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Foto: Anna Lähdesmäki

Schon lange verfolge auch ich die Geschehnisse in dieser Welt, die dazu führen, dass Menschen ihre Familien, Freunde und ihr Heimat hinter sich lassen müssen. Über die Gründe zur Flucht möchte ich mich in diesem Beitrag nicht weiter auslassen. Ich hatte meinen Kleiderschrank und Hausrat bereits aussortiert. Das, was ich nicht mehr benötige, säuberlich in Kartons eingepackt und wartete nun auf das offizielle „Go!“. Gleich am Montag, 17. August 2015, bin ich zur Spendensammelstelle in der Niersteiner Straße 6 in Darmstadt gefahren und habe dort meine Spenden abgegeben. Am nächsten Tag kam ich mit einer Freundin wieder, um weitere Spenden für Flüchtlinge abzugeben – und bin direkt dort zum Helfen geblieben.


Es waren bereits sehr viele Spenden eingetroffen, also holte ich zwei Kasten Wasser aus dem Supermarkt, ein paar Brezeln vom Bäcker, Eddings, Notizzettel und Tesafilm – und legte los:
 gespendete Kartons, Tüten oder Taschen auspacken, Spenden begutachten, in weitere Kartons sortieren, gut beschriften und an die Seite stellen. Bald waren auch Regale, Kleiderständer und Umkleidekabinen als Leihgabe gespendet worden und flux gefüllt. Ein bestens funktionierendes System entwickelte sich ganz von selbst. Alle Helferlein vor Ort trugen ihren Teil aktiv dazu bei. Gab es mal ein Problem, schon war es gelöst. Wir hatten T-Shirts mit dem Logo „Refugees welcome – bring your families“ und selbstklebende Etiketten, um uns mit dem Vornamen untereinander erkenntlich zu machen: Wer ein Namensschild am Herzen trägt, ist hier, um zu helfen.


Vieles lief auch über die Facebook-Gruppe „Darmstadt für Flüchtlinge“, auch wenn etwas chaotisch und unkoordiniert. Wie es eben manchmal zugeht in Social-Media/FB-Gruppen. Mitarbeiter der Stadt Darmstadt, der Feuerwehr, DRK, SKA, AStA und etliche andere Vereine und Gruppierungen waren – so gut es neben den ganzen anderen Aufgaben ging, die sie in dieser Krisensituation zu bewältigen hatten – vor Ort und halfen mit. Und auch, wenn es keine offiziellen Besprechungen gab, wurden Infos von Tag zu Tag besser gebündelt und zusammengefasst. Das Ganze hatte von Anfang an einen „guten Lauf“ und hält bis zum heutigen Tage. 


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Foto: Anna Lähdesmäki
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Foto: Anna Lähdesmäki

Von Beginn an herrschte gute Laune und eine unbeschreibliche Hilfsbereitschaft unter allen Mitwirkenden. Natürlich krachte es auch mal hier und da. Das bleibt nun mal nicht aus. Der Konsens war jedoch immer, dass wir alle für Menschen in Not das tun, was eben notwendig ist. Bereits am ersten Wochenende hatte die Stadt Darmstadt es ermöglicht, dass die Spendensammelstelle an der Niersteiner Straße für uns Helferlein offen stand. Am Samstag hatten wir die Spenden weiter sortiert, ein „Kaufhaus“ organisiert, eine „Willkommens“-Girlande aus Luftballons an den Eingang gehängt, eine Spielecke eingerichtet und die riesige Lagerhalle per Hand gekehrt, um dann am Sonntag die ersten Menschen, die in der Starkenburg-Kaserne eingetroffen waren, in Darmstadt Willkommen zu heißen.

Als der erste Bus aus der Starkenburg-Kaserne eintraf, darin viele Kinder und Familien, standen wir am Eingang und verteilten Kuscheltiere, Puppen, Luftballons und gute Laune. Wir halfen den Neuankömmlingen beim Aussuchen von Kleidung und Spielzeug, spielten mit den Kindern in der Spielecke, während die Eltern im „Kaufhaus“ Kleidung auch für sich aussuchten. So ging es auch die nächsten zwei Wochen weiter. Ein Bus nach dem anderen aus der Kaserne fuhr vor. Währenddessen trafen immer weitere Spenden ein, obwohl längst ein Spendenstopp ausgerufen worden war. Journalisten fragten vor Ort nach unseren Motiven fürs Helfen, wollten über den genauen Ablauf vor Ort wissen, filmten und befragten uns. Neue Leute kamen und wollten mithelfen. Sie bekamen ein Namensschild, eine kurze Einweisung und erschienen am nächsten Tag wieder. Sie sortierten dann Spenden, halfen den Flüchtlingen, verteilten Wasser oder spielten Volleyball und Puzzles.

Am Sonntag darauf waren spontan weit über 250 Helferlein in der Spendensammelstelle, um die restlichen unsortierten Spenden zu begutachten und fein säuberlich in Kisten zu packen.
 Reservisten trugen 796 gutsortierte Umzugskisten in den Keller, das „Kaufhaus“ wurde auf Vordermann gebracht. Die in den Regalen befindliche Kleidung wurde noch genauer nach Größe und Art sortiert (und auch nach Farbe – eben wie im richtigen Kaufhaus). Die Männer- und Frauenabteilung wurden neu sortiert und angeordnet – und ab und zu saßen wir draußen in der heißen Sonne, tranken gespendeten Kaffee und unterhielten uns über den ganzen positiven Wahnsinn, der hier in Darmstadt in den letzten zwei Wochen passiert ist.
 Am Montag darauf fuhren wieder Busse aus der Kaserne vor. Und wir fuhren wieder mit, halfen beim Tragen der Koffer und Taschen bis zum Eingangstor, dolmetschten mit Hand und Fuß – oder eben auch mit tatsächlichen Sprachkenntnissen, umarmten uns und klatschen mit den Händen, einfach vor Freude. Die Neuankömmlinge bedankten sich auf unterschiedlichste Art unmittelbar vor der Rückfahrt in die Kaserne. „Ihr seid wahre Engeln, Menschen mit Herz“, sie winkten, lachten, sangen. Wir warfen uns gegenseitig Handküsse zu und kamen aus dem Grinsen nicht raus.

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Foto: Anna Lähdesmäki
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Foto: Anna Lähdesmäki

Insgesamt fuhren zirka 20 Busse mit je 25 bis 35 Personen von der Kaserne für die Erstversorgung in die Spendensammelstelle und zurück. Während und zwischen den Fahrten entstanden die ersten zaghaften Freundschaften zwischen den Helfern und den Neuankömmlingen. Ein besonders gescheites, höfliches, schlaues Kind von 14 Jahren aus der Kaserne kommt seitdem jeden Tag in der Niersteiner Straße vorbei und hilft tatkräftig beim Sortieren und Ausgeben von Spielsachen mit. Er heißt „Andi“ und ist mein persönliches Vorbild!

Auch wenn ich viele Bewohner in der Starkenburg-Kaserne persönlich kennengelernt habe, freue ich mich besonders über die Freundschaft zu einer jungen Frau aus Syrien, die mit ihrem Mann und den zwei kleinen Kindern nach über drei Jahren Flucht vor gut zwei Wochen in Darmstadt aufgenommen wurde.
 Sie weiß es nicht, wie es für sie und ihrer Familie nach dem 31. Oktober weitergehen wird. 
Kann sie hier bleiben oder muss sie mit ihrer Familie weiterziehen?

Währenddessen ist der Betrieb der Starkenburg-Kaserne offiziell in die Hände des DRK Darmstadt als Betreiber übergeben worden. Nun entstehen Begegnungsstätten und Treffpunkte für einen offenen Dialog miteinander. Und die Darmstädter empfangen die Neulinge mit offenen Armen.

Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen, von großartigen Menschen.

Danke Darmstadt!

Eure Anna

 

Anna Lähdesmäki war bis zur Übernahme durch das DRK eine von Dutzenden permanenten ehrenamtlichen Helfern in der Spendensammelstelle in der Niersteiner Straße. Sie ist auch quirliges Mitglied der sehr aktiven Facebook-Gruppe „Darmstadt für Flüchtlinge“ und Administratorin der Organisationsgruppe „Helfergruppe Sammelstelle Darmstadt“.