Foto: Unwort-Fotografen

„Volksverräter“ ist das Unwort des Jahres 2016. Das verkündete die Darmstädter Linguistik-Professorin Nina Janich Anfang Januar als Jury-Sprecherin der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres“. Die Wahl der Jury wird seit über 20 Jahren von bundesweitem Medienecho begleitet und ist der Versuch, Sprachbewusstsein und Sprachsensibilität in der Bevölkerung zu fördern. Seit 13 Jahren setzen sich zudem zehn Darmstädter Fotografen – darunter auch P-Knipser Jan Ehlers – künstlerisch mit dem Unwort auseinander und präsentieren, unabhängig von der Jury-Deutung, ihre Interpretationen in einer Ausstellung. Wir haben mit den Fotografen über ihre diesjährigen Ideen gequatscht.

Nach „Gutmensch“, „Lügenpresse“ oder „Döner-Morde“ nun also der „Volksverräter“. Über ihn wurde im vergangenen Jahr intensiv debattiert. Der Dunstkreis um Pegida und AfD führte den historisch eindeutig belasteten Begriff im Kontext der Flüchtlingsdebatte in den öffentlichen Diskurs. Das Unwort „Volksverräter“ sei ein „typisches Erbe von Diktaturen, unter anderem der Nationalsozialisten“, so die Begründung der Jury um Nina Janich. Der Begriff wirke als Vorwurf gegenüber Politikern diffamierend und undifferenziert. Ein wirklich ernsthaftes Gespräch über die Sachlage käme dadurch nicht zustande und würge die für die Demokratie notwendigen, ernsthaften Diskussionen in der Gesellschaft ab. Außerdem stehe das darin enthaltene „Volk“ nicht für das Staatsvolk, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließe. Damit produziere der Begriff bewussten Ausschluss und stelle sich gegen die Gültigkeit der Grundrechte für alle Menschen, die in Deutschland leben.

Seit 1991 regt das Unwort des Jahres zur Reflexion unseres öffentlichen Sprachgebrauchs an. Die Auswahl trifft eine institutionell unabhängige und ehrenamtliche Jury bestehend aus vier Sprachwissenschaftlern und einem jährlich wechselnden Mitglied aus dem öffentlichen Kultur- und Medienbetrieb. Gewählt wird dabei aus Einsendungen der Bevölkerung. 594 Vorschläge wurden 2016 verzeichnet. Die Möglichkeit, sich selbst einzubringen, ist das demokratische Element der Aktion. Jeder kann mitmachen. Idee der Aktion: für einen reflektierten Umgang mit Sprache in der öffentlichen Kommunikation zu sensibilisieren. Die Annahme der Jury: Unwörter entstehen im Gebrauch und sind an Kontexte gebunden. Ihre Verwendung ist demnach nicht beliebig, sondern gezielt selektierend, ordnend und die Wirkung pauschalisierend oder ausgrenzend. Laut der Jury sollte Sprache jedoch vielmehr der Diskussion um eine Sache angemessen sein und nicht gegen humanistische und demokratische Prinzipien verstoßen. Die basalen Kriterien zur Qualifizierung für das Unwort sind der Verstoß gegen Menschenwürde und Demokratie. Diskriminierende, verschleiernde oder irreführende Adressierungen gegenüber gesellschaftlichen Gruppen machen Wörter zu Unwörtern.

Was nicht jeder weiß: Seit bereits dreizehn Jahren nimmt eine Gruppe von Darmstädter Fotografen (unabhängig von der Jury) künstlerischen Bezug zum Unwort. Zu „Volksverräter“ gibt es in der diesjährigen Ausstellung verschiedene Perspektiven von zehn Fotografen. Jeder liefert mindestens zwei Stück, präsentiert in quadratischen Leuchtkästen. Das ist die einzige Vorgabe, der Rest ist freier Kreativspielraum. Weiterer etablierter Baustein der Vernissage ist ein Redner, der die Fotografien interpretiert. Die ausstellenden Künstler schätzen diese Kontextualisierung ihrer eigenen Arbeit, die neue Blickwinkel eröffnet.

Auf die finalen Bilder müssen auch wir bis zur Vernissage warten, wir bekamen jedoch Einblick in erste Skizzen. Diese beschäftigen sich mit der Herkunft des im Nationalsozialismus wurzelnden Begriffs. Andere lenken den Fokus auf diejenigen, die heutzutage als Volksverräter beschimpft werden. Fotograf Andreas Zierhut umreißt den künstlerischen Prozess: „Dass man es zum Unwort erklärt, setzt sich immer in irgendeiner Weise kritisch mit gesellschaftlichen Verhältnissen auseinander und die sind in der Regel nicht bildhaft darstellbar. Man muss sich eine Symbolik suchen, die das Ganze transportiert. Dieses Jahr waren wir uns alle relativ einig. Aber wir sind ja nicht immer mit dem Unwort einverstanden. Dann muss man die negative Wertung der Jury in eine positive umsetzen. Wie man sich mit dem Unwort beschäftigt, da ist jeder frei.“

Albrecht Haag hebt die herantastend-analytische Auseinandersetzung mit dem Unwort hervor: „Der Begriff Volk, was steckt da überhaupt für eine Gruppe dahinter, die da vereinigt wird?“ Bei der Vorbesprechung sei klar gewesen: Eigentlich wären sie alle gerne Volksverräter. So entstand auch das Gruppenbild mit den Schlingen. Sebastian Reimold hält das Wort nicht für harmlos, denn „wenn man sich die historische Bedeutung in der Nazi-Zeit anguckt und das mit Hochverrat gleichgesetzt wurde, mit Schauprozessen, dann hat das schon eine politische Dimension. Das wird dann gerne runtergekocht auf Volksverräter und Volksvertreter, dieses Wortspiel. Aber es ist in sich dann eigentlich doch böse gemeint.“ Die künstlerische Verwendung und Reflexion von Sprache kann und darf durchaus politisch sein. Fotografie, so die Gruppe scherzend, sei prädestiniert, um alternative Fakten zu schaffen. Für Julia Reichelt, Kuratorin des Kunstforums der TU Darmstadt, geht es bei der künstlerischen Darstellung des Unworts nicht um irgendwas, sondern ums große Ganze: „Die Freiheit der Kunst! Sie hat ganz andere, wichtige und überraschende Wege, sich auch einem solchen Begriff zu nähern und ihn zu interpretieren.“ Zu überprüfen fast den gesamten März über im Kunstforum der TUD.

 

Interview mit Nina Janich, Jury-Sprecherin „Unwort des Jahres“ .

Foto: Thomas Neu

Frau Janich, was macht ein Wort zum Unwort?

Wir haben vier Kriterien: Es ist euphemistisch, wird also zur Irreführung gebraucht. Es ist diffamierend oder diskriminierend. Es verstößt gegen demokratische Grundprinzipien, also wenn es dazu dient, Diskussionen abzuwürgen und sich selbst Begründungs- und Argumentationspflichten zu entziehen. Oder es verletzt die Menschenwürde. Wichtig ist, dass die Worte nicht für sich diese Eigenschaften haben, sondern dass es darum geht, wie wir sie gebrauchen. Ein Wort kann auch unproblematisch sein, wie „alternativlos“. Aber wenn man es benutzt, um damit nicht die Positionen anderer anhören und selbst seine eigene nicht begründen zu müssen, ist es ein Unwort.

Woher nehmen Sie den Anspruch, für die Gesellschaft das Unwort des Jahres festzulegen?

Wir haben keine Legitimation, außer der, dass sich die Leute dafür interessieren. Seit 25 Jahren bekommt diese Aktion Zuschriften und die Presse berichtet darüber. Und wir versuchen unsere Kompetenz als Sprachwissenschaftler einzubringen. Aber es könnte auch eine Gegeninitiative geben. Wir diskutieren jedes Jahr, ob wir aufhören oder nicht. Wir wollen nicht, dass alle sagen, die Jury hat gewählt und das ist jetzt Gesetz, sondern eine Diskussion anregen. Wenn die Leute darüber nachdenken und sprechen, haben wir schon viel erreicht. Aber wir sind weder gewählt, noch machen wir es für Geld oder mit Geld von anderen.

Wie gehen Sie mit dem Vorwurf der Political Correctness oder anderen Kritiken bei der Wahl des Unwortes um?

Ein häufiger Vorwurf ist, dass wir eine Art von Zensur ausüben. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht vermeiden, dass die Leute ihre Meinung äußern. Wir wollen aufmerksam machen, dass es für eine konstruktive Diskussion auch darauf ankommt, in welchem Stil man miteinander redet. Wir wollen bewusst machen, dass man nicht nur Verantwortung dafür hat, was man sagt, sondern auch wie man es sagt. Das große Missverständnis ist immer, dass es um die Sache und nicht ums Wort gehe. Beispiel Lügenpresse: Ich habe viele Zuschriften bekommen mit Belegen, wo die Presse gelogen hat. Und natürlich erzählen Medien nicht nur die Wahrheit, sondern sie konstruieren Wirklichkeit. Wir finden Medienkritik wichtig, aber wer gehört werden will, kann nicht mit so einem Pauschalvorwurf kommen. Und wir bekommen viele Einsendungen, in denen die Leute nicht die Wortverwendung kritisieren, sondern die Dinge, die damit gemeint sind. Einmal wurde „Italien“ als Vorschlag eingeschickt, als Deutschland gegen Italien bei der Fußball-WM rausgeflogen ist. Ein anderer schickt als Begriff „Bachelorarbeit“ ein, weil er gerade damit kämpft.

Wie sollte ich reagieren, wenn ich mitbekomme, dass Unwörter benutzt werden?

Wenn Sie denken, das ist Ausdruck einer bestimmten Haltung gegenüber anderen, unbedacht oder absichtlich verletzend, dann kann man darüber sprechen. Ohne moralischen Zeigefinger. Das ist das Anliegen der ganzen Aktion. Dass man sich bewusster wird, was man mit Sprache alles machen kann. Aber das muss auf Einsicht beruhen. Nicht auf Verboten. Deshalb ist die Unwort-Aktion auch kein Zensurversuch.

 

Unwort-Austellung

im Kunstforum der TU Darmstadt (Hochschulstraße 1, Altes Hauptgebäude, 2. OG)

Ausstellungseröffnung ist am Do, 02.03. um 19 Uhr. Die Ausstellung ist bis 26. 03. geöffnet.

Mittwoch bis Sonntag jeweils von 13 bis 19 Uhr.

www.tu-darmstadt.de/kunstforum

www.unwort-bilder.de

 

So wird das Unwort bestimmt:

Vorschläge für das „Unwort des Jahres“ können – mit Begründung und Quellenangabe! – bis zum 31.12. des Jahres eingereicht werden. 2016 gab es 1.064 Einsendungen mit 594 verschiedenen Wörtern, von denen etwa 60 den Unwort-Kriterien entsprachen. Nach Neujahr filtern die vier Sprachwissenschaftler, ein Journalist und ein jährlich wechselndes Mitglied aus dem Kultur- und Medienbereich jeweils drei bis fünf Favoriten heraus. Sie diskutieren dann mehrere Stunden, bis sie sich einstimmig einigen. Ihr habt Vorschläge? Schreibt an: vorschlaege@unwortdesjahres.net

www.unwortdesjahres.net