Foto: Claus Völker
Foto: Claus Völker

Einer der weltweit bedeutendsten Schriftgestalter und Grafiker lebt und arbeitet in Darmstadt: Hermann Zapf kann ohne Übertreibung als „Ikone der Typographie“ bezeichnet werden. Wahrscheinlich hat jeder schon einmal mit einer seiner Schriften einen Text am PC erstellt oder eine Mail geschrieben. Wiederholt hat das P-Magazin in den vergangenen zwei Jahren versucht, Hermann Zapf zu treffen und zu interviewen. Leider musste er zweimal kurzfristig krankheitsbedingt absagen. Anlässlich seines 95. Geburtstags erschien dann im Darmstädter Echo vom 07.11.2013 eine so gelungene „Würdigung von A bis Z“, dass wir Autorin Alexandra Welsch und das Echo kurzerhand um Erlaubnis baten, den Artikel auch im P veröffentlichen zu dürfen. Und wir bekamen sogar die „extended version“. Herzlichen Dank an Alex und „das Echo“! Hier ist: „Das ABC des Hermann Zapf“.

Alphabet. Hermann Zapf ist umgeben davon. Im Haus des Mannes, der weltweit als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Typografen und Buchgestalter des 20. Jahrhunderts gilt, sind die Buchstaben omnipräsent. Im Arbeitszimmer auf Buchrücken oder hinter Glas. Im Wohnzimmer als Schriftblätter gerahmt. Dort leuchtet bunt ein verschlungenes ABC von der Wand: Das freche B stubst ein ahnungsloses A an, über N, P und Q legt sich ein ausladendes O. Buchstabenfamilie. Auch im Garten tummeln sie sich auf einer Metallplastik: „Hora fugit, carpe diem.“ Die Zeit vergeht, nutze den Tag.

Buch. Die Urzelle seines Schaffens. Nicht nur, weil er 1935 anfing, sich nach Lehrbüchern von Rudolf Koch und Edward Johnston mit dem Schriftschreiben zu befassen. „Ein Buch ist ein ästhetisches Stück, etwas Haptisches, was Sie anfassen können“, sagt Hermann Zapf, während seine 95 Jahre alten Hände lebhaft durch die Luft fahren und die Worte untermalen. „Ein Haushalt, der keine Bücher hat, ist eine leere Welt, da ist keine Wärme drin.“

Computer. Der Buchgestalter verteufelt ihn nicht. Im Gegenteil: Er arbeitet zwar nicht mit, aber für ihn. Zig Alphabete aus seiner Hand sind heute fester Bestandteil in der Schriftauswahlliste am heimischen PC. Die Palatino zum Beispiel. „Der Bildschirm wird dominieren – das tut er ja schon, aber dass er das Buch total verdrängt, glaube ich nicht“, sagt Hermann Zapf. Der Computer sei für vieles nicht mehr zu entbehren, aber er stelle eine abstrakte Welt dar. Sein Ton bekommt einen beseelten Klang: „Aber von der Ästhetik her sagt mir ein Gedicht am Bildschirm lange nicht so viel, als wenn ich das schön dargestellt auf Papier in einem Buch finde. Ich bin überzeugt, dass selbst in hundert Jahren Leute noch gern ein schönes Buch anschauen.“

Darmstadt. Hier lebt er seit 1972. Damals holte ihn die Prinzessin an den Woog, um eine Privatpresse aufzubauen. Doch das Projekt ist gestorben, bevor es zu leben begann. Finanzprobleme. Der Typograf blieb. „Ich hatte mehrfach die Möglichkeit, in die USA zu gehen, aber wir haben’s ja hier so schön“, befindet er. „Der Vorteil an Darmstadt ist, dass die Proportionen menschlich, sympathisch, nicht so übermäßig und aufgeblasen sind.“ Wie eine Schrift namens Darmstadt aussehen müsste? Schwierig. „Eine Schrift sollte ja etwas Bestimmtes ausdrücken, und Darmstadt sagt mir zu wenig für Buchstaben.“

Entwerfer. Als solchen sieht er sich selbst. Ganz klar. Alte Schule.

F. Ein kniffliger Kandidat. Hermann Zapf spricht aus dem Nähkästchen: „Früher war das immer der schwierigste Buchstabe, das kleine F kursiv – daran haben sich alle den Kopf zerbrochen.“ Und ihn anschließend verkürzen müssen, damit er auf die Schriftsetzmaschinen-Matrize passte.

Gudrun Zapf von Hesse. Seit mehr als sechzig Jahren seine Frau. Und ebenfalls eine Schrift- und Buchgestalterin von Weltrang.

Hand. Sie hält einen Bleistift und zeichnet schwungvoll ein wohl geformtes K. Dann wandert sie gewissenhaft über das Papier und produziert ein Millimeter kleine Buchstaben. Gleichmäßig und ruhig, wie ein automatisiertes Schreibwerkzeug. Viele seiner Kollegen entwerfen Schriften am Computer. Zapf nicht. „Ich habe noch eine absolute Kontrolle über meine Hand, warum soll ich da ’ne Maschine nehmen?“, fragt er. „Das ist genau wie bei einem Klavierspieler: Der kann sich auch eine CD anhören, aber dann ist der Spaß weg.“ Die Hand zeichnet weiter, ohne Zittern – nicht mal der Puls macht sich bemerkbar. Hermann Zapf lacht: „Ich trinke keinen Kaffee, vielleicht liegt’s daran.“

Inspiration. Die spielt im Schaffen von Hermann Zapf weniger eine Rolle. Die Arbeit basiert vielmehr auf Vorgaben von Firmen, die neue Möglichkeiten ausprobieren wollen. „Der technische Fortschritt macht die Geschichte interessant, weil man immer wieder Neuland betritt“, betont er. „Neue Möglichkeiten versuchen und in eine Schrift einbauen: Das ist es, was mich interessiert.“

Jeans. Hermann Zapf trägt keine.

Kunst. Kann, sollte oder muss Schrift das sein? Kann – ja, sollte – nicht, muss – auf keinen Fall. „Sie können mit Schriften richtig rumspielen, dagegen ist nichts zu sagen“, befindet Zapf. Einerseits. Aber: Schrift als reiner Selbstzweck ist für ihn nicht erstrebenswert. „Prinzipiell ist das ein Produkt, das einen Gebrauchszweck hat.“ Punkt.

Lesbarkeit. Darum geht es. Bevor eine Zapf-Schrift auf den Markt kommt, wird sie umfangreich durchgetestet. An Erwachsenen, an Kindern, unter verschiedenen Lichteinflüssen. „Die Lesbarkeit haben wir früher nicht so beachtet“, berichtet Zapf. „Aber da haben die Leute auch langsamer gelesen. Wir haben ja heute nicht mehr so die Ruhe wie früher, die Muße ist fort.“ Was er allein alles an Zeitschriften zu lesen habe… „Sie können das alles nur durchblättern, wie wollen Sie das denn sonst bewältigen?“ Er hat einen Weg gefunden. Seit er einen amerikanischen Schnelllesekurs mitgemacht hat, packt er Zeile um Zeile zwischen kleinen und Zeigefinger und fährt den Text von oben nach unten ab. Fokussierungsschiff in der Informationsflut.

Mitte des Alphabets. Durchatmen. Hermann Zapf sitzt leger im Sessel und lässt den Blick durch das große Fenster in den Garten schweifen. „Ich kann hier immer so schön ins Grüne gucken“, sagt er und lächelt sein aufgewecktes Lächeln.

Natur. Buchstaben wachsen dort nicht. Vielleicht zieht es ihn dort deshalb ständig hin. Vielleicht.

Optima. Eine Druckschrift. Zapf schuf sie zwischen 1950 und 1958. Serifenlos, schnörkellos, schlicht – optimal geeignet für Massenmedien, wie er feststellt. Sie gehört zu seinen Lieblingsschriften.

Pension. Der Schriftentwerfer ist schon lange im Ruhestand, doch zum Stillstand wird es Zeit seines Lebens wohl kaum kommen. „Schriften, die ich früher gemacht habe, müssen inzwischen noch ergänzt werden, zum Beispiel für Microsoft die Palatino.“ Das müsse er zu Ende bringen, weil sich jemand anderes da gar nicht reindenken kann. Nicht nur deshalb: „Das macht mir Spaß.“

Querdenker. Ist er nicht. Hermann Zapf ist Pragmatiker mit einem ausgeprägten und erfahrenen Sinn für klassische Ästhetik. Über den experimentierfreudigen Typografen-Nachwuchs, der Buchstaben verstümmelt, kann der ehemalige Lehrbeauftragte daher manchmal nur den Kopf schütteln: „Wenn man damit sein Brot verdienen will, kann man nicht jeden Tag so was Verrücktes machen. Die sollen lieber die Grundlagen lernen.“

Rosenhöhe. Sein Lieblingsort in Darmstadt. „Für mich ist die Rosenhöhe die Zentrale. Und da ich direkt nebendran wohne, ist sie quasi ein Stück geliehener Garten, den ich nicht bewirtschaften brauche.“ Nicht alles in Darmstadt findet seinen Beifall, betont Zapf. „Aber was die Rosenhöhe angeht, das ist ein großes Verdienst von Darmstadt. Wie die Gärtner das in Schuss halten, das ist schon enorm. Die ist so schön, ich brauche gar nichts anderes.“

Schriften. Fast 200 hat er entworfen. Die erste Drucktype entstand 1938 in Frankfurt, eine Fraktur namens Gilgengart. Es folgten unter anderem Palatino und Michelangelo, Melior, Saphir, Linofilm Venture, Zapf Rennaissance Antiqua, ITC Zapf Chancery, Zapfino oder Zapf Dingbats. Produktiv war der emsige Schriftgestalter aber nicht nur auf dem Gebiet des lateinischen Alphabets: Er entwarf arabische und griechische Druckschriften, arbeitete an der Vereinheitlichung der Schrift in Nigeria oder überarbeitete alte Schriftzeichen neu für die Cherokee-Indianer. Seine Alphabete finden sich heute in Büchern und Zeitschriften auf der ganzen Welt, im Fernsehen, auf Briefmarken in vielen Ländern und überall dort, wo elektronische Textverarbeitung mit Laserdruckern angewendet wird.

Typograf. Gestalter mit Druckschriften.

Urheberrecht. In Hermann Zapfs Gesicht breitet sich Enttäuschung aus, wenn dieses Stichwort fällt. „Meine Schriften sind die meist kopierten in der ganzen Welt“, bedauert er. „Vor allem die Amerikaner sind dafür bekannt, dass sie solche Dinge nicht respektieren.“ Für ihn eine traurige Geschichte. Einklagen? Unmöglich. „Ich kann heute keinen jahrelangen Prozess mehr führen – und finanziell schon gar nicht.“

Vita. Vital gefüllt im Falle von Hermann Zapf: Am 8. November 1918 in Nürnberg geboren, übersiedelte er 1938 nach Frankfurt, wo er für die Druck- und Notenwerkstatt „Haus zum Fürsteneck“ arbeitete und später als künstlerischer Leiter in der Schriftgießerei D. Stempel AG. Später lehrte er: 1948 bis 1950 an der Werkkunstschule Offenbach, 1960 am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh/Pennsylvania, ab 1972 an der Technischen Hochschule Darmstadt und von 1977 bis 1987 als Professor für „Typographic Computer Programs“ am Rochester Institute of Technology im Staat New York. 1974 erhielt er den Gutenberg-Preis der Stadt Mainz und 1985 die Auszeichnung Honorary Designer for Industry der Royal Society of Arts in London – zwei Auszeichnungen von vielen.

Wandel. Vom Bleisatz zum Fotosatz zum digitalen Satz. Zapf hat die druckgrafische Entwicklung von der Gutenberg-Ära zum Computerzeitalter nicht mitgemacht – er hat sie mitbestimmt. Er war einer der ersten, der das historische Erbe jahrhundertealter europäischer Schriftkunst mit den technischen Möglichkeiten computergestützter Typografie zu verbinden wusste. Bereits seit den sechziger Jahren hat er sich – damals innovativ und mutig – als Gestalter für typografische Computerprogramme engagiert. Allerdings, ohne sich von den Wurzeln zu entfernen. Bis heute zeichnet er ausschließlich mit Pinsel und Stift auf Papier.

X/Y ungelöst. Stichwort Geheimschrift. Seine erste Arbeit. Entworfen hat er sie als kleiner Junge zusammen mit seinem Bruder, damit die Eltern nicht mitbekommen, was in den Köpfen ihrer Sprösslinge vor sich geht. Wie sie funktionierte, lässt Zapf – ein verschmitztes Grinsen im Gesicht – im Unklaren. „Hat etwas mit deformierten Buchstaben zu tun“, verrät er nur. „Das ergibt Worte, die kann kein Mensch lesen.“ Spitzbübische Jugendsünde eines an Funktionalität orientierten Schriftentwerfers.

Zapf. Hermann. Unter diesem Stichwort listet die Suchmaschine Google mehr als eine Million Internet-Einträge auf. Daneben ist der renommierte Schriftentwerfer in unzähligen Lexika zu finden. Und im Darmstädter Telefonbuch. Ganz unspektakulär und normal.

 

Sämtliche Typographien von Hermann Zapf im Überblick:
www.linotype.com/de/645/hermannzapf.html
www.linotype.com/645-31047/hermannzapf.html

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