Eine authentische Vorbereitung war gefordert: Koffein, Aspirin, Antidepressiva, Betablocker. Will ja hellwach sein, denn die Konkurrenz ist groß: ZDF, 3sat, Die Welt, F.A.Z., Echo, T-Online und weitere Medien haben den Professor aus Darmstadt erst kürzlich als kompetenten Gesprächspartner entdeckt. Als Experten bei Doping-Fragen, der ganz neue und unbequeme Wahrheiten ausspricht. Aber sind diese Wahrheiten wirklich so neu? Und befinde ich mich nicht gerade selbst in einer Art „Dopingfalle“?

Doping
Illustration: Mel Loebel

Der Hochleistungssport steckt in einer gewaltigen Krise. Sämtliche Leistungen sämtlicher Sportarten können in Frage gestellt werden, ob zu Recht (Manipulation) oder auch zu Unrecht (Diffamierung). Die Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, mit unabsehbaren Folgen für alle Beteiligten, nicht nur für die Sportler. Bei Letzteren steht vor allem die Gesundheit auf dem Spiel, manchmal selbst das Leben, wenn sie zu tief in der Spirale struktureller Leistungszwänge herabsinken. Aber nur so können sie der geforderten Maxime „schneller, höher, stärker“ vermeintlich länger entsprechen. Und das nehmen immer mehr in Kauf. Der Spitzensport unter– liegt einer fatalen Eigenlogik. Wird er so letztlich zum Spritzensport?

Professor Karl Heinrich Bette prophezeite das schon vor mehr als einem Jahrzehnt, kam sich damals aber vor wie Don Quichotte im Kampf gegen Windmühlen. Erst jetzt nimmt man ihn ernst und wahr in den Massenmedien, obwohl er diesen eine gehörige Mitschuld am Desaster zuweist. Auf zwei Büchern gründet sich das derzeit gesteigerte Interesse an den Thesen des Darmstädter Sportsoziologen: „Doping im Hochleistungssport.“ (Suhrkamp) aus dem Jahr 1995 (aktualisiert 2006) und „Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen“ (Transcript) aus dem Jahr 2006. Diese beiden Standard– werke schrieb er zusammen mit seinem Kollegen Professor Uwe Schimank (Fern-Universität Hagen). Groß ist die Gefahr, auf diesem Terrain in rein soziologische Termini zu verfallen. Aber Professor Bette erweist sich im Gespräch wie auch in seinen Veröffentlichungen als sprach– gewandt, allgemeinverständlich und nur selten fachchinesisch verklausuliert. Trotzdem oder gerade deswegen gelten seine Analysen und Thesen als weltweit beste Studien zum Thema Doping. Vielleicht eine Art „Darmstädter Schule“?

Bette, geboren 1952 in Dortmund, war als Zehnkämpfer selbst Leistungssportler in den 1970ern. „Nicht vergleichbar mit den heutigen Leistungen (Anm. d. Red.: Der Weltrekord im Zehnkampf liegt aktuell bei 9.026 Punkten). Ich hielt mich damals meist so bei 7.000 Punkten auf“, winkt er bescheiden ab. Als Zehnkämpfer beobachtete er aber schon damals Doping-Missbrauch in seinem direkten Umfeld – ein wichtiger Aspekt für sein späteres Forschungsfeld. Seine größten sportlichen Erfolge erzielte er später in den asiatischen Kampf– sportarten Taekwondo (3. Dan) und Arnis (4 x Deutscher Meister). Nach dem Studium der Sportwissenschaft, Soziologie und Philosophie begann er 1992 seine Professur an der Universität Heidelberg. Im Jahr 2002 wechselte er zur TU Darmstadt, wo er mittlerweile geschäftsführender Direktor des Instituts für Sportwissenschaft ist. Obwohl weiterhin wohnhaft in der Nähe von Heidelberg, will er dem Studienort Darmstadt länger treu bleiben, da er die guten Arbeitsmöglichkeiten sehr schätzt. „Trotz mancher Einschnitte in der Finanzdecke können wir hier ein hohes Niveau halten“, meint Bette.

Seinen Studien-Schwerpunkt setzte er schon früh auf das Thema Doping. Anabolika im Bodybuilding war bereits in den 1970ern nicht mehr zu leugnen. Man denke nur an Arnold Schwarzenegger. Aber schon 1981 wies eine Studie flächendeckendes Doping im Spitzensport nach, doch sie wurde missachtet: „Man sagte, so eine Studie könne man den Sportverbänden nicht zumuten“, schüttelt Bette noch heute den Kopf. In diesem Fall habe sich schon eine erste strukturelle Ver– kettung gezeigt. Der Sportler stand nicht isoliert als Träger des Problems, Sportverbände stützten und schützten ihn. Gleichzeitig unterwarfen sie ihn aber gewaltigen Leistungszwängen: „Stille Kumpanei, die auch heute noch oftmals anzutreffen ist“, resümiert der Sport– soziologe.

Unbenannt
Foto: Privat

Ab Anfang der 1990er verfeinerte Bette zusammen mit Schimank die Studien, die auch zu ihrem ersten Buch führten – damals noch ohne jegliche finanzielle Förderung, quasi in der Freizeit. Das Thema wurde flächendeckend weiterhin totgeschwiegen, obwohl erste spektakuläre Fälle wie die Sprinter Ben Johnson oder Katrin Krabbe in aller Munde waren. Sie galten aber als Einzeltäter, angetrieben von Charakterschwächen oder gar mangelnder Intelligenz. „Eine reine Personalisierung und damit Dämonisierung dieses Problems“, so Bette. Als mitschuldiges Umfeld wurde höchstens noch der Trainerstab kritisch beäugt. Danach war die Kausalkette der Schuldigkeit erst einmal zu Ende gedacht. Und genau da setzen Bette und Schimank den soziologischen Hebel an. Für sie sind Dopingsünder Täter und Opfer zugleich, denn sie unterliegen strukturellen Zwängen (Sportverbände, Vereine, Umfeld), inflationären Erwartungshaltungen (Massenmedien, Politik, Wirtschaft, Publikum) und einer fatalen Logik: der „Dopingfalle“. Sportler dopen sich, um die Nachteile zu vermeiden, die ihnen durch das tatsächliche oder nur vermutete Doping der Mitkonkurrenten entstehen.

„Anpassung durch Abweichung“, nennt Bette dies. „Er glaubt, ich dope, also dopt er, also muss ich ebenfalls dopen.“ Und diese Spirale lässt sich unaufhörlich steigern. Vor allem den Massenmedien wirft Bette vor, durch mangelnde Distanz zu Spitzensportlern, Quotenzwänge, Dramatisierung und eine „Anspruchsinflationierung“ das Problem mit zu verursachen. Sie sind Teil der Kausalkette, die von Sportlern ständige Leistungssteigerung fordert, die ohne Doping kaum mehr möglich scheint. „Und diese Selbsterkenntnis hat sich bisher in den Massenmedien noch nicht ausreichend durchgesetzt“, kritisiert Bette. Umso erstaunlicher, dass die Medien ihn jetzt für sich „entdeckt“ haben. Eine Art schlechtes Gewissen der Medien? „Das frage ich mich auch. Es wäre ein Fortschritt, aber ich traue der Sache noch nicht so ganz“, kräuselt er die Stirn. Doch nicht nur die Medien sieht Bette als Faktor, der zu Doping führt. Auch uns Zuschauern weist er durch eine permanente Erwartungshaltung eine Mitbeteiligung nach. Keine Mitschuld, wie er betont, da es fast durchwegs unwissentlich geschehe. Das Problem ist noch weit komplexer, als es sich auf zwei DINA- 5-Seiten darstellen ließe. Klar ist, im derzeitigen System mündet die fatale Logik des Spitzensports letztlich in einer Überforderung der Athleten. Und Doping ist längst im Breitensport wie auch – dank neoliberaler Logik – im Alltag angekommen. Pünktlich zum 23. Darmstädter Sportforum im November (Thema: Doping), organisiert von Professor Karl Heinrich Bette, wird sich das P daher nochmals mit dem Phänomen befassen. Dann wird es auch um Lösungsansätze gehen. Selbstreflexion ist ein erster Ansatz. Darauf ein Antidepressivum.