Datterich_Oellampe
Gestaltung: Rocky Beach Studio

„Nimm diesen Edelstein aus Persiens Krone!“ In seinem Meisterwerk, dem „Datterich“, lässt Ernst Elias Niebergall durch mancherlei Anspielungen den Orient als teils märchenhafte, teils bessere, teils bedrohliche Gegenwelt zum beschaulichen Biedermeier in Datterichs Darmstadt aufscheinen. So durch den Titelhelden selbst, wenn er in gespielter Geistesverwirrung seinen erbosten Gläubiger Bengler als „Großmutter aus de Derkei“ begrüßt und ihm anschließend, scheinbar sterbend, den eingangs zitierten „Edelstein aus Persiens Krone“ als Abschiedsgeschenk „überreicht“.

Begeisterung für exotische Dichtung, Kunst und Musik finden wir bekanntlich schon im Europa des 18. Jahrhunderts, in dem unter anderem zahlreiche „Türkenopern“ Erfolge feiern konnten. Von mehreren Darbietungen solcher Stücke auf dem Darmstädter Hoftheater ist eine für unser Thema besonders interessant: die Erstaufführung von Carl Maria von Webers „Oberon“ am 8. März 1840 (komponiert wurde sie 1826). Wer die „romantische Feenoper“ kennt, weiß, dass der König der Elfen nur in der Rahmenhandlung mitspielt. Kern des Geschehens ist das Liebeswerben des Herzogs Hüon von Bordeaux um die Kalifentochter Rezia, die er nach vielen Prüfungen und Abenteuern schließlich heiraten darf. Die Schauplätze Bagdad und Tunis bieten reichlich Gelegenheit für orientalisches Kolorit.

Türkische Tänze – und die „Derkei“ als Sehnsuchtsort?

Datterich_Medaille
Gestaltung: Rocky Beach Studio

Aufmerksam wird der Datterich-Kenner, wenn er im Programmheft liest, wer in Darmstadt die Rolle des Kalifen Harun al-Raschid (regierte 786 bis 809) übernommen hatte: „Hr [Philipp] Nötel“. Der vielseitige Schauspieler muss nicht nur ein glaubhafter „Orientale“, sondern vor allem ein waschechter Heiner gewesen sein, hatte er doch in der Uraufführung von Niebergalls „Tollem Hund“ 1837 die Titelfigur des Fritz Knippelius verkörpert. Sein 1837 geborener Sohn Louis war – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – der erste „Datterich“ in der Uraufführung von 1862. Zu Philipp Nötels Harun kamen im „Oberon“ noch zirka ein Dutzend weitere Orientalen-Darsteller. Doch das Ganze war dem Ballettmeister Tescher offenbar noch nicht türkisch genug. Denn als Einlagen wurden im zweiten Akt ein „Großer Türkischer Grotesque-Tanz“ geboten, dessen „Solis von Herrn Dornewaß aufgeführt“ wurden, sowie im dritten Akt ein weiterer „Türkischer Tanz, von dem Damen-Ballett-Chor und Demoiselle Sophie Lehr ausgeführt“. Letztgenannte war die Dame, auf die im Datterich „e geistereich Lehr-Gedicht“ (3. Szene, 5. Bild) eines anonymen Theaterkritikers gemünzt ist.

An Oper und Ballett hatte Wilhelm Niebergall (1802 bis 1883) als Musiker im Hoftheater mitzuwirken. Es ist denkbar, dass er seinem stets klammen Schriftsteller-Bruder Ernst Elias über eine Freikarte den Zugang zum „Oberon“ ermöglicht hatte: Die „Derkei“ also als imaginäres Familienausflugsziel (oder gar Sehnsuchtsort) der Niebergalls?

Mer waaß es net, awwer schee wär’s.

 

Mach mit beim Datterich-Festival!

Darmstadt feiert seinen „Datterich“. 2015 ist das große Jubiläumsjahr rund um die berüchtigte Lokal-Ikone. Gefeiert werden soll das mit einem urbanen Theater-Festival, dem Datterich-Festival vom 4. bis 14. Juni. Allerdings nicht nur von, sondern mit allen Darmstädtern. Höhepunkt der Festspiele ist ein szenischer Datterich-Parcours durch die gesamte Stadt am Samstag, dem 13. Juni – mit Euch als Intendanten. Lasst Euer Lieblingsplätzchen, Wohnzimmer oder Omas verwunschenen Schrebergarten in Datterich’schem Rampenlicht erstrahlen. Ob Aufführung einer Szene aus Ernst Elias Niebergalls Heiner-Klassiker, eine Lesung, oder doch lieber Musik? Alles ist möglich. „Wo auch immer Ihr wollt, wie auch immer Ihr wollt“, lautet das Credo der „Langen Nacht des Datterich“, dem großen partizipatorischen Selfmade-Kultur-Event.

Ideen, Skizzen und Projekte können ab sofort bei den Festival-Initiatoren Gösta Gantner, Silke Peters und Jonas Zipf per Mail eingereicht werden: parcours@datterich-festival.de

www.datterich-festival.de

Datterich_Zitat
Gestaltung: Rocky Beach Studio