Foto: Jan Ehlers

20.05.2017, der Borussia-Park in Mönchengladbach gegen 17.15 Uhr: Jerome Gondorf verlässt unter dem Jubel der mitgereisten Lilienfans das Spielfeld. Wenige Tage zuvor hatte der 29-Jährige seinen Wechsel zu Werder Bremen bekanntgegeben. Sein Verlust schmerzt. Wirklich krumm nimmt ihm den persönlichen Klassenerhalt aber kaum jemand. In den vier Jahren mit der Lilie auf der Brust war er einer der prägenden Spiel(gestalt)er gewesen. Sicher, auch er hatte Tage, an denen er Pässe in den sehr freien Raum spielte. Aber wenn es spielerisch mal nicht lief, dann beackerte er das Spielfeld wenigstens nach allen Regeln der Kunst. Einen derart laufstarken, giftigen und dennoch technisch beschlagenen Spieler wie ihn kann man sich als Trainer nur wünschen. Zeit für eine kleine Hommage.

Bei seiner Ankunft am Bölle im Sommer 2013 war wohl keinem klar, was der gebürtige Karlsruher so alles im Köcher hat. Die Fans wussten zunächst noch nicht einmal, wie der gute Junge überhaupt gerufen wird. „Diego“ mutmaßten die Trainingskiebitze am Bölle, werde er von seinen Mitspielern genannt. Als „Jego“ sollte er sich dann rasch einen Namen machen. In der 3. Liga entpuppte er sich vom Fleck weg als unverzichtbar. Egal ob als lauf- und zweikampfstarker Sechser oder als umsichtiger und technisch versierter Achter, er erfüllte die ihm zugedachte Rolle überaus zuverlässig. Und das Verrückte: Er bestätigte seine Leistung in der 2. und sogar in der 1. Bundesliga. Er wuchs mit jeder neuen Anforderung, während für so manch anderen Drittliga-Helden schon in der 2. Liga die Luft spürbar dünner wurde.

Mit „Jego“ verbinden die Fans der 98er bleibende Erinnerungen. Unvergessen sein Tor zum 3:1 im Relegations-Rückspiel in Bielefeld, als er „Toni“ Sailers vehementes Nachsetzen mit einem fulminanten Distanzschuss unter die Latte belohnte. In der Verlängerung machte der Dauerläufer wenige Minuten vor Abpfiff Platz für Elton da Costa … und der Rest ist Geschichte! Aus Liga 2 ist der Wiederanpfiff im Flutlichtspiel gegen den 1. FC Nürnberg präsent. „Jego“ zog aus dem Anstoßkreis ab und überlistete beinahe den Gästekeeper, der sich schon gewaltig strecken musste, um nicht blöd dazustehen. Diese Chuzpe war im Lilienkader nur ihm zuzutrauen, die gelungene Ausführung ebenso. „Jego“ war in der Schuster-Ära der kompletteste Spieler im Kader der 98er.

Unvergessen auch sein Einfluss auf das entscheidende 2:1 bei Hertha BSC im Mai 2016. Das wichtige 1:1 erledigte er höchstpersönlich, den Siegtreffer bereitete er über Rechts vor. Dabei chippte er den Ball über das ausgestreckte Bein des Berliner Verteidigers mustergültig zu Sandro Wagner, der den Klassenerhalt eintütete. Man darf froh sein, dass in dieser Situation „Jego“ und nicht Marcel Heller der Passgeber war, denn Hellers Flanke wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ins Aus gesegelt oder am Abwehrbein hängen geblieben.

Jerome Gondorf war nach der vergangenen Spielzeit einer der unbesungenen Helden. Die Gesichter der 98er waren andere: Aytac Sulu, Marcel Heller und Sandro Wagner. Und dennoch war „Jegos“ Anteil am Höhenflug mindestens genauso groß. Dazu zählte auch, sich einfach mal foulen zu lassen. In dieser Disziplin war unsere Nummer 8 phänomenal. Er verstand es wie kein Zweiter, sich so zu positionieren, dass dem Gegner gar nichts anderes übrig blieb, als ihn über den Haufen zu rennen. Gerade für den SVD war dies eminent wichtig. So konnte mit dem Pfiff des Schiedsrichters das Spiel beruhigt werden und aus den resultierenden Standards ergaben sich immer wieder einfache Torchancen für die spielerisch limitierten 98er. In der abgelaufenen Spielzeit lag „Jego“ an Position 5 der meistgefoulten Spieler der Liga.

Dass er in der vergangenen Sommerpause den Lilien treu blieb, war ihm hoch anzurechnen. Schließlich hatte ihn der „kicker“ schon nach Hamburg und Mainz geschrieben. Phasenweise führte er sein Team als Kapitän aufs Feld, wenngleich seine Leistungen nicht immer an die der letzten Saison heranreichten. Dennoch bewies er eindrucksvoll, dass er längst zu einer Korsettstange im Spiel der Lilien geworden war. Zudem zeigte er, dass er nicht nur unter seinem Förderer Dirk Schuster funktionierte. Nach dem bleiernen Norbert-Meier-Intermezzo blühte er unter Torsten Frings wieder auf und verdiente sich zu Recht einen Vertrag bei einem Erstligisten. In seinen vier Jahren am Bölle war er an nicht weniger als 33 Toren beteiligt. Für einen Spieler, der oft defensive Aufgaben verrichten musste und Eckstöße entweder selbst ausführte oder an der Mittellinie absichern half, eine bemerkenswerte Quote.

Auch bei Werder ist „Jego“ zuzutrauen, dass er sich durchsetzt. Wie sich in der Hansestadt Tore erzielen lassen, das weiß er immerhin schon. Sein direkt verwandelter Freistoß in der ersten DFB-Pokalrunde beim Bremer SV war für Lilienverhältnisse fast schon unverschämt schön und technisch hochwertig. Quasi ein „Jego bonito“, das er auch im Liga-Alltag beim Direktpassspiel oder bei seinen mit Schnitt geschlagenen Flankenwechseln auspackte.

„Jego“, es war eine Freude, Dich für die Lilien fighten und spielen zu sehen!

 

LIEBEEER ZWEITE LIGAAAA … !

Vom 28.07. bis 31.07. startet die Zweitliga-Saison 2017/18. Mit dabei: unsere Lilien!

Die erste Runde im DFB-Pokal wird vom 11.08. bis 14.08. ausgespielt, die 98er müssen bei Zweitliga-Konkurrent Jahn Regensburg antreten.

Alle Spiel-Termine und aktuelle Infos unter www.sv98.de

 

Matthias, der Kickschuh und die Lilien

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

www.kickschuh.wordpress.com

www.hochundweit.wordpress.com