hospiz engel/ausgabe 9
Illustration: Rocky Beach Studio

Wir denken nicht gerne dran, aber  irgendwann ist das Leben zu Ende. Für manche kommt es überraschend, dieses Ende, und manche wissen es schon Monate vorher. Was ist dann noch wichtig? Und was sind das für Leute, die dann vielleicht Deine Hand halten?

Thilo ist 29, hat Maschinenbau studiert und hört gern Rage Against The Machine und Deep Purple. Im Frühjahr hat er ein Vorbereitungsseminar zum Hospizbegleiter abschlossen. Fast ein halbes Jahr haben sie sich in Seniorenheim-Caféterias getroffen, immer dienstags abends, und manchmal auch einen ganzen Samstag lang. Über das Leben und den Tod gesprochen, über Trauerfeiern und Patienten-verfügung. Und sie haben versucht zu lernen, wie man Menschen beim Sterben begleitet. Warum? „Warum tust Du Dir das an?“, haben ihn die Leute gefragt, denen er davon erzählt hat. Und die, die sich getraut haben, wollten wissen: Hospizbegleiter, was heißt das eigentlich?

Hospiz ist eine Idee, eine Lebenseinstellung

Cicely Saunders gilt als Begründerin der modernen Hospiz-Bewegung. Die Ärztin, Sozialarbeiterin und Krankenschwester eröffnete 1967 in London ihr erstes „Sterbeheim“ – um „die letzten Tage eines Menschen angenehm zu gestalten.“ Heute vereint der Hospizgedanke viele Aktivisten, weltweit gibt es über 8.000 Hospize. Tausende Ehrenamtliche engagieren sich allein in Deutschland dafür, dass Menschen in Würde sterben können. Denn das ist es, was Hospiz meint und was sich am Ende alle wünschen: Wenn es so weit ist, in Würde sterben zu können. Und ohne Schmerzen. Im Hospiz geht das. Hier darf jeder seine Zeit so gestalten, wie er möchte, wenn er denn noch kann, den meisten bleibt ja nicht mehr viel davon. Zigaretten,Alkohol, alles erlaubt – die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten stehen hier im Mittelpunkt. Aber eigentlich heißen sie nicht Patienten, sondern Gäste. Denn im Hospiz wird niemand mehr geheilt – hier gibt es nur noch die Palliativmedizin. Das heißt, es werden nur noch schmerzstillende Medikamente verabreicht, keine lebensverlängernden mehr. Deshalb ist es auch so schwer, sich fürs Hospiz zu entscheiden: Es bedeutet, dass man loslässt, dem Sterben entgegen sieht, das Abschiednehmen zulässt

Ist das nicht furchtbar deprimierend für die Betreuer und die Begleiter? Überraschenderweise sagen sie alle das Gegenteil, die ehrenamtlichen Hospizbegleiter genauso wie die Krankenschwestern und Ärzte, die in solchen Einrichtungen arbeiten: Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, das macht was mit Dir und Deiner Einstellung zum Leben. Natürlich ist es manchmal sehr traurig, erzählen sie, aber oft auch schön und fröhlich und rührend. Das wirklich Deprimierende sind die Kämpfe drumherum: Zum Beispiel wenn bei einem alten, bettlägerigen Menschen das Gebiss nicht mehr passt, weil sich der Kiefer verändert hat – und kein Zahnarzt kommt, um einen neuen Abdruck zu machen. Ganz abgesehen davon, dass die Krankenkasse in der Regel kein neues Gebiss bezahlen wird. Dann muss es die letzten Wochen oder Monate eben ohne Zähne gehen und wie beschissen ist das denn?

Zuhören – auch wenn keiner was sagt

Hospizbegleiter ist ein Ehrenamt: Einmal die Woche eine Stunde lang für jemanden da sein. Für einen Menschen, der nicht mehr lange zu leben hat. Diesem Menschen etwas erzählen. Oder ihm zuhören. Oder seine Hand halten und schweigen. Und wenn er sich nicht mehr bewegen kann, dieser Mensch, weil er zu schwach ist, dann das Bett so hindrehen, dass er aus dem Fenster schauen kann, den Regen beobachten oder den Sonnenuntergang oder einfach die Wolken. Kleine Wünsche erfüllen. Eine Stunde, einmal die Woche. Das klingt nach wenig und viel zugleich – eine Stunde gemeinsam schweigen muss man ja auch erst mal aushalten können. Für die meisten von uns ist aber schon allein die Konfrontation mit dem Thema Tod ziemlich unangenehm.

Denn wir sind es nicht gewohnt, damit umzugehen. Unsere Gesellschaft hat verlernt, über das Sterben zu sprechen. Wir schieben das Thema gerne zur Seite, bis es uns dann irgendwann einfach um die Ohren gehauen wird. Hilflos stehen wir da, wenn plötzlich jemand stirbt, haben Angst, etwas Falsches zu sagen und sagen deshalb lieber gar nichts. Mal ehrlich: Wir unterhalten uns doch eher über Intimrasur und Steuererklärungen, als über Einsamkeit und Würde. In Mexiko feiern sie ihren Tag der Toten mit Geschenken und Musik und Alkohol. In Deutschland schleicht man an Allerheiligen oder am Totensonntag auf den Friedhof und stellt frische Blumen aufs Grab. Es wird still getrauert. Und meistens allein.

Die Hospizgruppe Darmstadt

Monika Dahlmann Korell ist die Koordinatorin der Hospizgruppe Darmstadt, immer im Einsatz: Bei ihr kommen alle Anrufe an, sie ist die erste Ansprechpartnerin der Hotline. Für Menschen, die eine Begleitung für ihre Angehörigen suchen, die sich erkundigen möchten, wo das nächste Hospiz ist oder einfach wissen wollen, wie man eine Patientenverfügung verfasst und worauf man dabei achten muss. Wenn es akut ist, wenn jemand sofort Hilfe braucht und sie kann es sich einrichten, dann kommt die Koordinatorin auch sofort. Spricht, tröstet, hört zu. Und wählt dann anschließend aus ihrem Team jemanden aus, der die Begleitung übernimmt. „Nicht immer habe ich viel Auswahl“, sagt sie, „im Moment sind es 22 aktive Hospizbegleiter, zwei davon machen  gerade Pause.“ Eigentlich müsste man von Hospizbegleiterinnen sprechen, denn 20 der 22 sind Frauen. Dahlmann Korrell erzählt: „Manchmal dauert eine Begleitung mehrere Monate, und wenn dieser Mensch dann stirbt, dann trauerst Du natürlich mit. Es ist wichtig, sich in Ruhe zu verabschieden.“ Nach einer Begleitung ist deshalb mitunter eine Auszeit sinnvoll. Die dauert dann so lange, wie sie dauert – ein paar Tage oder auch ein paar Monate. „Es wäre schön, wenn wir noch mehr Begleiter wären. Aber da muss schon ein innerer Antrieb da sein – und wir haben wenig, um neue Helfer anzulocken.“ Sie lacht. „Die meisten Leute denken ja, das wäre eine unglaublich schwere Aufgabe. Aber das ist es gar nicht: Man bekommt wahnsinnig viel zurück. Von den Begleiteten selbst genauso wie von den Menschen, die ihnen nahe stehen.“ Und auch sie sagt: „Wir haben viele schöne Momente mit den Sterbenden. Wir lachen viel. Es ist nicht schwer – man darf halt keine Angst haben.“

Zum Team der Hospizgruppe Darmstadt gehören zum Beispiel eine Ärztin, eine Betriebsrätin, eine Diplom-Kauffrau und eine Musiklehrerin. Und natürlich Thilo, der Maschinenbau studiert hat. Thilo hat jetzt gerade seine dritte Begleitung übernommen. Er war sich anfangs, nach Abschluss des Vorbereitungsseminars, nicht sicher, ob er tatsächlich als Hospizbegleiter arbeiten möchte. Falls nicht, wäre das überhaupt kein Thema gewesen: Die Teilnahme am Seminar verpflichtet zu gar nichts. Und genauso wichtig wie das Begleiten selbst ist es (so steht’s auch im Infoflyer der Hospizgruppe Darmstadt), den Hospizgedanken, ja, überhaupt das Thema Tod, wieder in die Gesellschaft zu tragen. Damit die Menschen sich wieder damit auseinandersetzen, damit man wieder lernt, über das Sterben und die Trauer zu sprechen. Schließlich gibt es nichts Fieseres, als mit diesem ganzen Gefühls-Chaos alleine dazustehen.

Foto: Hospizgruppe Darmstadt
Foto: Hospizgruppe Darmstadt

 

Hospizvereine in Darmstadt:

www.hospizgruppe-darmstadt.de

www.malteser-darmstadt.de

www.hospizverein-darmstadt.de

www.hospiz.net

www.sepulkralmuseum.de