen.“ Auch wenn das mal auf bisweilen seltsamen Widerspruch stößt: Jemand kritisierte seine „Krieg der Sterne“-Auslage als „Kriegsverherrlichung“, woraufhin André das Schaufenster schnell mit Peace-Zeichen und Herzchen umdekorierte.

Nun, nach gerade mal zwei Jahren, verkündet die Zucker-Crew das Ende des Ladenprojekts. Ja, ihr habt richtig gelesen: Der Laden macht dicht. Einige Mitstreiter bekommen Nachwuchs, andere haben neue Pläne, und auch Petra und Yvonne merkten, dass trotz Kundenlob, freundlich winkender Windowshopper und noch freundlicherer Nachbarn die permanente Anwesenheit im Laden zu festen Öffnungszeiten zu große Zeitprobleme verursacht. Für die Zucker-Junkies unter Euch, die jetzt an Hamsterkäufe denken, wird es noch einen Kunden-Newsletter geben, in dem sämtliche Lieferanten aufgelistet werden. Doch auch wenn das Zucker im Januar leer geräumt sein wird, bleiben 50 Quadratmeter und die Kernidee erhalten. Aus dem Raum für besondere Waren wird die Plattform für besondere (Kultur-) Sachen. Sachen, die Leute selber machen wollen.

Ob Café, Kneipe, Konzert, Schauspielkurs, Bastelworkshop, Spieleabend, Tatort-Glotzen, Filmnacht oder was auch immer, den jetzigen Betreibern schwebt vor, dass Ihr, also ehemalige Zucker-Junkies oder geneigte P-Leser, ab Februar die Programmdirektion sein werdet. Das Zucker selbst wird ebenfalls hin und wieder – vor allem zum Auftakt – in Aktion treten (einmal im Monat auch als „Laden für einen Tag“), damit sich das neue Konzept schnell herumspricht. „Das Ganze lebt vom Austausch und der Interaktion mit der Szene“, so André. Er sieht das Konzept als Bereicherung für Darmstadt und wolle damit den Leuten etwas zurückgeben. Das Zucker soll zum Raum werden, der für Ideen flexibel gestaltet und genutzt werden kann, wobei ein Pate aus dem verbleibenden Zucker-Team zukünftigen neuen Aktionisten zur Seite stehen wird.

Mit der Umwandlung zum Zucker 2.0 sinken die nervigen Verpflichtungen und es pflanzt sich hoffentlich die Erkenntnis fort, die das Zucker-Team gewonnen hat: „Wir sind normale Leute. Ein Laden ist kein Hexenwerk – jeder kann es. Wir hatten auch keine Erfahrung vorher. Wenn Du kreativ sein willst, dann brauchst Du einen Platz. Und wenn es keinen gibt, musst Du Dir einen schaffen.“ Um den Raum für Eure Kreativität braucht ihr Euch ab Februar 2011 also nicht mehr zu kümmern. Umso mehr Zeit bleibt Euch für gut durchdachte Ideen – denn nur, was zum Konzept passt, wird auch umgesetzt. Hauptsache, es ist Zucker und kein Süßstoff.

Zucker ist übrigens eines der wichtigsten Nahrungsmittel ohne Mindesthaltbarkeitsdatum. Also brauchen wir uns um das neue Zucker wohl keine Sorgen zu machen. Wenn Ihr denn mitmacht.

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