Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Entgegen üblicher Forderungen (höfliche Bitte kann man das meist nicht mehr nennen) kam ein Gast auf mich zu und winkte mich zu sich heran: „Kannsde ma bisschen weniger Bass machen?!“ Das Ganze geschah, by the way und nebenbei bemerkt, in einem Darmstädter Club, in dem einem erfahrungsgemäß nicht gerade die Hosenbeine vor lauter Basswellen flattern, sondern vor Höhen und Mitten eher die Ohren klingeln.

Seither male ich mir aus, dass dieser nette Herr, wo auch immer er ein Etablissement mit musikalischer Umrahmung betritt, immer zuerst den Auslöser dieses Übels –also den DJ aufsucht–, um ihn oder sie auf das Bassproblem aufmerksam zu machen. Dies tut er nicht, weil es ihn besonders stört, er Ohrensausen davonträgt oder eine – nach einer Kriegsverletzung – in seiner Schädeldecke befindliche Platte anfängt, schmerzhaft zu vibrieren. Nein, dieser Herr tut das einfach, weil es eine Angewohnheit mit großem Wiedererkennungswert ist. Ein auditives Wahrnehmungssyndrom schließe ich aus.

Pfauenhafter Charme

Pfauen haben unheimlich schöne Federn, andere Männchen imposante Hörner, manche Vögel werben mit schönem Gesang und ausschweifender Farbenpracht. Ja meine Güte, da müssen sich doch auch Männchen unsere Gattung was Einzigartiges einfallen lassen, um nachhaltig in der Brunftzeit bestehen zu können. Mir ist diese kurze Begegnung jedenfalls in Erinnerung geblieben – und ein leichtes Schmunzeln liegt auf meinen Lippen … beim Gedanken an den besonderen Charme so mancher Darmstädter.

Tacheles, dieser Herr hat sich mit wenigen Worten des Halbwissens auf Glatteis begeben und sich somit als Wichtigtuer und Stammgast mit „Chefbekanntschaftkomplex“ [1] innerhalb kurzmöglichster Zeit selbst geoutet. Leider gibt es immer noch viel zu viele Männer im mittleren Alter, die besonders nach zwei, drei Bier oder einer Brise Schneeberg meinen, sie müssten dem „Dingelchen“ da hinterm Pult mal einen Tipp geben.

Ähnlich nerviges Verhalten erfährt man sonst nur bei trendigen Teenie-Gören, die es mögen, das DJ-Opfer ihrer Wahl subtil herauszufordern, indem sie sich ein Lied wünschen, das der DJ mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit nicht hat und das von einer Band stammt, deren Namen unaussprechlich, unverständlich und wahrscheinlich nicht existent ist. Wo haben diese Mädchen nur diese Selbstverständlichkeit ihres Daseins her, diese Selbstüberschätzung? Nie im Leben hätte ich mir so etwas herausgenommen, ich war in diesem Alter froh, es überhaupt am Türsteher vorbeigeschafft zu haben, und habe mich gegenüber Beschäftigten des Clubs (Thekenpersonal, Klofrau und vor allem DJs) so unauffällig wie möglich verhalten. Irgendwie hatte die Jugend früher sowieso mehr Respekt vorm DJ. Kein Wunder, dass man heute den Aufleger optisch durch eine kleine Festung hochstilisiert, um ihn oder sie vor den Quängel-Girls und Checker-Boys zu schützen.

Ihr könnt Euch auch nicht vorstellen, wie schwer es für weibliche DJs sein kann, nach einer Pinkelpause wieder auf die schützende Burg hochzukommen: Mehrere breitschultrige Männer und Girls mit Songwunsch verstopfen in Türstehermanier den schmalen Eingang – und keiner kommt auf die Idee, das Mädel, das gerade versucht durchzukommen, einmal durchzulassen („Was will die denn, ich steh hier auch an, also stump nich so!“). Manchmal hat man als Frau in diesem Zusammenhang aber auch Vorteile, da zuerst alle Männer hinterm Pult (Lichttechnik, Visuals und herumstehende Bekannte) mit unmöglichen Songwünschen angelabert werden, bevor die Halbstarken auf die Idee kommen, die Musik könne von den beiden, in der Mitte am Mischpult befindlichen Frauen aufgelegt werden. Zum Glück sind diese Nervensägen spätestens um zwei Uhr nicht mehr am DJ-Pult anzutreffen, weil von Erziehungsberechtigten eingesammelt und nachhause kutschiert.

Es gibt tatsächlich mindestens genauso oft sehr charmante und musikalisch passende Anfragen, die in den meisten Fällen so anfangen: „Tschuldigung, darf man sich denn bei Dir auch etwas wünschen?“. Leider wäre es langweilig gewesen, darüber zu berichten.
[1] Chef, Thekenpersonal und Stammgäste werden ausufernd mit Einschlagen und Rückenklopferei begrüßt. Man kennt sich und ist aus diesen Gründen ein Gast mit Mitbestimmungsrecht. Veränderungen, neue Gesichter, neue Musik werden mit Gleichgesinnten sehr kritisch auf Tauglichkeit überprüft.

Ihr lest Montagsgedanken – Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch bei uns.

www.facebook.com/DontCanDJ