Illustration: Rocky Beach Studio
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Man waas es net – un aach net die fraa. Denn was kann uns der „Datterich“ noch sagen, wenn der Dialekt, in dem er geschrieben worden ist, nur noch sehr eingeschränkt in Gebrauch ist? Der „Datterich“ von Ernst Elias Niebergall stellt Leute heute vor die gleichen Probleme, wie sie Generationen von Schülern mit Stücken von William Shakespeare hatten: Wer sagt was, was heißt das und was sind das für seltsame Figuren? Niebergall wie Shakespeare zeichnen ein dezent übertriebenes Bild ihrer Zeit mit Archetypen und einem Narren, der etwas außerhalb der Gesellschaft steht, diese versteht und kenntnisreich beschreibt. Und in ihr zum eigenen Nutzen agiert, aber entweder nicht Willens oder nicht Könnens ist, sie beherrschend zu manipulieren. Im großen Gegensatz zu Shakespeare hat Niebergall jedoch seinen weisen, aber fehlbaren Narren zur Hauptfigur gemacht, den Datterich.

Wenn beides schwer zu verstehen ist – wieso beschäftigen wir uns also mit Shakespeare und nicht mit Niebergall? Meine Vermutung ist, es liegt – auch – am Dialekt. Nun sind zumindest Dialektanklänge aus unserem Alltagsleben nicht wegzudenken, selbst wegreden klappt nicht immer. Im Gegensatz etwa zu Bayern und Norddeutschen greifen die meisten Hessen, so mein Eindruck, auf die ihnen gegebene Variante des Hochdeutschen zurück und nutzen ihre dialektal geprägte Alltagssprache eher verschämt in der Öffentlichkeit. Hat das Hessische also ein Imageproblem und wird deswegen nicht mehr, zumindest nicht in einer städtischen Öffentlichkeit, gepflegt?

Um dieser Frage nachzugehen, habe ich eine kleine, absolut nicht-repräsentative, aber anonyme Umfrage in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gestartet, die sowohl allgemeine Fragen zum eigenen Zu- und Umgang mit Dialekt als auch zum Datterich-Hessisch umfasste. Mehr als die Hälfte der 102 Angeschriebenen hat einen ausgefüllten Fragebogen zur Verfügung gestellt.

Um es kurz zu machen: Fast alle Dialektversteher mögen mehrere Dialekte. Eindeutige Dialektsprecher sind eher auf den eigenen Dialekt fixiert. Dem Dialekt wird Kompetenz in den Bereichen „Schimpfen“ und „Alltagsgespräche“ zugetraut, weniger bei komplexen Sachverhalten. Die Selbsteinschätzung des Bildungsgrades, die Dialektsprechfähigkeit oder das Dialektverständnis haben nichts miteinander zu tun. Wenig beliebt ist Sächsisch, mit Plattdütsch können viele – und die Palette von Reaktionen auf Datterich-Hessisch ist vielfältig: von „Albtraum“ bis zum „identitätsstiftendem Merkmal“ war alles vertreten.

Richtig intensiv oder gar liebevoll waren knapp ein Viertel der Fragebögen ausgefüllt. Diesen verdanke ich Erkenntnisse wie beim Thema „Dialekt für Zärtlichkeiten geeignet“, dass selbst „Hochdeutsche“ bei der Ansprache „mein herzgebobbeltes Drecksschübsche“ schwach werden können. Hingerissen hat mich bei den von mir geforderten Assoziationen zum Datterich-Deutsch die folgende Antwort: „Darmstadts Kern-Kultur der älteren Generationen vor Einfall der Technik in die Gesellschaft; Ein mystisches Zusammenspiel von Halbwissen und ernst zu nehmenden Argumenten; Ein minimalistisches Sprachgebilde, welches komplexe Zusammenhänge auszudrücken erst ermöglicht; Süße Wortspielereien, schmeichelnd wirken sie und trügerisch verzaubern sie.“

Was soll ich da noch sagen, außer:

a) wer hat dieses letzte Zitat verfasst, kann ich die Telefonnummer haben?

b) ein fest und breit verankertes Imageproblem lässt sich dem Datterich-Hessisch anhand der getroffenen Aussagen nicht bescheinigen. Ein gutes Drittel der Antwortenden haben positive („Direktheit“) bis sehr positive („ganze Schönheit des Dialektes“) Assoziationen. Ein weiteres Viertel reagiert verhaltener, aber nur ein Fünftel bewertet Hessisch negativ („klingt doof“, „geeignet für Eintracht-Frankfurt-Fans“). Jedoch, selbst viele der Dialektliebhaber, sehen die eigene Sprechfähigkeit kritisch. Diese Erkenntnisse lassen mich das von mir (Jahrgang 1963) vermutete Imageproblem differenzierter betrachten. Geht es gar nicht um das heutige Image, sondern gab es in den 1970/80er Jahren einen generationellen Bruch im Dialekterwerb? War damals die Zeit, in der eine „Altensprache“, benutzt von „alten/älteren Männern“, nicht mehr attraktiv erschien?

c) Shakespeare ist ja schön und (sehr) gut, aber so wie die – nicht immer einfache, Einfühlungsvermögen voraussetzende – Aneignung seiner frühneuzeitlichen Werke uns heute bereichert, brauchen wir auch Niebergall in Schule und Theater! Datterich-Hessisch-babbelnde, -bräbelnde, -räsonierende und –lebende Figuren mit ihren charakterlichen Zuspitzungen ermöglichen gerade durch ihren lokalen Kontext und ihre Verortung im Alltagsleben eine Übertragung auf heutige Posen des sozialen Miteinanders. Der Datterich als Politberater, Dummbach als Aktienanalyst oder Marie als Emanze – all dies sind mögliche Assoziationen und Zugänge zum „Datterich“. Nur die Kartenrunde als Think-Tank, da scheut auch meine Vorstellungskraft zurück!

In diesem Sinne und in Variation eines der berühmtesten Zitate aus dem „Datterich“ verbleibe ich jetzt endlich, weil ich hab heit schon de ganze Obend so en vasteckte Dorscht…

Gestaltung: Rocky Beach Studio
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