Foto: Earlstreet
Foto: Earlstreet

Was ist Earlstreet? Es ist gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Zuallererst ist es ein Gebäude im Hinterhof der Pallaswiesenstraße 25, das von kreativen Darmstädtern vielseitig genutzt wird: als Atelier, Kunstgalerie, Arbeitsraum, Verkaufsshop für Kunstobjekte und Designs, aber auch als Ort für Konzerte und Theateraufführungen. Für das Organisationsteam ist Earlstreet aber mehr: ein Konzept, was sich mit dem urbanen Leben in Darmstadt beschäftigt und eine Plattform für lokale Designer und Künstler bietet.

„Leerstände sollen bespielt werden, wodurch die Orte wieder attraktiver werden“, erklärt Diplomdesigner und Mitbegründer Johannes Gonné. Wahrscheinlich kein Zufall, dass die Idee für „Earlstreet“ unter anderem durch eine ungenutzte Immobilie in der Grafenstraße entstand. In deren Erdgeschoss wurden 2009 im Rahmen einer Diplomarbeit Prototypen aus dem Bereich Industriedesign gezeigt [ausführlicher Artikel im P, Ausgabe 18]. Das Projekt kam gut an – und plötzlich wollten auch Darmstädter Künstler gern ihre freien Arbeiten zeigen und verkaufen.

Jede Straße kann eine Earlstreet werden.

Das Konzept ist bewusst nicht ortsgebunden: Earlstreet-Orte werden immer nur zwischengenutzt, renoviert. Sie sollen in einem neuen Blickwinkel gezeigt werden – auch, damit sich vielleicht wieder Mieter für die Objekte finden. Nachdem dies in der Grafenstraße geschehen war, fand man – mit Hilfe der Stadt Darmstadt – eine Halle im Hinterhof der Pallaswiesenstraße 25 (ehemals: „Second Hand Poidomani“). Earlstreet nutzte aber zeitweise auch schon eine Location in der Bismarckstraße für ein Partyprojekt mit Videoprojektion und bespielt seit kurzem eine Schaufenster-Galerie in der Schulstraße (mehr dazu in der Infobox). „Jede Straße in Darmstadt kann eine Earlstreet werden!“, erklärt Julia Krämer vom Organisationsteam.

Mittlerweile wurde mit einer Vielzahl von Initiativen und Künstlern kooperiert, Earlstreet war unter anderem Teil des Kultursommers Südhessen und des Architektursommers Rhein-Main. Finanzielle Unterstützung liefert das Designstudio Rutan, wodurch die Künstler die Räume in der Pallaswiesenstraße kostenlos nutzen können.

Als besonders schön in Erinnerung haben die Mitglieder des Organisationsteams das Konzert des kanadischen Songwriters David Celia. Ein besonderes mediales Interesse weckten sie aber vor allem mit einer Aktion beim letzten Architektursommer: Im Rahmen des Projekts „Let’s talk about Darmstadt“ sollte Earlstreet einen Beitrag zur Belebung des Friedensplatzes am Schloss leisten, und so bespielte man auch hier eine leerstehende Fläche: den anliegenden Schlossgraben. Eine Horde Schweine wurde für drei Tage auf der Wiese ausgesetzt, nachdem ihnen mit Viehmarkierungsspray die Logos ansässiger Unternehmen, die die Aktion unterstützten, auf die Haut gesprüht worden waren.

Schweinische Kunst

Die sieben „Super-Kultur-Sparschweine“ sollten provokativ den Blick auf das „gesunde (oder ungesunde) Verhältnis von Kunst, Kultur und Konsum werfen“, wie Johannes erklärt, sie lösten aber hitzige Diskussionen aus. Tierrechtler verteilten Flugblätter und erregten sich darüber, dass die Schweine nach der Aktion geschlachtet werden sollten. Sogar die „BILD“-Zeitung rief bei Earlstreet an und fragte, wieso man Schweine für Kunst töten wolle. Die Schweine wurden aber gerade durch die Aktion der „Produktionskette“ vom Züchter zum Schlachter entzogen und leben mittlerweile auf einem Gnadenhof. Die Aufregung hat sich gelegt – und Julia resümiert: „’Let’s talk about Darmstadt‘ – das Konzept ist auf jeden Fall aufgegangen!“

Dass in der Vergangenheit auch mal Dinge schiefgelaufen sind, zum Beispiel, dass Besucher wegen organisatorischer Schwierigkeiten vor verschlossenen Earlstreet-Türen standen, findet das Team schade und entschuldigt sich dafür. Gleichzeitig verweist man auch auf die basisdemokratische Struktur des Projekts: Alle Künstler können die Räume gratis nutzen, es gibt keine Hierarchien, dafür muss aber jeder seine ihm zugeteilte Aufgaben erfüllen. Externe Aussteller bekommen unter anderem auch die Verantwortung übertragen, selbst für die Organisation und die Betreuung der Gäste zu sorgen.

Für die Zukunft wünscht sich das Earlstreet-Team weitere spannende Projekte, interdisziplinäre Veranstaltungen – und vielleicht noch weitere Standorte und -punkte.

www.earlstreet.org