Foto: Jan Nouki Ehlers
Foto: Jan Ehlers

DJ Kemal ist eine Darmstädter Institution. Er hat seit Beginn seiner DJ-Karriere in den 80er Jahren in Krone, Kesselhaus, Centralstation und zig anderen Clubs zahllose Heiner musikalisch sozialisiert, von Independent bis House: „Terry Lee Brown Jr. hat mir beispielsweise mal erzählt, dass er durch mich zum House kam.“ Dabei konnte Kemal zur damaligen Zeit nach eigener Aussage gar nicht richtig mixen: „Heut’ würde ich damit aus jedem Club hochkant rausfliegen.“ Wir trafen ihn zum Hörspiel, das so Genre übergreifend ist wie Kemals DJ-Sets.

 

Get Cape. Wear Cape. Fly. „D.A.N.C.E.”

Der Justice-Tanz-Sommerhit in einer Akustik-Version einer neuen One-Man-Indieband.

Kemal: Mhhh… kenn’ ich erstmal nicht.

Aber das Original kennst Du bestimmt. Das war letztes Jahr ein großer Hit.

Ach, weißt Du, ich höre seit mindestens 25 Jahren kein Radio, es sei denn, ich sitz‘ bei jemandem im Auto. Denn ich hab‘ auch keinen Führerschein und fahr‘ selbst nicht. Auf jeden Fall eine Super-Version, mit Akustik-Gitarren, die mag ich am liebsten. Mein Lieblings-Nirvana-Album ist zum Beispiel auch das „MTV-Unplugged“-Album.

 

The Legends „Today“

Eine junge schwedische Band, die auch schon die Oetinger Villa mit einem Konzert beglückt hat, mit einem Song, der mehr nach The Cure klingt als The Cure selbst.

Klingt wie alte New Order… oder alte Cure. Aber nicht original, dafür ist’s zu anders. Super! Retro-Achtziger, aber gut. Das muss ich mir besorgen, gib mir mal einen Zettel und einen Stift.

 

Moskwa TV „Generator 7/8“

Erste „Band“ von Talla 2XLC, der damals (1985) eher nach Depeche Mode am Heimcomputer als nach Techno klang.

Das klingt aber alt. Das ist „original alt”. Das hab ich auch gleich. Cabaret Voltaire? Es gab in Bensheim ’ne Band, die klang ähnlich. Das kenn‘ ich nicht, ich bin nicht so der Elektronik-Freak, zu der damaligen Zeit war ich absolut Rock’n’Roll, erst mit dem Kesselhaus hab ich Anfang der 90er angefangen, Elektronisches zu hören. Wobei das hier gut ist, gefällt mir super!

Das ist Moskwa TV, das erste Projekt von Talla 2XLC. Ich dachte eigentlich, jetzt kommen ein paar Storys, die Du mit ihm beim DJ-ing erlebt hast.

Den Talla hab ich aber nie kennen gelernt. Ich bin ja kein Star-DJ.

 

The Wombats „Let’s Dance to Joy Division (KGB Remix)”

Zurück ins Genre Indie mit einem pop-punkigen Tanzflächenfüller, diesmal in einem Remix, der tatsächlich nach den New-Wave-Helden Joy Division klingt.

Oh… von wem ist des? Das ist ein Joy-Division-Song, es klingt nur anders… Das ist aber cool, das beginnt wie „Transmission” von Joy Division, ist aber dann was komplett anderes.

Das sind die Wombats.

Ach, von denen hab‘ ich schon gehört. Wollt’ ich mir eigentlich kaufen, schreib‘ ich mir gleich auf.

 

Morrissey „All You Need Is Me”

Da Kemal beiläufig erzählt hat, dass er ein großer Fan von The Smiths ist, liegt es nahe, die aktuelle Single des Ex-Sängers dieser Band zu spielen.

Auch super ! Was ich da halt gut find’: Wenn der Gesang klar rauskommt. Die Stimme kenn’ ich. Hm… Ist das Morrissey?

Ja.

Ich hab’ keine einzige Morrisseysolo-Platte, aber alles von den Smiths auf Vinyl. Aber das hier ist super. Schreib’ ich mir gleich auf.

 

Junior Murvin „Police and Thieves”

Zur Abwechslung mal ein Reggae- Klassiker.

Oh… ich kann ja Reggae nicht ab. Ich hab‘ nur wenige gute Reggae-Sachen, aber das meiste mag ich nicht. Vielleicht liegt’s dran, dass ich nie gekifft habe. Klar, das ist „Police and Thieves“, aber die Version kenn’ ich nicht. Ich kenn’ das eher als Pop-Nummer.

Das ist das Original von Junior Murvin von 1977.

Ich hätte jetzt gedacht, dass das eine neuere Nummer ist. Find‘ ich gut.

 

O.M.D. „Waiting For The Man”

Eine Institution des Achtziger-Wave-Pop, die sicher auch beim einen oder anderen Mellow Weekend in der Centralstation gelaufen ist. O.M.D. coverten auf ihrer ersten Single die Drogen-Hymne von Velvet Underground.

Gut, das Stück kenn‘ ich natürlich. Es ist aber nicht Velvet Underground, ha ha. Die Stimme kommt mir bekannt vor… Ist auf jeden Fall ’ne lustige Version…

Das ist O.M.D.

Hallelujah! Auf die wäre ich nie gekommen. Die Synthie-Sounds klingen nicht so, wie man es von O.M.D. kennt. Auf jeden Fall super!

 

The Orchids „You Could Do Something to Me”

Wieder Independent, Kemals große alte Liebe, diesmal eine Gitarrenpop-Band des wichtigen Sarah-Labels mit einem brandneuen Song.

Typische Indie-Krone-Musik aus der damaligen Zeit [späte Achtziger, Anm. d. Red.] … Ich glaub‘, ich erkenn’ die Stimme. Hmm…. warte mal. Klingt so nach Field Mice [eine andere Sarah-Band, Anm. d. Red.], nee… jetzt muss ich gerade nochmal in mich gehen… wie heißen die nochmal, das ist auf jeden Fall ein Sarah-Records-Interpret.

Das sind die Orchids aus Glasgow. Soweit ich informiert bin, hast Du die doch mal nach Deutschland geholt.

Nein. Aber die waren mal in Hanau und ich konnte nicht hin. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich geweint habe, weil ich keinen Führerschein habe. Super. So was hör’ ich auch immer noch gern, das muss ich mir nachher gleich bestellen. [Wieder werden Zettel und Stift gezückt.]

 

Hellsongs „We’re Not Gonna Take It”

Die Hellsongs sind eine schwedische Folkband, die mit Elfenstimme und Lagerfeuersound Metalklassiker von AC/DC bis Slayer nachspielt.

Hm… auf jeden Fall Amerikaner, sehr schöne Nummer [hört sehr aufmerksam zu, es klingelt aber nicht].

Achte mal auf den Refrain. Das Original ist von Twisted Sister.

Twisted Sister? Kenn’ ich nicht. Nee, harte Sachen hab’ ich nicht gehört… nur in meiner Schulzeit, Birth Control und so, dazu bin ich aber eher von meinen Mitschülern verdonnert worden.

Kaufst Du Dir eigentlich Platten gezielt zum Auflegen?

Kaum. Von den 8.000 Platten, die ich hab’, brauch’ ich höchstens 1.500 zum Auflegen. In der Regel kauf’ ich mir Platten, weil ich sie mag. Und ich leg’ auch nichts auf, was ich nicht mag. [Schaut den Zettel nochmal durch…] Also: The Legends, Morrissey, Wombats, Orchids und Hellsound werde ich mir besorgen. Die fand’ ich wirklich super.

 

Fazit:

Kemal hat zwar kaum einen Song erraten, aber das ist auch ganz egal. Viel wichtiger ist die Erkenntnis: Der Mann lebt und atmet in jeder Sekunde nichts anderes als Musik. Und zwar nicht sortiert in Genres oder katalogisiert nach Interpreten, nicht als Vehikel zur Selbstdarstellung oder zur Arbeitsplatzsicherung, sondern ganzheitlich und umfassend: M – U – S – I – K. Das ist wahre Leidenschaft, davon kann sich manch einer eine Scheibe abschneiden. Bewahr‘ Dir das, Kemal!