Foto: Jan Nouki Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Das nennt man dann wohl kismet – Schicksal. Zur Darmstädter Vorpremiere von Fatih Akins neuem Film „Soul Kitchen“ bricht eine Woche vor Weihnachten in Zentraleuropa der Winter aus: Schneechaos, der Flug von Wien nach Frankfurt hat eine Stunde Verspätung, die Autobahn nach Darmstadt ist verstopft. So schaffen es Fatih Akin und sein Hauptdarsteller, Drehbuchautor und bester Kumpel Adam Bousdoukos gerade noch rechtzeitig ins ausverkaufte Programmkino Rex, um kurz „Hallo“ zu sagen und den verdienten Applaus für ihre filmisch-komödiantische Ode an den noch nicht yuppisierten, vor Lebenslust strotzenden Teil Hamburgs zu empfangen. Unser entspanntes, gemeinsames Abendessen mit Akin und Bosdoukos im Künstlerkeller fällt allerdings aus, stattdessen gibt es eine schnelle Linsensuppe von „Hassom Kebab“. Danke, „weiße Pracht“! Glücklicherweise reicht die Zeit am nächsten Tag wenigstens noch für ein Telefoninterview mit dem preisgekrönten Regisseur. Und das mit dem Essen gehen holen wir dann beim nächsten Darmstadt-Besuch nach… „Ja, Mann!“


Fatih, Ende November 2009 sprachen sich 57 Prozent der Schweizer in einem Volksentscheid gegen den Bau von Minaretten in ihrem Land aus. Daraufhin hast Du Deine Teilnahme an der Premiere von „Soul Kitchen“ in Zürich abgesagt. Wie haben die Schweizer Öffentlichkeit und die Politik darauf reagiert?

Akin: Ich hab’ die Reaktion nicht wirklich verfolgt, die Zeitungen nicht im Einzelnen gelesen. Ich weiß, dass viele Leute meine Absage als bockig ausgelegt haben und nicht so angetan waren davon. In Internetforen war die Reaktion schon sehr aggressiv, bis hin zu Hasstiraden…

Was meinst Du, ist dieses klare Statement der Angst, der Angst vor Überfremdung, nur ein Schweizer Phänomen? Oder würde solch ein Volksentscheid in Deutschland vielleicht sogar ein ähnliches Ergebnis hervorbringen, denkt man beispielsweise an die enormen Kontroversen im Rahmen der „pro Köln“-Aktion…

Ich glaube schon, dass es in Deutschland ein ähnliches Ergebnis geben würde. „Der Spiegel“, glaub’ ich, hat so eine Umfrage schon mal gemacht … und da war es knapp die Mehrheit, die gegen so ein Verbot war. Aber guck’ mal, ich leb’ hier. Ich kann mein Land ja nicht boykottieren. Dann verteidige ich das – und kämpf’ halt irgendwie gegen reaktionäre Strukturen. In der Schweiz bin ich nur Gast, und dann kann ich’s halt boykottieren – oder zum Kulturboykott aufrufen.

Berührt Dich das Thema eigentlich persönlich, bist Du stark muslimisch erzogen?

Es geht nicht so sehr darum, wie muslimisch ich geprägt bin oder nicht. Ich hätte das genauso gemacht, wenn die Schweiz jetzt gegen Kirchtürme oder Kuppeln von Synagogen abgestimmt hätte. Ich bin kein Christ und auch kein Jude. Aber ich glaub’ halt daran, dass Religion auszuüben ein Menschenrecht ist. Und wenn man jetzt demokratisch in einer Demokratie etwas Demokratisches abschafft, dann finde ich das recht pervers … und auch sehr gefährlich. Die Furcht vor dem Islamismus ist ja nichts anderes als Fremdenfeindlichkeit. Vor zwanzig Jahren hieß das noch Ausländerfeindlichkeit.

Dein neuer Film „Soul Kitchen“ ist weniger politisch, sondern eine Liebeserklärung an Hamburg – die Stadt, in der Adam und Du aufgewachsen sind. Vor allem aber auch an bestimmte Orte, beispielsweise den Mojo Club am Pferdemarkt, der mittlerweile geschlossen wurde und, wie viele andere Kiez-Läden auch, von neuen Immobilienprojekten verdrängt wurde. Verlangt diese Yuppisierung organisch gewachsener Stadtteile – auch „Gentrifizierung“ genannt – nicht eine breite, kulturelle Diskussion? Immerhin wird ein großer Teil jahrzehntelang gewachsener Subkultur mit ein paar Senatsbeschlüssen platt gemacht. Ein Problem, das in nahezu jeder deutschen Stadt zu erleben ist…

Der Film ist schon ein Versuch, Gebäude, die vom Abriss bedroht sind oder mittlerweile abgerissen wurden, zu konservieren, zu fotografieren, sie festzuhalten. Aber natürlich ist er auch ´ne Ermahnung: Wenn man kein Mitgefühl mehr hat vor seinem architektonischen Erbe, sondern nur noch auf Profit und Wachstum aus ist, das spricht schon sehr gegen unsere Gesellschaft. Der fahrlässige Umgang mit Architektur ist für mich nichts weiter als so ’n Symbol unserer Gesellschaft, wo einfach nichts mehr Wert hat außer Profit. Mitgefühl oder Menschlichkeit oder kulturelles Erbe bewahren … das zählt in diesen Zeiten immer weniger. Als prominenter Filmemacher kann ich das filmisch bearbeiten, in einem Unterhaltungsmedium. Das war das Ziel des Ganzen: Dass Du schon was zu lachen hast und Dich unterhalten kannst mit dem Film, aber gleichzeitig vielleicht auch reflektierst, dass es diese neorealistische Verwahrlosung gibt – und dass wir versuchen können, ihr Einhalt zu gebieten. Dabei nutzt’s nix, die anzusprechen, die es eh schon wissen. Man muss sich ans breite Volk wenden. Deshalb finde ich’s auch gut, dass der Film jetzt auch so, ich sag mal, volksnah ist.

Neben Hamburg spielt Istanbul in einigen Deiner Filme mindestens eine Nebenrolle. 2010 ist die Metropole Europäische Kulturhauptstadt. Steuerst Du da auch etwas Kulturelles bei?

Nee. Für mich war Istanbul schon 2004 Kulturhauptstadt, als ich „Crossing The Bridge“ gemacht habe, den Musik-Dokumentarfilm. Ich glaub’, damit hab’ ich so sechs Jahre im Voraus meinen Beitrag zur Kulturmetropole Istanbul geleistet [lacht] . Nur, weil die Europäische Union sagt: „Okay, im Jahre 2010 Kulturhaupstadt“, muss ich mich dem jetzt nicht widmen. Ich hab’ gar nicht die Zeit dafür. Die sollen das mal machen. Ich guck’ mir das dann einfach an. Ich kann ja auch mal nur als Zaungast dabei sein.

Es fällt auf, dass Du die Rollen und Dein Produktionsumfeld stets mit den gleichen Leuten besetzt. Ist das nur der fachlichen Kompetenz geschuldet – oder kann man in so einem familiären Umfeld einfach besser arbeiten?

Ich arbeite mit meinen Leuten hauptsächlich, weil’s halt auch die Besten sind. Nicht, weil sie so nett sind. Gleichzeitig kenne ich sie. Dann arbeite ich natürlich mit denen, die ich kenne, anstatt mit wildfremden Leuten. Jemanden kennen zu lernen, ist ja auch immer ein Arbeitsprozess. Ich bin halt ein sehr pragmatisch veranlagter Regisseur. [lacht]

Man hat den Eindruck, dass Du Projekte sehr intuitiv auswählst. Dem „Rolling Stone“ sagtest Du mal: „Jeder Film hat auch seine eigene Seele und sagt Bescheid, wenn die Zeit reif ist.“ Allerdings werden Deine Projekte auch, erst einmal auf den Weg gebracht, mit viel Nachdruck betrieben. Gehört da nicht eine recht starke Autorität dazu, um das durchzuziehen – und widerspricht das nicht auch ein Stück weit dieser familiären Arbeitsweise?

Eine familiäre Arbeitsweise ist ja in keinster Weise eine Form der Demokratie. Mein Set ist nicht demokratisch. Ich bin der Mann, der die Entscheidungen trifft – und auch die Verantwortung trägt, vor allem auch mit die finanzielle. Weil es mein Geld ist, was ich in meine Filme stecke. Und ich produziere den Käse ja auch. Um meinen Willen oder meine Visionen durchzusetzen, muss ich aber ja nicht so arschlochmäßig unterwegs sein. Die Leute arbeiten mir zu, machen mir ’n Angebot. Ich such’ dann halt aus, was das Richtige ist. Diese Entscheidungen treffe ich. Wenn ich mal auf dem Holzweg bin, sagt mir mein Team auch schon: „Wir zweifeln das an.“ Dann liegt’s an mir, ob ich auf mein Team höre oder nicht. Manchmal ist es richtig, darauf zu hören, und manchmal ist es richtig, nicht drauf zu hören. Und das ist halt Intuition, weißt Du?

„Der Spiegel“ hat „Soul Kitchen“ als „eine Art Abschiedsfilm“ bezeichnet. Du seiest mit 36 noch genau in dem Alter, um einen solchen Film wahrhaftig zu machen. Wie siehst Du das? Bist Du zukünftig wirklich zu alt für Szenefilme und wirst den Fokus (wieder) stärker aufs Feuilleton richten?

Ich weiß gar nicht genau, was der Spiegel damit meint: „Abschiedsfilm“. Schauen wir mal, was die Zukunft bringt. Ich denk’ jetzt nicht in solchen Klammern wie „Abschied“ oder „nicht Abschied“ oder „Feuilleton“ – oder nicht. Ich mach’ das, wonach mir ist und was ich selber gerne sehen möchte. Dann hoffe ich natürlich, so viele Leute wie möglich damit zu berühren. Ich denke aber natürlich auch an meine eigene Karriere, an mein eigenes Schaffen. Wenn ich wie jetzt eine Komödie mache, dann denke ich auch daran, dass das jetzt eine Fingerübung, ein Experimentalfilm für mich ist. Ich möchte mich selber gerne herausfordern: Wie kommerziell kann ich wirklich sein, das aber noch mit mir vereinbaren, es akzeptieren und gut finden. Womöglich mache ich bald wieder ´nen Film, der nicht das breiteste Publikum anspricht…

Zwei Teile Deiner viel zitierten „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie sind abgedreht: „Gegen die Wand“ (Liebe) und „Die andere Seite“ (Tod). Wie sieht’s mit dem Teufel aus? Ist der Film schon in Planung? Unlängst war zu lesen, Du arbeitest an einem historischen Stoff…

Womöglich wird der dritte Teil der Trilogie mein übernächster Spielfilm. Da der nächste Spielfilm mit Sicherheit zwei bis drei Jahre dauert, bis er fertig ist, wird das noch ´n bisschen dauern mit der Teufels-Trilogie [lacht]. Ich würd’ mal sagen: In den kommenden zehn Jahren werde ich die Trilogie beenden. Dann bin ich noch keine 50, sondern so 45, 46 … eigentlich im besten Fußballeralter… [lacht] .

Fatih, vielen Dank für das Gespräch.

 http://www.soul-kitchen-film.com/