Illustration: Hans-Jörg Brehm
Illustration: Hans-Jörg Brehm

Eigentlich bin ich Naturfilmer. Aber mittlerweile habe ich von Affen, Primaten, Säugetieren und Delfinen die Schnauze voll und widme mich lieber Wesenheiten, die mit Natur nichts am Hut haben: Menschen. Allen voran ist in diesem Zusammenhang ein Individuum zu nennen, das ich früher gerne als Mitbewohner bezeichnet habe — das ist heute nicht mehr der Fall. Ich nenne ihn nur noch „Fußbank“. Der Grund dafür ist seine neue Freundin, die ich im Geiste „Gehirnwaschmaschine“ schimpfe.

Ich verstehe nicht, was er an ihr findet. Ihr Charakter und ihr Aussehen erinnern mich an einen nassen Yorkshire-Terrier im Wind. Seit er mit ihr zusammen ist, schrubbt er sein Gemüse mit einer Bürste und einer Seifenlauge aus dem Bio-Supermarkt — wegen der Strahlen. Aus Fukushima. Das nehme ich ihm nicht wirklich übel. Er ist jung. Das ist seine erste Kernschmelze. Ihm wurde nie verboten, nach radioaktivem Niederschlag in der Sandkiste zu spielen.

Wirklich übel ist, dass er sich seinen Leistenbruch auf Anraten von „Gehirnwaschmaschine“ lieber wegpendeln lässt, anstatt zu einem Arzt zu gehen. Auch nehme ich es „Fußbank“ nicht übel, dass er wegen „der Keime“ gerne die Fenster der gesamten WG aufreißt und seine Klamotten wäscht. Ich nehme ihm übel, dass den ganzen Tag die Fenster auf sind und die Heizungen laufen. Ich nehme ihm übel, dass fünfmal täglich die Waschmaschine läuft — und das teilweise nur mit einem Handtuch drin („Es hat den Küchenboden berührt!“). Ich nehme ihm übel, dass er sich trotz all dem für ein nachhaltig denkendes Licht der Menschheit mit erweitertem ökologischem Bewusstsein hält; und das wegen einer Frau, die glaubt, dass alle in die Hölle kommen, die nicht an ihre Werte glauben.

Das Ganze kling abstrakt und komplex, ist aber äußerst einfach und konkret: „Fußbank“ und „Gehirnwaschmaschine“ leben in einer Welt, die weder Falsifizierung noch Kritik zulässt. In dieser sehr einfachen, aber absurden Welt wird der Bio-Quinoa aus China mit einem Segelflugzeug importiert — oder mit einem Tretboot so groß wie ein Dampfschiff, das zu fairen Löhnen aus Hanf gebaut wurde. Die Südfrüchte werden mit einem Schnellzug aus Lederimitat geliefert, die Räder sind gehäkelt, die Schienen aus Tofu. Betrieben wird das Gefährt mit Sumpfgas, da sitzt einer im Cockpit und pupst in den Tank — den ganzen Tag. Auch sind die Verpackungen im Bio-Supermarkt nicht aus Papier oder Erdöl, sondern aus Ektoplasma, das sich in den Mündern von Yogis materialisiert, genau wie Windräder, Erntemaschinen, Bio-Supermärkte, Lagerhallen und Yogis, die sich meditierend in Lagerhallen stapeln.

In einer solchen Welt soll laut „Gehirnwaschmaschine“ gefälligst jeder Mensch seinen eigenen Garten haben, um Gemüse anzubauen. „Fußbank“ hat bisher allerdings nicht berechnet, dass wir eine zweite Erde brauchen, wenn jeder Mensch seinen eigenen Garten haben soll. „Fußbank“ hat nur eine Kosten-Nutzen-Rechnung für seine Bleistifte aufgestellt, um entscheiden zu können, ob er sie behält oder wegwirft. Denn: „Fußbank“ zieht aus. Und das seit drei Wochen (er darf nichts Schweres heben — wegen des Leistenbruchs). Erst gestern hat er die Wohnung mit einer Pappschachtel voller Bleistifte verlassen — und sie dann entsorgt. In Zukunft wird „Fußbank“ ganztags auf dem Balkon von „Gehirnwaschmaschine“ sitzen, mit dem Bunsenbrenner Kochtöpfe aus Zinn desinfizieren und sein schönes neues braunes Grün genießen. Dann bin ich ihn endlich los. Immerhin: Meine Welt macht er dadurch ein Stückchen besser.

 

Foto: Axel Röthemeyer
Foto: Axel Röthemeyer

Dem Jürgen seine Welt

Seit 2009 ist Jürgen Knieling als Naturfilmer für die „Earlylatenightshow“ der Reihe „Kulturhäppchen“ im Schlosskeller unterwegs (jeden zweiten Monat, am ersten Dienstag). Seine Filme findet man unter dem Stichwort „Knieling“ auf Youtube.

www.facebook.com/SNotLDaD