Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Berlin, Hamburg, London – alles kein Problem. Erst Darmstadt brachte mich an meine Grenzen. Wer wie ich das große Los gezogen hat und an einer der Darmstädter Hochschulen studieren darf, kann, will, soll oder muss, dem wird sicher schnell das ein oder andere Fragezeichen über dem Kopf schweben. Seit drei Jahren weile ich nun schon in dieser Stadt und da mir niemand auf meine Fragen Antwort geben konnte oder wollte, habe ich mir mein eigenes Darmstadt zusammengereimt. Natürlich möchte ich allen Exilanten, Zugezogenen und Studi-Frischlingen mein angeeignetes Wissen nicht vorenthalten. Aber auch echte Heiner dürfen sich angesprochen fühlen, wissen doch auch sie nicht alles über die Stadt, in der sie leben. Zur Premiere widmen wir uns einem Thema, mit dem sich wohl jeder Neuankömmling beschäftigt:

„Darmstadt, Du bist doch eine Großstadt. Wo ist eigentlich Dein Fluss?“, fragt Peter S. aus F.

Lieber Peter, dass Dir fließendes Gewässer in Darmstadt noch nie zu Gesicht kam, liegt in erster Linie an dessen unterirdischem Verlauf. Es ist ziemlich schwierig, in Darmstadt einen Wasserlauf in seiner natürlichen Umgebung zu finden. Doch es gibt einen: den Darmbach. Zu Zeiten Ludwigs IX. von Hessen-Darmstadt (1719 bis 1790) galt das Bächlein in der Stadt eher als Schandfleck und alles andere als repräsentativ. Der Anblick des Rinnsals sollte der Öffentlichkeit erspart bleiben und deshalb wurde der Darmbach, der im Übrigen der Darmquelle entspringt, zugedeckelt – und fließt seit über 200 Jahren unter Tage.

Außerhalb des Stadtkerns finden sich aber auch heute noch einige versteckte Ecken, an denen das Darmbachwasser seine öffentliche Daseinsberechtigung nicht genommen bekam. Falls Du das Bächlein mal in seiner ganzen Schönheit bestaunen möchtest, empfehle ich Dir einen Gang zum heiligen Badetümpel der Darmstädter: Der Darmbach fließt nämlich durch den Woog und taucht 200 Meter hinter dem innerstädtischen See in die Unterwelt ab. Bei einem Besuch der örtlichen Kläranlage könnten Dir ebenfalls Teile des Baches begegnen, gelangt er doch mit sämtlichen Fäkalien, die im Verlauf durch die Stadt hinzustoßen, unterirdisch direkt ins Klärwerk. Somit macht er seinem Namen alle Ehre. Aber auch die Studenten an der Lichtwiese können sich am rinnenden Wässerchen erfreuen, denn hier findet der Darmbach Eintritt ins Stadtgebiet und schafft es über den Botanischen Garten immerhin bis in den bereits genannten Woog, ja sogar noch 200 Meter weiter.

Vor einigen Jahren wollte die Stadt das Image des Rinnsals ordentlich aufpolieren. Eine neue Attraktion sollte die Offenlegung des Darmbachs werden, nicht nur für Touristen. Die Attraktivität eines Baches, der vor 200 Jahren schon niemanden begeisterte, ist mir schleierhaft. Ob die Umsetzung maßgeblich an der Finanzierung (acht Millionen Euro, womöglich minus Abwasser-Einleitungskosten) scheiterte oder doch an der dichten Bebauung und somit dem geringen Platz für einen Bachlauf, weiß sicher nur ein richtiger Heiner. Falls man Dir auch schon weiß machen wollte, die mit Trink- und Regenwasser aufgefüllte Betonrinne vor dem Darmstadtium sei Teil des natürlichen Bachlaufs, muss ich Dich enttäuschen. In die Rinne hat sich schon so ziemlich alles verirrt,  darunter Fahrräder und Fußgänger, Bachwasser allerdings noch nicht.

Auf der eigens für den Darmbach angelegten Internetseite www.darmbach.de findest Du jedenfalls alle wichtigen und weniger wichtigen Informationen und kannst Dir bedeutende (?) Fragen wie „Wird der Darmbach im Sommer verdunsten und im Winter zufrieren?“ beantworten lassen.

Ob Darmbach, Woog oder Kläranlage: Bei starkem Regen führt der Rhönring sowieso mehr Wasser als der Main; also einfach den totalen Klimakollaps abwarten, dann klappt’s auch mit dem Fluss.

Fragvicky2