montagsgedanke
Foto: Jan Ehlers

Meine Freundin Claudi mag elektronische Musik und geht gerne tanzen. Doch die Musikrichtung Elektro mag sie nicht besonders, dieses „Brrrrrrriiiiiiiiiiiii“ und „Wuwuwuuwuwuwuuuuuuuu“, wie sie immer meint. Dabei schürzt sie die Lippen, rauft sich die Haare, wirft die Arme in die Luft und macht so, als würde ihr Kopf explodieren. Das ganze aufgebauschte, aufgeregte Hin und Her. Das Geheule, die Sirenen, Kanonenschüsse, knallende Peitschen und die ständigen Kraftausdrücke. „Furchtbar“, sagt meine Freundin Claudi dann immer. Nun, ich bin nicht ganz ihrer Meinung, aber natürlich verstehe ich, was sie meint.

Ein Elektro-Song hat häufig die Eigenschaft mehrere aufeinanderfolgende Höhepunkte dramatisch einzuleiten, was auf Dauer eben sehr anstrengend sein kann und einen sehr kurzen Spannungsbogen zur Folge hat. Elektro hat sich in den letzten Jahren immer mehr zu überhartem Geballere entwickelt. Damit meine ich keinesfalls Dubstep. Das ist noch mal eine andere Hausnummer für sich.

Aber die Leute können harten, maschinellen Elektro nicht mehr über mehrere Stunden ertragen. Auch meine Freundin Claudi nicht. Zumindest nicht mehr die ganze Nacht, wenn die DJs stündlich um den härtesten und ravigsten Sound konkurrieren und sich die Gäste nach dem Disco-Besuch fühlen, als hätten sie eine Acht-Stunden-Schicht auf einer Großbaustelle hinter sich. Ich bin sehr froh, dass dieses „auf die Fresse“-Auflegen weitestgehend ausgedient hat.

Total angesagt, nach Indie und Elektro, ist seit geraumer Zeit House und Deep House. Wer hip und vor allem jung ist, geht gerne auf Deep House „feiern“. „Partymachen“ (alter Begriff aus den Neunzigern) ist als umschreibender Begriff nämlich keinesfalls mehr zutreffend und dieses Phänomen lässt sich auch zunehmend beobachten.

Ich habe den Eindruck, dass die tanzenden Massen beim „Feiern“ auf House, Deep House oder Tech House immer lethargischer werden. Alle tanzen den gleichen monotonen Tanz (stundenlang), alle haben den gleichen Style. Wer nicht selbst zum Fleisch gewordenen Instagram-Selfie mutiert, gehört nicht dazu. Über der Robotermasse und den stummen Gesichtern liegt ein Schleier, der alles etwas weicher zeichnet. Versteht mich bitte nicht falsch, ich mag diese Art der elektronischen Musik, mir gefällt einfach die damit einhergehende Attitüde und Coolness nicht besonders.

Noch vor einigen Jahren konnte ich den Tanzstil von jedem meiner Freunde imitieren, man fand immer eine Geste oder Eigenart, die Wiedererkennungswert hatte. Natürlich sorgte das auch hier und da mal für einen Lacher, denn im Prinzip hat sich jeder mit seinem Tanz-Spleen geoutet und damit sogleich authentisch einen kleinen Teil seiner Persönlichkeit und Emotion ausgedrückt.

Heute kann ich allein mit einem Tanzstil 300 Gäste einer bestimmter Location pantomimisch über einen Kamm scheren. Klar war gerade im elektronischen Bereich schon immer eine Kategorisierung möglich – beispielsweise „die Schranzer“. Aber das waren tatsächlich Kanarienvögel und ausgeflippte Typen, nicht die breite Masse – und schon gar nicht diejenigen, die man heute als Hipster bezeichnen könnte.

Es wird nicht mehr Party gemacht, man hört kein Giggeln, Lachen, Schreien. Niemand macht mehr Quatsch. Und das macht Sinn. Denn um die aufwendigen Shuffles zu demonstrieren, gehört bei weniger begnadeten Tänzern schon eine gute Portion Konzentration zum Kunststück dazu. Bei manchen hat man sogar das Gefühl, sie würden zum Tanzen gezwungen.

Keiner möchte unangenehm durch wildes Dancen oder sonstige, nach außen getragene Glücksemotionen auffallen. Schaut man den jungen Gören in die Augen, sieht man keine Freude, auf dem Mund kein Lächeln. Es sieht aus, als hätten sie keinen Spaß bei dem, was sie da gerade tun. Sie tun’s, sie kommen, weil es angesagt ist.

Ich bin kein Fan vom Ausdruckstanz, wenn man den Baum im Wind macht oder seinen Namen tanzen kann. Aber etwas mehr Emotionen oder ein freundliches Gesicht stünde dem ein oder anderen Disco- oder Festivalbesucher sicherlich gut.

Ihr lest den Montagsgedanken: Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

DorisDJ

Foto: Jan Ehlers

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de nieder. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch im P.

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