Illustration: Rocky Beach Studio
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Es gibt Denkmalschutz und Brandschutz, Mutterschutz, Tierschutz, Jugendschutz, Naturschutz, Umweltschutz, Mundschutz und Artenschutz. Ich fordere nun den Mund-Artenschutz!

Gedanken brauchen Inhalt, Worte brauchen Bedeutung und Sprache braucht Eigenart. Je mehr Eigenart, desto mehr Vielfalt. Und Vielfalt ist, wie wir wissen, das segensreiche Gegenteil von Einfalt. Also: Die Eigenart der Mundart gebietet der Einfalt Einhalt. Mundart ist eine lokal oder regional verwurzelte Sprachvariante, die nicht nur Informationen, sondern für das menschliche Miteinander – wahrscheinlich von höherer Bedeutung – zugleich Emotionen vermittelt. Außerdem ist Mundart auch die Art, mit der wir durch die einzigartige Sprachfärbung unseres Mundwerks unsere Zugehörigkeit und unsere Verbundenheit bekennen und zum Ausdruck bringen. Wir Darmstädter bezeichnen uns gerne als „Heiner“ und unsere Mund-Art als „Heinerdeitsch“ oder einfach als „Heinern“. In Ausdruck und Ausdrücken im ersten Moment knorrig, ruppig und deftig bis derb, beim zweiten Hinhören aber doch eigentlich eher unverblümt, direkt, ehrlich und vor allem humorvoll. Und gerade der eigenwillige Humor ist es, der bei unserer Darmstädter Mundart zum absolut guten Ton gehört.

Wundervolle Bezeichnungen wie Äbbelreesje (Apfelröschen) für ein goldiges Mädchen, Wullewatz (im Schlamm wühlendes Schwein) für einen waschwasserscheuen Menschen, Urrumbel für einen rücksichtslosen Zeitgenossen, Uggewambo für einen zügellosen Vielfraß oder Hannebambelund Labbeduddel für ein apathisches Weichei zeigen hier beispielhaft, wie sich in unserer Mundart Treffsicherheit, Ausdrucksstärke und vor allem unser Humor vereinen. Zu unserem speziellen „Darmstädter Humor“ sei noch anzufügen, dass er vom freundlichen Witz, von der lustigen Bezeichnung, von der rotzfrechen Ironie bis zum absolut gallig schwarzen Humor alles hat, was das Ohr begehrt oder oft auch verstört.

Ob dieser fast schon „britische Humor“ durch Darmstadts Nähe zum englischen Königshaus in irgendeiner Weise beeinflusst wurde, lässt sich nicht ergründen. Wobei ich allerdings in der uns Heinern angeborenen Zurückhaltung glaube, dass der „Darmstädter Humor“ wahrscheinlich eher auf die englischen Insulaner abgefärbt hat. Zum speziellen „Darmstädter Humor“ sei hier noch bemerkt, dass Karl Valentin zwar nicht von Geburt, aber nachweislich von seiner Zeugung her, ein Darmstädter war, denn seine Eltern lebten bis sechs Monate vor seiner Geburt in Darmstadt. Somit erklärt sich von selbst, warum uns Valentins Humor so vertraut und nah ist.

Sprache wie das Leben selbst

Goethe sagte einmal: Jede Region liebt ihren Dialekt, sei er doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft. Im Hochdeutschen liegen sehr wohl Ausdruckskraft und Schönheit unserer Sprache, aber ihre Lebendigkeit und ihre Herzlichkeit liegen in ihren Mundarten. Mundart ist im Gegensatz zum festgeschriebenen, starren und steifen Hochdeutsch eine bewegte, lebendige Sprache, denn sie unterliegt einer ebensolchen ständigen Veränderung wie das Leben selbst. Geformt von Epochen und Zeitgeist, beseelt und weitergegeben von Mensch zu Mensch und von Generation zu Generation. Zudem hat Mundart einen weiteren nicht unerheblichen Aspekt. Professor Wolfgang Schulz, Dialekt-Experte an der Münchner Uni, sagt im Bezug auf Kinder und Mundart: „Wer früh erkennt, dass völlig verschiedene Wörter ein und das Selbe bezeichnen können und es somit vielfältige Möglichkeiten gibt, seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, tut sich auch leichter mit dem Erlernen von Fremdsprachen.“

Doch da Mundart eine lebendige Sprache ist, kann sie auch sterben, verloren gehen und auf Nimmerwiederhören verschwinden. Schrift und Buch reichen ihr zwar zum Andenken, aber nicht zum Überleben, denn sie will ausgesprochen hörbar sein. Darum fordere ich den Mund-Artenschutz. Aber wie schützt man die Mundart? Ganz einfach: Mundart wird geschützt, indem man sie benützt. Also Leute, haltet Eure Mundart am Leben. Schwätzt und labert, mault und knoddert, dischputiert und nörgelt, singt und reimt, philosophiert oder verreißt Euch das Maul. Tragt Euer Herz auf der Zunge und verhindert das große Mund-Arten-Sterben. Es lebe die Maulkunst!

Es lebe die Maulkunst!

Zum 200. Geburtstag Ernst Elias Niebergalls, unseres „Dattericherzeugers“, fand nicht nur ein Datterich Festival statt, bei dem alle an „Heinerdeitsch“ und Mundart Interessierten Inspirationen finden konnten. Zudem gab es Ende Juni im Staatstheater ein Podiumsgespräch zum Thema „Hat Mundart eine Zukunft?“, von dem sich die Veranstalter erhofften, der Mundart neue Atemwege zu ebnen, um ihr auch in Zukunft Gehör zu verschaffen. Das Ziel: Zum Heinerfest 2016 soll erstmals ein Maulkunstpreis an Künstler, Gruppen oder Projekte verliehen werden, die sich mit innovativen Ideen und Formaten um die Zukunft der Mundart besonders verdient machen. Nun gilt es, zu dichten, zu komponieren oder zu inszenieren, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!

 

www.darmstaedterheinerfest.de/informationen/mundart-preis-2016