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Foto: Jan Ehlers

Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was man von da oben auf dem DJ-Pult alles zu Gesicht bekommt. Nicht nur, dass ich – in so erhobener Position – eine gute Sicht über die komplette Szenerie habe, nein, ich habe diesen „Jäger-Hochsitz“ den ganzen Abend, die ganze Nacht, stundenlang – und manchen Phänomenen kann man sich einfach nicht entziehen. Dann wird hemmungslos drauflos geglotzt.

Am liebsten sind mir (über den Abend verteilt) die Offbeat- und Ausdruckstänzer (1). Ganz besonders die Schranzer (2), die sich schnell ausmachen lassen und die ich minutenlang anstarre – hin- und hergerissen darüber, ob ich lachen oder weinen soll. Geschlängelte Arme und ausgeprägte Ravereien erlebt man meist erst zu späterer Stunde, doch Offbeat gibt’s die ganze Nacht gratis zum Auflegeerlebnis hinzu.

Mir ist es ein Rätsel, wie man sich derart unrhythmisch bewegen kann. Mal ehrlich jetzt: Es ist wirklich verdammt schwer, einen ordentlichen Offbeat-Tanz nachzuahmen. Wie machen die das? Was sind das für komische Moves und Verrenkungen? Das Phänomen des Offbeat-Tänzers zieht sich durch sämtliche Generationen, jung und alt, Männlein wie Weiblein. Ich frage mich ernsthaft, ob es sich um einen Gendefekt handelt.

Ständig muss ich mir vorstellen, wie diese Menschen rhythmisch animalischen Sex haben und wie viele blaue Flecken sie ihrem Partner zufügen. Besonders überrascht bin ich dann aber wieder, wenn ich feststelle, dass die Koordination beim Laufen oder die Feinmotorik beispielsweise beim Schreiben einer SMS einwandfrei funktioniert. Am lustigsten ist es allerdings, wenn ein Offbeat-Tänzer auf der Tanzfläche die Nähe eines normal-rhythmischen Tänzers sucht und probiert, diese oder diesen von hinten sexy anzutanzen. Meine Güte. Köstlich.

Und dann stellt sich mir noch eine ganz bedeutende Frage: Merken die das eigentlich selbst? Wissen sie, dass sie anders sind?

Gerade Offbeat- und Ausdruckstänzer haben oft diese unschuldige kindliche Ausstrahlung, dieses „Ich tanze, yippie, und lass mich voll gehen, juch, ‚tschuldigung, war das Dein Fuss?“. Sie lassen Bewegungen und spontane Emotionen einfach laufen. Sie scheren sich nicht, ob andere schauen, sie bewegen sich, ohne sich ständig zu mäßigen oder Blicke und Reaktionen der anderen Tänzer zu kontrollieren. Für diese naive Lockerheit beneide ich sie tatsächlich sehr. Seitdem ich auflege, komme ich mir auf Tanzflächen ziemlich verloren vor. Schon beim Gedanken, mitten ins Getümmel zu müssen, wird mir ganz schwindelig. Ich glaube, es ist eine DJ-Krankheit, immer vom Rand alles im Blick haben zu wollen.

So wie die „Checker“, die sich gerne in Pultnähe aufhalten und den DJ um seinen Überblick sicherlich beneiden. Sie tragen häufig dunkle Lederjacken oder Longsleeves aus sehr dünnem Stoff, damit sich die Frage nach einer Mitgliedschaft im Fitness-Studio erübrigt. Auf den ersten Blick sehen die Checker echt cool aus, sie sind sehr männlich und haben das „Tanzen, ohne zu tanzen“ perfektioniert. Schaut man jedoch etwas genauer hin, kann man sehen, wie nervös und gestresst sie sind, weil sie alles und jeden permanent im Auge und unter Kontrolle haben müssen.

Der Kaugummi fliegt von rechts nach links, es wird abgecheckt und ständig mit einer lässigen Handbewegung über die stählerne Brust gestreichelt (hier schau, steinhart). Jede Geste scheint einstudiert und vorher auf Coolnessfaktor vorm heimischen Spiegel geprüft worden zu sein. Das kontrollierte Gegenbeispiel zum Offbeat- und Ausdruckstänzer eben, doch mit bedeutend weniger Unterhaltungspotenzial.

Zum Schluss möchte ich aber unbedingt noch eine Sache loswerden – und ich denke, ich kann sogar im Namen sämtlicher DJs sprechen, wenn ich sage: Der DJ freut sich über jeden Gast, der tanzt. Egal, wie!

Ihr lest Montagsgedanken- Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

(1) Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet Offbeat „weg vom Schlag“ – und das gilt offensichtlich nicht nur für den rhythmischen Bereich. Man könnte auch „weit ab vom Schlag“ oder „ein ganz besonderer Schlag“ dazu sagen.

(2) Schranzer schranzen nicht nur zu Schranz, sie schranzen einfach zu allem. Besonders Frauen, die schranzen, sind bewundernswert.

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch bei uns.

www.facebook.com/DontCanDJ