Illustration: Rocky Beach Studio
Illustration: Rocky Beach Studio

In einer Zeit, in der man nur die richtige Seite im Internet kennen muss, um in Sekundenschnelle alle Musik der Welt kostenlos saugen und anschließend auf fingernagelgroßen Speichermedien mit sich rumtragen zu können, ist es eine total bescheuerte Idee, ein Plattenlabel zu gründen. Die drei Freunde Matthias Bauer, Mathias Knuhr und Torsten Jahr, die der geneigte Leser unter anderem aus dem Morbus-Gravis-Laden oder der „Guten Stube“ kennen könnte, sagen: „Nein! Ganz im Gegenteil!“ Torsten erklärt dem P, warum.

 

Woher stammt der Name „Decoy Industry“?

Die Namensfindung hat so dermaßen ewig gedauert, dass unsere Freunde schon Witze drüber gemacht haben. Da wir ein lokales Label sind, wollten wir erst irgendwas mit Darmstadt im Namen machen, aber die erste Silbe macht es wirklich schwer, da was Gutes zu finden. Auch Lui Records oder so war im Gespräch. Im Endeffekt ist der jetzige Name aber viel besser. Der Lockvogel („Decoy“) ist nämlich so gut wie immer eine internationale Band, die die Lokalband fördert.

Seit wann existiert das Label?

Die Idee für das Label hatte in diesem Winter Konturen angenommen. Erste Veröffentlichung war dann eine Split-Single von Schwervon! und den Woog Riots, die im April in der „Guten Stube“ vorgestellt wurde.

Warum wurde „Decoy Industry“ gegründet?

Es gab drei Gründe: a) Wir hatten alle drei unabhängig voneinander den Wunsch, „Labelboss“ zu sein. b) Wir wollten der Vinyl-Single zu einer Renaissance verhelfen – und zwar nicht als Massenware, sondern als Schmuckstückchen mit edler Verpackung, denn die Verpackung hat einfach einen Wert an sich. Da haben wir zwar Kosten, aber keine Mühe gescheut. c) Es gibt viele Darmstädter Bands, die aus finanziellen Gründen nie Vinyl rausbringen könnten, wenn sich der Sache niemand von außen annimmt.

In welchem Format wird veröffentlicht und warum?

Wir veröffentlichen ausschließlich 7-inch-Singles in schwerem 80-Gramm-Vinyl, und zwar Split-Singles mit jeweils einem Song einer Darmstädter und einer international bekannten Band. Warum? CDs herauszubringen macht ja heute keinen Sinn mehr, schon gar nicht mit nur zwei Songs. Auch kann man bei CDs nicht so eine schöne Verpackung designen. Das Produkt wird bei uns vielleicht nicht gerade als Kunstwerk, aber doch als Artefakt gesehen. Popmusik hat schließlich auch was mit Kunst zu tun, schau dir mal Man’s Ruin [Liebhaber-Label des amerikanischen Comic-Künstlers Frank Kozik, dessen Scheiben zum Beispiel von den Queens of the Stone Age zu horrenden Preisen bei E-Bay gehandelt werden, Anm. d. Red.] oder die aktuell laufende Sonic-Youth-Ausstellung an!

In welchen Auflagen und in welchem Rhythmus erscheinen die Singles?

Jede Single erscheint in einer Auflage von 222 Exemplaren, handnummeriert und mit einem einzigartigen Cover. Die kann man einzeln für 7 Euro oder als Teil eines 4-Single-Abo für 28 Euro über unsere Website www.myspace.com/decoyindustry, beim Morbus-Gravis-Laden oder im „Zucker“ kaufen. Die Abonnenten können sich, falls noch nicht vergeben, ihre Nummer heraussuchen und bekommen ihr persönliches Exemplar eine Woche vor Veröffentlichung. Wir haben bereits über 20 Abonnenten, das ist für uns ein Vertrauensvorschuss, zumal ja keiner von denen weiß, was für Musik in Zukunft auf Decoy rauskommen wird. Wir versuchen, im Vier-Monats-Rhythmus zu veröffentlichen. Die nächste Single wird am 1. August erscheinen und Slowcore enthalten: Golden Gorilla aus Darmstadt und Crowskin aus Potsdam.

Welche Platte der Musik­geschichte hättest Du am liebsten veröffentlicht?

„Iron Maiden“ von Iron Maiden. Das ist ein Album, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Da kann ich jedes Gitarrensolo mitsingen. Und das Artwork ist auch großartig. [Hier finden sich übrigens Parallelen zum Declaration of Santo-Label, siehe erster Teil dieser Reihe, Anm. d. Red.].

Gibt es eine Band, die ihr bei Decoy unbedingt dabeihaben wollt?

Hmm… Ich fänd es super, wenn Walter Schreifels, der ja schon mal in der Guten Stube aufgetreten ist, eine alte, unveröffentlichte Aufnahme seiner Gorilla Biscuits von 1983 herausrücken würde [das wäre natürlich ein Ding – vier Jahre vor der Bandgründung!, Anm. d. Red.] und die zusammen mit einer jungen Darmstädter Hardcore-Band auf einer Single von uns rauskäme.

Wer ist Dein Lieblingskünstler allgemein?

Oh, was für eine Scheißfrage, … hm… : Iron Maiden, Tori Amos, Slayer, Ryan Adams, AC/DC mit Bon Scott… Mit anderen Worten: die Flippers! Wer mit Vollplayback die Festhalle vollkriegt, muss zu den ganz Großen gehören.

Zukunftsperspektive für das Label?

Ich fänd’s super, wenn wir mindestens zwölf Veröffentlichungen hinkriegen würden. Und wenn man überraschend ein oder zwei richtig bekannte Acts von der Idee überzeugen könnte. Es ist doch auch eine schöne Vorstellung, dass die Single und die dazugehörige Darmstädter Band in Gegenden gehört wird, wo sie sonst nicht hinkommen würde: USA, Finnland, Steiermark.