Foto: Staatstheater Darmstadt
Foto: Staatstheater Darmstadt

Jana Zöll (30) hat Glasknochen und ist rund um die Uhr auf Assistenz angewiesen. Doch das hat sie nie davon abgehalten, das zu tun, was ihr Spaß macht. Sie hat sich den Traum von einem Leben als Schauspielerin erfüllt und ist nach ihrer Ausbildung an der Akademie für darstellende Kunst in Ulm fester Bestandteil des Ensembles am Staatstheater Darmstadt. Über eine Frau, die sich durchgesetzt hat.

Wusstest Du schon immer, dass Du auf die Bühne willst?

Dass ich das beruflich machen würde, kam in meinem Kopf überhaupt gar nicht vor, aber ich habe schon in der Grundschule in der Theater AG mitgemacht. Ich habe also immer die Gelegenheit genutzt, wenn es sie gab. Auch weil ich das Gefühl hatte, dass ich dort am ehesten gleichwertig dazugehörte.

Wie haben die anderen Kinder auf Dich reagiert?

Kleine Kinder haben gar kein Problem damit, die fragen dich drei Fragen und dann spielen sie mit dir. Deshalb wäre es ja auch so wichtig, dass die Beschulung von Anfang an gemeinsam stattfindet – oder schon im Kindergarten, damit da keine Berührungsängste aufkommen. Später wurde es dann schwieriger. In der Pubertät war ich eine ziemliche Außenseiterin. Umso wichtiger wurde für mich dann das Theaterspielen, weil man da ja zusammen etwas auf die Bühne bringen will.

War der Start ins Berufsleben schwer?

Absolut! Ich war mir sicher, ich würde niemals im Leben eine Festanstellung bekommen und genau so wurde es mir an der Schauspielschule von einem Dozenten gesagt: „Du brauchst nicht denken, dass du damit Dein Geld verdienen kannst und je ein Fest-Engagement kriegst.“ Ich bin dazu halt zu speziell. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der sich sagen lässt, was er kann und was nicht – das habe ich an der Schule auch öfter bewiesen. Aber ich habe es tatsächlich selber geglaubt, weil ich denke, im Allgemeinen ist die Gesellschaft immer noch nicht so weit. Was hier passiert in diesem Haus [im Staatstheater Darmstadt; Anm. d. Red.], ist für die heutige Zeit ein kleines Wunder.

Wie riskant ist es für Dich, Deinen Beruf auszuüben?

Das ist schwierig zu benennen. Mal kann ich irgendwo runterfallen und es passiert gar nichts – und mal kriege ich einen Stups und es ist etwas gebrochen. Es kommt immer auf die Situation an. Ich war zum Beispiel bei einer Assistentin auf dem Arm, wir sind gestolpert und gegen einen Türrahmen gefallen. Sie hatte an der Hand einen kleinen blauen Fleck und ich hatte das Schlüsselbein gebrochen.

Ist der Rollstuhl Dir manchmal im Weg, wenn es darum geht, eine Rolle zu verkörpern?

Ich glaube da ja nicht dran, dass mir das im Weg steht. Es kommt aber immer auf die Fantasie des Regisseurs an, ob der sich das vorstellen kann oder nicht. Im Theater kann man eigentlich alles abstrahieren und Action so umsetzen, dass es auch mit mir geht. Bei „Mio, mein Mio“ saß ich auf einem Pferd. Da war ein kleiner Sitz, ich hatte also ein bisschen Rückensicherheit durch den Sattel, an dem ein Gurt befestigt war. Es war nur immer die Frage: Kriegen mich da meine Kollegen hineingesetzt? Aber solche Risiken muss man eingehen. Ich muss total vertrauen, aber das muss ich ja sowieso. Auch meinen Assistentinnen muss ich mich immer komplett anvertrauen, deshalb habe ich da wohl weniger Ängste als andere. Aber Theaterspielen ist sicherlich das Gefährlichste, was ich in meinem Leben mache – und dennoch: Auf der Bühne ist noch nie etwas passiert.

In „Mio, mein Mio“ hattest Du Deine erste Hauptrolle.

Mich als Mio in dem Märchen zu besetzen, war natürlich eine grandiose Idee. Da waren hunderte oder gar tausende Kinder in diesem Stück – und die sind mit einem komplett anderen Blick auf mich rausgegangen. Ich habe das immer wieder auch bei den Aufführungen erlebt. Die ersten zwei bis fünf Minuten waren unruhig, Getuschel, Gemache und Getue und ab dann: Totenstille. Die Kinder waren nur noch in der Geschichte drin und es hat die einen Furz interessiert, ob Mio im Rollstuhl sitzt oder nicht.

Theater und Inklusion – wie passt das zusammen?

Bei Erwachsenen sind oft zu viele Denkmuster vorhanden, zu viele Schubladen. Es gab zum Beispiel Lehrer, die ihre Karten-Kontingente zurückgezogen hatten, nachdem die Besetzung klar wurde. Eine Lehrerin soll wohl sehr deutlich gesagt haben: „Wir machen schon das ganze Jahr Inklusion, zu Weihnachten wollen wir etwas Schönes sehen.“ Und das halt von Pädagogen an Schulen, wo jetzt einfach von oben herab gefordert wird, Inklusion umzusetzen ohne jegliche Unterstützung dafür. Dass das nur schief gehen kann, liegt auf der Hand. Bei den Kindern dagegen hat das immer wunderbar funktioniert – das ist ja eigentlich noch das Tragische. Theater ist natürlich auch eine sehr gute Möglichkeit, Inklusion voranzutreiben. Das ist noch ein Grund, warum ich am Theater bin und worin ich meine Aufgabe sehe: Theater ist oder soll ja ein Spiegel der Gesellschaft sein, kann aber auch visionär wirken. Ich habe die Hoffnung, dass es auf der Bühne selbstverständlicher wird, dass unterschiedlichste Menschen mit dabei sind. Und dass das Publikum durch diese Konfrontation mit der Zeit offener wird dafür und sich dieses bunte Gesellschaftsbild von der Bühne auf die Gesellschaft überträgt.

Das „Alles Inklusive?!“-Festival vor wenigen Wochen in Darmstadt sollte ein Bewusstsein für das Thema Inklusion schaffen. Hat das funktioniert und was bedeutet Inklusion für Dich?

Im Kleinen vielleicht ja, beim ein oder anderen, der dann da vorbeiläuft, stehen bleibt und sich denkt: „Hoppala, ist ja ganz spannend.“ Es hat sicherlich keine Wunder erreicht, auch kein Darmstädter Wunder. Inklusion ist, dass man auf jeden einzelnen Menschen eingeht. Das man ihn in seinen individuellen Stärken, Schwächen und Bedürfnissen sieht, unterstützt und ihm die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Das wäre die perfekte Inklusion. Das betrifft nicht nur Menschen, die offiziell den Stempel einer Einschränkung haben, sondern jeden Einzelnen in der Gesellschaft. Letztlich muss man es realistisch sehen: Weder in Deutschland noch vermutlich irgendwo anders auf der Welt wird Inklusion in seiner Vollkommenheit umgesetzt. Wie ein guter Freund von mir mal gesagt hat: „Inklusion ist nicht das Ziel, sondern ein Prozess.“

Sind wir bereit dafür?

Zurzeit ist unsere Gesellschaft noch bei weitem nicht so weit, deshalb ist es ein Prozess, der gerade am Anfang steht. Im Moment wird ganz viel von Inklusion gesprochen, aber gerade, was bei Schulen an Inklusion passiert, ist eine Farce. Man muss dazu auch sagen, dass die Lehrer keine echte Unterstützung bekommen, weder finanziell noch personell oder strukturell – es wird einfach gesagt: „Macht das!“ Ich sehe eine ganz große Gefahr darin, dass das mit der Brechstange durchgesetzt wird, ohne die Strukturen dafür zu schaffen. Ich habe große Angst davor, dass es in ein paar Jahren dann heißt: „Wir haben es ja versucht, wir haben den Beweis – Inklusion funktioniert nicht.“ Das wäre so die Horrorvision. Aber ich hoffe, dass es so nicht kommt.

 

Jana Zöll on stage

Derzeit im Rahmen des Datterich Festivals zu sehen in: „Schulden. Eine Befreiung!“

Carree (vor der Centralstation) | Do, 04.06. bis Fr, 12.06. | jeweils 19.30 Uhr (nur Fr, 05.06. + Do, 11.06.: 22 Uhr) | jeweils 15 Euro