Interview mit Thomas Schäfer (IMD) zum Beginn der „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ vom 29. Juli bis 14. August

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Foto: Kristof Lemp

Thomas Schäfer leitet seit 2009 das „Internationale Musikinstitut Darmstadt“ (IMD) und ist somit auch hauptverantwortlich für Planung und Durchführung der diesjährigen 48. Ausgabe der renommierten „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ (vom 29. Juli bis 14. August). Im Sitz des Instituts – einer idyllisch gelegenen Gründerzeitvilla in unmittelbarer Nähe zum Böllenfalltor – baten wir ihn zu einem Gespräch über sein Wirken, sein Credo und seine besonders P-affinen Empfehlungen hinsichtlich des Festival-Marathons der „Ferienkurse“.

 

Das P: Hier wird ja schon eifrig gewuselt [rund ein Dutzend Helfer schleppen stapelweise Programmbücher in die Villa] – Endspurt sozusagen. Mit 65 Aufführungen in 17 Tagen sind dies ja auch die aufwendigsten Ferienkurse aller Zeiten, oder?!

Thomas Schäfer: Ja, absolut. Es ist ja auch das 70. Jubiläum, da sie 1946 erstmals stattfanden. Da klotzt man gerne mal ein bisschen [schmunzelt] … Außerdem muss man sagen: 65 Aufführungen plus. Es wird nebenher auch Workshop-Showcases und diverse „Open Space“-Projekte geben, in denen sich Dinge erst entwickeln werden, wenn Dozenten und Kursteilnehmer gemeinsam arbeiten. Die Ergebnisse werden größtenteils eher gegen Ende der Kurse präsentiert. Das werden wir jeweils im Infoscreen auf unserer Webseite öffentlich machen.

Aber vorab zu Ihrer Person: Wie war Ihr Werdegang vor der Station Darmstadt?

Ich bin gebürtiger Hamburger, habe Philosophie, Musik- und Literaturwissenschaften studiert und dann beim NDR und als freier Redakteur für Magazine und Zeitungen gearbeitet. Danach bin ich nach Wien zum Konzerthaus gegangen und habe dort das renommierte „Wien modern“ geleitet [Anm. d. Red.: auch ein Festival für Neue Musik]. 2009 kam ich dann nach Darmstadt zum Musikinstitut und organisierte 2010 erstmals die Ferienkurse. Wenn man im Bereich der Neuen Musik arbeitet, dann ist Darmstadt ja schon so eine Art Olymp. 1992 war ich während meines Studiums schon mal hier, um im Musikarchiv, einem der umfangreichsten der Welt, wenn man sich mit Neuer Musik beschäftigt, zu stöbern. Eines unserer größten Projekte zur Zeit ist ja auch, das gesamte Archiv zu digitalisieren und online verfügbar zu machen.

Als Sie 2010 erstmals die Ferienkurse organisiert haben, zeigte sich eine Veränderung: Sie gestalten das Programm viel offener und weitgefasster als Ihre Vorgänger. Grenzlinien zu anderen Genres (wie zum Beispiel Elektronik oder Metal) werden durchlässiger und es wird zugänglicher für Neu- und Quereinsteiger. Gehört das zu Ihrem Credo?

Ja, das war mir von Anfang an sehr wichtig. Die Aspekte, sich zu öffnen, also nicht nur in die Stadt hinein zu den Darmstädtern und Darmstädterinnen, sondern eben auch zu anderen Szenen. Das ist ein Angebot an eigentlich alle. Wir wollen kein kleiner Expertenzirkel sein und den Bereich als reine Einbahnstraße definieren. Verzweigungen und Kreuzungen sind uns wichtig. Deshalb haben wir damals 2010 mit dem „Atelier Elektronik“ im 603qm begonnen, was sehr gut aufgenommen wurde. Diesmal wagen wir das Gleiche in der Galerie Kurzweil, die ja eher ein reiner Elektronik-Club ist. So können wir jüngere Generationen und andere Kunstsparten ansprechen und unsere Sparte vom Rand in die Mitte bringen. Gerade auch unser „Open Space“-Projekt trägt dazu bei. Es ist ja nicht nur ein Raum für die Kursteilnehmer und Dozenten. Da können sich übrigens auch gerne spontan Gäste von außen einfinden und etwas beitragen. Das ist also wirklich ein offener Raum. So entstehen dann sicher noch mal um die hundert Kleinstprojekte über die zwei Wochen hin.

Lange Zeit galt der Bereich „Neue Musik“ im Geiste Stockhausens und Adornos aber schon eher als elitärer akademischer Zirkel, der gerne unter sich bleibt. Gab es keine Kritik von manchen Seiten?

Es gibt sicher einige Traditionalisten, die das nicht alles gutheißen … [schmunzelt] bei mir direkt hat sich aber noch niemand beschwert. Und wir bieten hier ein so weitgefächertes Programm, so dass auch die sich wiederfinden werden. Es ist mein großes Interesse, Grenzlinien zu überschreiten. Meines Erachtens gehört das auch zum Wesen von Neuer Musik per se.

Wie wohl fühlen Sie sich mit Ihrem Institut in Darmstadt, das sich ja immer auch als „Stadt der Künste“ definiert?

Wir treffen hier wirklich auf eine großartige Unterstützung seitens der Stadt, der Kulturpolitik und nicht zuletzt des Oberbürgermeisters selbst, der ja auch Kulturdezernent ist. Auch inmitten zahlreicher anderer Kulturschaffender und -träger. Das gibt uns wirklich das gute Gefühl, als Kulturinstitut ein integraler Bestandteil dieser Stadt zu sein. Das ist nicht selbstverständlich. Es geht ja am Ende immer auch um die Finanzen. Wir spielen etwa zwei Drittel des Ferienkursbudgets 2016 selber ein. Und dafür braucht es viele Partner, auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Ohne beispielsweise die deutliche Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Kulturstiftung des Bundes könnten wir die Ferienkurse in diesem Umfang gar nicht ausrichten.

Jetzt also die Ferienkurse 2016 als Mammutprojekt. Seit wann läuft die Planung?

Eigentlich ist ja immer das Ende eines Festivals der Planungsbeginn des neuen Festivals. Ich bin mit unserem biennalen Rhythmus sehr glücklich, der nach einer Ferienkurs-Edition doch erst mal ein bisschen Zeit zum Verschnaufen und Analysieren schafft. Aber jetzt sind wir ja gerade unmittelbar vor unserem Start für dieses Jahr. Da ist schon eine Menge zu tun. Und ich bin ja zum Glück nicht alleine, der die Ferienkurse stemmt. Vor allem das Team um mich herum arbeitet großartig – die sechs dauerhaften IMD-Mitarbeiter und während des Festivals das Produktions- und Sound-Team mit bis zu 35 Personen. Ich kann sie alle gar nicht hoch genug loben.

„Ferienkurse“ bedeutet ja, dass sich weltweit Teilnehmer eintragen können, um von ausgesuchten Dozenten unterrichtet zu werden. Das Interesse scheint riesig. Wie viele sind es diesmal?

Wir haben diesmal um die 450 Teilnehmer aus über 50 Nationen, obwohl weit mehr sich beworben haben. Gerade bei den Komponisten mussten wir schon im Januar nach drei Wochen die Schleusen dicht machen. Wir sind jetzt auch wirklich an der Grenze angelangt, wo es nicht mehr größer geht, wenn es noch Sinn machen soll.

Fast alles findet in Darmstadt statt, aber Frankfurt ist aus Tradition auch wieder dabei.

Insgesamt bespielen wir 19 Veranstaltungsorte, zwei davon in Frankfurt, sonst alles in Darmstadt. Gerade die Veranstaltung im Großen Saal des Hessischen Rundfunks ist eine Art Reminiszenz an die ganzen frühen Jahre der Ferienkurse, als es dort auch schon große Aufführungen gab. Ich möchte aber neben den vielen Aufführungen, Konzert-Installationen und Ausstellungen noch den dauerhaft öffentlich zugänglichen „Soundgarden“ auf dem Karolinenplatz gesondert empfehlen – gerade als kommunikativer Treffpunkt tagsüber. Das wird eine Art Festival-Center und Infostand inmitten der Stadt sein, mit Visuals, einer kleinen Ausstellung über die Historie der „Ferienkurse“ und einer Café-Bar, betrieben von den kreativen Leuten vom „Blumen“. Da bin ich besonders gespannt, wie das von den zufällig vorbei kommenden Leuten aufgenommen wird.

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Der Soundgarden auf dem Karolinenplatz | Foto: Veranstalter

Das klingt alles spannend, aber auch anstrengend für die Organisatoren. Wie ist Ihr Befinden kurz vor Beginn?

[strahlt] Freudig aufgeregt. Es ist ja immer eine Art Lackmustest, ob alles funktioniert, was man als Idee entwickelt hat.

Auch wir sind gespannt. Danke für das Gespräch.

 



Thomas Schäfers Programm-Tipps für P-Leser (kalendarisch sortiert)

(Mehr Infos erhaltet Ihr durch Anklicken des schriftgrünen Veranstaltungsnamens. Es wird ebenso zeitnah auf unserer Facebook-Seite Verlosungen zu ausgewählten Veranstaltungen geben.)

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Foto: Daniel Pufe

Eröffnung: „Vortex Temporum“ (Ballet)

Entstanden ist eine atemberaubende Arbeit für ein dreizehnköpfiges Ensemble und eine knapp einstündige künstlerische Reflexion darüber, wie sich Zeit im Raum verdichtet und ausdehnt, sich zusammenzieht und entfaltet, um in einem choreografischen Kontrapunkt den Klängen, Gesten, Bewegungen und der Dynamik des Raums eine Gleichwertigkeit und Unabhängigkeit zu gestatten. (Auszug Infotext)

Fr, 29.07. | Darmstadtium | 20 Uhr | 20 Euro

 

„Piano Hero“ (Konzert)

„Piano Hero“ ist eine musikalische Ein-Mann-Show, in welcher der romantische Klaviervirtuose Stefan Prins in ein technologisches, höchst vermitteltes Spiegelkabinett des 21. Jahrhunderts gestellt wird. Nicht nur durch die Verwendung des traditionellen Konzertflügels, sondern gleichermaßen durch elektronische Keyboards, Game Controller, Sprachsteuerung und andere Körperaktionen entsteht eine zuweilen Tati-artige Interaktion zwischen dem tatsächlichen Helden auf der Bühne und seinen digital zersplitterten Abbildern. (Auszug Infotext)

Sa, 30.07. | Centralstation (Halle) | 22.30 Uhr | 15 Euro

 

„The Force of Things“ (eine Art Soundinstallation)

Das Publikum sitzt unter einem dichten Baldachin aus hängenden Gegenständen, die sich im Laufe des Stücks durch kinetische, klangliche und Beleuchtungseffekte verwandeln. Das 50-minütige Werk, innerhalb eines Rings aus Live- und projizierten Klängen inszeniert, positioniert sich auf der Erfahrungsschwelle zwischen umfassender Installation und Live-Darbietung. (Auszug Infotext)

Mo, 01.08. | Centralstation (Saal) | 17 + 19 + 21 Uhr | 15 Euro

 

Electric Indigo (Elektronik)

Die Performance ist weitgehend verfremdetes Ausgangsmaterial aus Aufnahmen einer barocken Orgel in Viseu und eines Konzertflügels in Rom. Die beiden irregulär gespielten Instrumente – halb gezogene Register, unterschiedlichste Bearbeitungen des Innenklaviers – liefern die Grundlage für das Stück, das Assoziationen an einen unheimlichen Ausflug ins All weckt. (Auszug Infotext)

Di, 02.08. | Galerie Kurzweil | 22 Uhr | 10 Euro

 

„The Lichtenberg Figures“ (Konzert)

In dem hochenergetischen Stück reißt Eva Reiter einen musikalischen Raum auf, der in sehr eigener und eigenwilliger Weise und in bisweilen bizarrer Verdichtung von akustischen und elektronischen, von verzerrten und verfremdeten, von bearbeiteten und naturbelassenen, von vokalen und instrumentalen Klängen bevölkert wird. (Auszug Infotext)

Mi, 03.08. | Frankfurt Lab (frühere Werkstätten des Schauspiels Frankfurt) | 20 Uhr | 15 Euro

 

„Sideshow“ (Konzert)

Steven Kazuo Takasugis Genregrenzen sprengendes Werk „Sideshow“ basiert auf den finsteren Schaubuden in den Vergnügungsparks von Coney Island im frühen 20. Jahrhundert; das Stück ist eine Meditation über Virtuosität, Abnormitätenschauen, Unterhaltung, Spektakel, das Geschäft und die Opfer, die man bringt, um in der Welt zu überleben. (Auszug Infotext)

Fr, 05.08. | Centralstation (Halle) | 22.30 Uhr | 15 Euro

 

„Archive Fever“ (Sound/Visuals-Installation)

Lars Petter Hagens Stück, kongenial in Szene gesetzt von Signe Becker mit den Musikern von Ensemble Interface, ist eine subjektive Begegnung mit dem Ferienkurs-Archiv, die persönliche Erforschung seiner Identität, seiner Vergangenheit und Gegenwart. Ein kleiner Parcours im Justus-Liebig-Haus versucht eine geradezu taktile Präsenz der Darmstadt-Geschichte erlebbar zu machen. (Auszug Infotext)

Sa, 06.08. + So, 07.08.| Justus-Liebig-Haus | Sa: 18.30 + 20 Uhr, So: 19.30 + 21 Uhr | jeweils: 17.50 Euro

 

„historage: Distractfold„ (Performance)

Distractfold: Remixes/ Reworkings/ Responses CD Release Party: Nach langen „Grabungsarbeiten“ in den Tiefen des IMD-Archivs hat sich Distractfold dazu entschieden, einen Open Call zu initiieren. Junge Komponist*innen, Klangkünstler*innen und Elektronik-Produzent*innen wurden dazu eingeladen, Remixes, Umarbeitungen oder Antworten von/auf Archivaufnahmen aus 70 Jahren Darmstädter Ferienkursen einzureichen. (Auszug Infotext)

Sa, 06.08. | Galerie Kurzweil | 22 Uhr | 10 Euro

 

„ROTOR#4“ (mit DJ-Set Efdemin)

Sebastian Berweck, Colette Broeckaert und Martin Lorenz (Synthesizer, Roll Rise und iPad) / Mario de Vega (Electronic Devices) / Efdemin (Electronic Devices)

Di, 09.08. | Galerie Kurzweil | 22 Uhr | 10 Euro

 

„Composer-Performer“ (Präsentationen aus dem Workshop)

Präsentationen aus dem Composer-Performer-Workshop von David Helbich und Jennifer Walshe.

Mi, 10.08. | Kunsthalle | 19.30 Uhr | 10 Euro

 

„Tolerance Stacks“ (Elektronik)

Fünf mit Instrumenten bewaffnete Musiker (mit und ohne Strom) werden in eine von Annesley Black, dem Medienkünstler Lutz Garmsen und dem Programmierer David Runge entwickelte Umgebung gestellt, wo ihre Handlungen klangliche und optische Echos der Vergangenheit erzeugen. Ausgangspunkt von Annesley Blacks Live-Installation waren ihre Forschungen über den Komponisten Hermann Heiß (1897-1966) und sein 1957 in Darmstadt gegründetes elektronisches Studio. (Auszug Infotext)

Do, 11.08. + Fr, 12.08. | Centralstation (Saal) | Do: 19.30 Uhr, Fr: 22 Uhr | 15 Euro

 

„Blood Air Fire: hr-Sinfonieorchester“

Das hr-Sinfonieorchester bestritt etliche große Uraufführungen im Rahmen der Ferienkurse, so auch von Helmut Lachenmanns Schlagzeugkonzert „Air“ im Jahr 1969. Dieses Stück steht auch auf dem Programm des Orchesterkonzerts zum 70-jährigen Jubiläum, wenn die Ferienkurse im hr-Sendesaal in Frankfurt Station machen. (Auszug Infotext)

Sa, 13.08. | hr-Sendesaal (Frankfurt) | 19.30 Uhr | 20 Euro

 

Hanno Leichtmann (Elektronik)

Die Klanginstallation „Unfinished Portrait of Roedelius Today“ von Hanno Leichtmann nutzt Loops als Mittel der historischen und künstlerischen Referenz. Als Hommage an den Elektronik-Pionier Hans-Joachim Roedelius hat er Fragmente aus dessen riesigem Werk in zum Teil mikroskopisch kleine Loops zerlegt. (Auszug Infotext)

Sa, 13.08. | Galerie Kurzweil | 22.30 Uhr | 10 Euro

 

„UN/RUHE“ (Abschlusskonzert)

„UN/RUHE“ heißt das neue genreübergreifende Projekt, in dem die Junge Deutsche Philharmonie mit Geigerin Carolin Widmann und Tänzern von Sasha Waltz & Guests musikalische und performative Kontrapunkte setzt. (Auszug Infotext)

So, 14.08. | Böllenfalltorhalle | 20.30 Uhr | 20 Euro