Illustration: Rocky Beach Studio
Illustration: Rocky Beach Studio

Wer kennt das nicht? Da hat man sich beim Supermarkt des Vertrauens mal was gegönnt, der Kühlschrank ist voll mit leckeren Sachen und dann stellt man fest: Mist, morgen geht es doch für eine Woche in den Urlaub. Was macht man nun mit dem ganzen Essen? Wer nicht gerade in einer WG wohnt, in der die Mitbewohner dankbar alles annehmen, und das Essen nicht verkommen lassen will, steht vor einem Problem. Abhilfe schafft Foodsharing, das seit einiger Zeit in Hessen Fuß gefasst hat. Auch in Darmstadt gibt es mittlerweile eine rege Foodsharing-Kultur.

Über die Plattform Foodsharing.de, die vom gleichnamigen Verein betrieben wird, können überschüssige Lebensmittel an einen neuen Besitzer vermittelt werden. Dort packt der Foodsharer virtuell sogenannte Essenskörbe, er gibt also an, was er loswerden möchte – und hofft dann auf Abholer. Die Bewegung hat schon lange auch die sozialen Netzwerke erreicht: Bei Facebook gibt es eine Foodsharing-Gruppe nur für Heiner, die rund 2.200 Mitglieder zählt. Dort posten täglich viele Menschen, für welche überschüssigen Lebensmittel sie Abnehmer suchen. Es kann aber auch nach Lebensmitteln gezielt gesucht werden, oft sind es dann ungewöhnlichere Sachen wie Kefir und Essigmutter. Wer sich über Facebook oder die Foodsharing-Seite gefunden hat, verabredet sich zum Abholen.

Darüber hinaus passiert in Darmstadt aber noch viel mehr in Sachen Foodsharing. Seit ein paar Wochen steht im alten Hauptgebäude der Technischen Universität der Fairteiler: Hier kann man abzugebende Lebensmittel einfach in einen Kühlschrank legen, ohne dass man sich um einen Abnehmer kümmern muss. Organisiert wird das Ganze von einer Gruppe aktiver Foodsaver. Kein Verein, kein Unternehmen – die 15 Darmstädter verbindet ein gemeinsames Ziel: „Wir retten Lebensmittel vor der Tonne.“ Seit knapp einem Jahr gibt es die buntgemischte Truppe, die sich bei einem Filmabend kennenlernte. Gezeigt wurde der Dokumentarfilm „Taste The Waste“ von Valentin Thurn, in dem es um Lebensmittelverschwendung und den Umgang der Industriestaaten mit Lebensmitteln geht. Filmemacher Thurn ist auch Gründer des gemeinnützigen Vereins Foodsharing e.V., der die Foodsharing-Homepage betreibt. Sein Kollege Sebastian Werner ist Foodsharing-Botschafter für Darmstadt und der Kopf der Heiner’schen Foodsaver. Sie alle sind sich einig, ob Vereinsmitglied oder nicht: „Es ist absurd, wie viel Essen weggeschmissen wird.“ Vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Menschen auf dieser Welt hungern: rund 870 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt, wie die Welthungerhilfe 2013 mitteilte. Fakt ist leider auch: Jeder Deutsche wirft im Durchschnitt über 80 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr in den Müll. Und oft sind die entsorgten Sachen noch lange genießbar.

Sharing is caring

Was also kann man gegen ein so großes Problem tun? Die meisten würden wohl denken, dass Foodsharing nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. „Man muss irgendwo anfangen. Das Foodsharen hat einen sofortigen Effekt: Ich weiß genau, dass ich heute eine Tüte Brötchen oder eine Steige Tomaten gerettet habe“, erklärt Stefanie Schönner, die sich in der Darmstädter Gruppe engagiert. „Wir sind außerdem viel flexibler als die Tafel, denn bei uns werden auch kleine Mengen Lebensmittel gerettet.“ Als Konkurrenz zur Tafel sähen sie sich aber nicht, betont sie.

Es gibt auch andere Ansätze, um Lebensmittel vor der frühzeitigen Beförderung in die Tonne zu bewahren: Der Geschäftsmann Stefan Laskowski aus Sachsen hat aus den „Abfällen“ Anderer sprichwörtlich ein Geschäft gemacht. In seinen Supermärkten „Im Angebot“ verkauft er Waren, die es in den normalen Handel nicht mehr geschafft hätten und sonst wohl in der Biogasanlage gelandet wären.

Die Foodsharing-Gruppe in Darmstadt arbeitet mit verschiedenen Supermärkten und Bäckereien zusammen, bei denen sie überschüssige Lebensmittel abholen können. Diese sind dann entweder abgelaufen oder dürfen am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden. Die Unternehmen sichern sich natürlich ab: Die Abholer unterschreiben einen Haftungsausschluss, der die Verantwortung auf sie selbst überträgt. Eine rechtliche Grauzone. Auch in den Köpfen vieler Menschen ist ein abgelaufener Joghurt nicht mehr genießbar. Oft wird aber nicht bedacht, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) angibt, wie lange das Lebensmittel mindestens haltbar sein muss, und nicht, dass es nur bis zu diesem Zeitpunkt genießbar ist. Das MHD ist also nicht das Wegwerfdatum: „Wir wollen die Menschen für solche Dinge sensibilisieren“, erklärt Darmstadts Foodsharing-Botschafter Sebastian Werner. Deshalb möchte die Gruppe zum Beispiel an Schulen gehen, um mit Jugendlichen über das Thema zu reden. Auch beim Jugendkongress des Jugendforums Darmstadt Anfang April sind sie dabei gewesen, mit dem Repair-Café gibt es eine Kooperation und bei der Darmstädter Ausgabe des „Dîner en blanc“ am 27. Juni wollen sie ebenfalls mitmachen.

Foodsharen ist ein Geben und Nehmen. Bereichern soll sich daran niemand. „Es wäre uns am liebsten, wenn das gerettete Essen an die geht, die es am dringendsten brauchen. Das gerettete Essen ist aber für jeden da. Das finanzielle Motiv, etwa bei Studenten, ist okay. Wir aus der Gruppe ernähren uns ja auch davon“, sagt Sebastian Werner. Ihre Motivation sei also primär ökologischer, nicht sozialer Art. „Darmstadt kann in dieser Hinsicht aber noch viel mehr.“

Wie viel Essen die Darmstädter retten, ist ganz unterschiedlich. In der Facebook-Gruppe gibt es ein Dokument, in dem versucht wird, die Menge an geretteten Lebensmitteln zu dokumentieren. Manchmal seien es 20, manchmal 25 Kisten Essen allein von den Kooperationspartnern wie Bäckereien und Supermärkten. Wie oft sie bei ihnen vorbeischauen, um etwas abzuholen, variiere ebenfalls.

Mit den größeren Unternehmen spricht in der Regel der Bundesvorstand von Foodsharing e.V., um sie auf das Thema aufmerksam zu machen und zum Mitmachen zu bewegen. Die kleineren lokalen Geschäfte werden aber auch von den verschiedenen Gruppen in den einzelnen Städten angesprochen. „Gerade Bio-Supermärkte haben schon ein sehr nachhaltiges Unternehmenssystem und geben am Ende des Tages ihre Reste den Mitarbeitern mit. Deshalb muss vor allem im Privaten noch viel getan werden“, erklärt Sebastian Werner.

Teilen ist cool geworden

Mehr auf sich selbst und die Umwelt achten, an die nächste Generation denken, sein Konsumverhalten überdenken: Nachhaltige Themen werden immer öfter diskutiert und beachtet und verlieren ihr „Ach, Ihr Ökos, was könnt Ihr schon?“-Image. Carsharing, Repair-Cafés, Upcycling. Teilen ist cool geworden. Wir hängen nicht mehr so an unserem Besitz, können auch mal was abgeben und brauchen nicht immer nur den neuesten Scheiß – auch unter den Heinern tut sich in dieser Hinsicht was.

 

Foodsharing-Infoabend

Ein Foodsharing-Infoabend für interessierte Darmstädter findet jeden ersten Mittwoch im Monat statt. Von 19 bis 20 Uhr können alle, die Lust haben, im offenen Raum des AStA (Gebäude S1/03, Hochschulstraße 1, im ersten Stock, Raum 59) vorbeischauen. Der Fairteiler steht dort ebenfalls. Eine genaue Standortbeschreibung gibt es in der Darmstädter Foodsharing-Facebookgruppe: www.facebook.com/groups/584835291556003/

 

Weitere Links:

www.foodsharing.de
www.lebensmittelretten.de
www.thurnfilm.de/de_doku_taste_the_waste.php