Illustration: Lisa Knickel
Illustration: Lisa Knickel

Erfolgreiche Integration fängt bei der Sprache an. Viele Zuwanderer fühlen sich im alltäglichen Leben unsicher, da sie Deutsch nicht oder kaum beherrschen. Es ist das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Dabei sind viele seit Generationen hier verwurzelt und haben in Darmstadt eine neue Heimat gefunden. Verstehen und verstanden werden und sich somit in die Gesellschaft integrieren ist das Anliegen der Stadtteilbibliothek Kranichstein mit ihrem Projekt „Dialog in Deutsch“. Ein Erfahrungsbericht.

Es ist meine erste Stunde als Ehrenamtliche bei der Gesprächsgruppe „Dialog in Deutsch“. Meine Aufgabe ist es, Menschen, die erst seit kurzem oder schon seit ein paar Jahren Deutsch lernen, zum aktiven Sprachgebrauch anzuregen. Das bedeutet: Wir treffen uns einmal wöchentlich für jeweils eine Stunde in der Stadtteilbibliothek Kranichstein und erzählen, fragen, antworten und singen. Momentan leiten fünf Ehrenamtliche die Gruppe. Die Teilnehmer kommen aus ganz Darmstadt in die Kranichsteiner Bibliothek und stammen aus aller Welt: aus England, Eritrea, Karibik, Polen, Portugal oder der Iran. Ob Frau oder Mann. Alt oder jung. Hier ist jeder willkommen.

Ich schaue in die Runde. Fragende und gleichzeitig neugierige Gesichter blicken mir entgegen. Alle paar Minuten kommt jemand zur Tür herein, vom Regen durchnässt. Zwei Frauen begrüßen sich. Sie kennen sich wohl bereits. Woher, werden sie mir später erzählen: „aus dem Deutschkurs“. Eine ältere Frau lacht mich an. „Da wo ich herkomme, regnet es bestimmt nicht. Aber ich will trotzdem nicht zurück“, sagt sie. Die Frau kommt aus dem Iran. Sie trägt kein Kopftuch. Das wundert ihre Sitznachbarin. „Ich bin nicht sehr religiös“, erzählt die Iranerin.

Wir beginnen mit der Vorstellungsrunde. Ein Mann nennt seinen Namen. Ich versuche, ihn zu wiederholen. Keine Chance. Arabische Namen sind Zungenbrecher für mich. Er lacht, während ich auch beim nächsten Versuch kläglich scheitere. „Das passiert ständig. Für Deutsche ist das schwer.“ Die Frau neben ihm hat einen afrikanischen Namen. Ich finde, er klingt wie eine Blumenart. Irgendwie exotisch. Als Nächste ist eine Frau aus England an der Reihe. Ich erkenne meine England-Klischees in ihr. Helle Haut. Elegante Ausstrahlung. Der typisch britische Akzent. Ich freue mich, Menschen mit unterschiedlichster Herkunft zu begegnen und ihre Geschichten zu hören.

Quatschen ohne Hemmungen

Das Konzept eines kostenfreien, offenen Gesprächskreises auf Deutsch stammt aus den Bücherhallen Hamburg und wird seit September 2014 auch in Darmstadt angeboten. „Dialog in Deutsch“ ist kein klassischer Sprachkurs. Hier wird weder Grammatik gepaukt, noch werden Verben konjugiert oder Satzbausteine auseinandergenommen. Es gibt keine Tests oder Prüfungen. Es wird einfach gesprochen, frei und ungezwungen. Die Teilnehmer können ohne Anmeldung vorbeikommen. Die Moderation übernehmen jeweils ein bis zwei ehrenamtliche Muttersprachler, im wöchentlichen Wechsel. Es gibt kein Mindestsprachniveau, manche Teilnehmer sind seit ein paar Monaten in Deutschland, andere seit mehreren Jahren. Einige besuchen parallel Deutschkurse an der Volkshochschule oder von anderen Institutionen. Sie nutzen „Dialog in Deutsch“, um ihre bisher erworbenen Kenntnisse praktisch anzuwenden.

Um dem Projekt das Schulische zu nehmen, werden Fehler nur auf Wunsch korrigiert. Denn wer Angst hat, etwas falsch zu sagen, spricht gehemmter – und wohl auch weniger. Deshalb ist das freie Sprechen zentraler Bestandteil des Projekts. Spiele wie „Ich packe meinen Koffer“ oder das Ratespiel „Wer bin ich?“ regen die Teilnehmer zur Konversation an und machen gleichzeitig Spaß. Außerdem werden Aufgaben wie Sätze zu vervollständigen und Gedichte in die richtige Reihenfolge zu bringen gestellt, es wird gelesen und gemeinsam gesungen. Und dazwischen einfach frei gesprochen und erzählt. Ein „Dialog in Deutsch“ eben.

Was macht der Hase überhaupt im Pfeffer?

Illustration: Lisa Knickel
Illustration: Lisa Knickel

Die Gesprächsthemen werden von den Gruppenleitern vorgegeben, ergeben sich während der Stunde oder werden von den Teilnehmern als Wunsch geäußert. Sie können sich frei einbringen und Fragen stellen, wozu auch immer sie etwas wissen möchten. Einige bringen ihre Notizbücher mit und schreiben neu gelernte Wörter direkt auf, um sie wieder zu verwenden. „Gleichberechtigung? Das ist ein komisches Wort“, bemerkt eine Frau und lacht. Auch über Sprichwörter und Redewendungen aus dem Alltag wird gerätselt: „Wann sagt man: Da liegt der Hase im Pfeffer?“, fragt ein Teilnehmer „und was macht der überhaupt im Pfeffer?“.

Immer wieder sind Traditionen und kulturelle Eigenarten aus dem Herkunftsland und der neuen Heimat Deutschland Thema. Außerdem bekommen die Teilnehmer während „Dialog in Deutsch“ wichtige Informationen zur Stadt Darmstadt. Aber auch viel Persönliches wird erzählt: Wer kommt woher? Weshalb wurde das Heimatland verlassen? Wie heißen die Kinder und was bedeutet der Name? In vertrauter Gesellschaft ist es einfacher möglich, offen zu erzählen. Der Gesprächskreis dient also auch dem Austausch und der Kontaktaufnahme.

Respekt und Toleranz gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft sind Voraussetzungen für die Teilnahme an „Dialog in Deutsch“. Das gilt sowohl für Teilnehmende als auch für Leitende. Die Gruppe dient nicht als Forum für politische, ideologische oder religiöse Auseinandersetzungen. Dem Anderen entgegenzukommen ist eines der Grundmotive. Während der „Dialog in Deutsch“-Stunde kann auf den Einzelnen eingegangen werden, wenn er etwas nicht verstanden hat. Das Tempo wird jederzeit angepasst.

„Ich will, dass mich die Leute in Deutschland besser verstehen und genau wissen, was ich meine“, sagt eine Teilnehmerin aus der Karibik. Sie wünscht sich ihre Kinder auf deutschen Schulen in der Schulzeit sicher zu begleiten. Ein Gespräch mit den Eltern der Schulkameraden zu führen, Entschuldigungen zu schreiben. Mit einer Sprachbarriere werden sogar alltägliche Aufgaben zum Hindernis. Die Kinder der Teilnehmer sind währenddessen in der Vorlesestunde nebenan untergebracht. So kommt auch der Nachwuchs mit der deutschen Sprache auf erzählerische Weise in Kontakt.

 

„Dialog in Deutsch“: Wann? Wo? Wie?

Der „Dialog in Deutsch“ wird jeden Mittwoch von 16.30 bis 17.30 Uhr (auch in den Schulferien) in der Stadtteilbibliothek Kranichstein (Bartningstraße 33) gepflegt.

Ehrenamtliche Helfer sind jederzeit willkommen. Kontakt: Stadtteilbibliothek Kranichstein, Telefon (06151) 9671535

www.darmstadt.de/leben-in-darmstadt/bildung/stadtbibliothek/standorte/stadtteilbibliothek-kranichstein