Foto: Axel Röthemeyer
Foto: Axel Röthemeyer

Bevor ich zum Arzt gehe, weiß ich längst, was ich für eine Krankheit habe. Ich gehe eigentlich nur in die Praxis, um mir die Medikamente verschreiben zu lassen, die ich haben will. Das funktioniert reibungslos, denn ich weiß genau, über welche Symptome ich klagen muss. Das mache ich seit 15 Jahren so. Ich habe mich daran gewöhnt, dass das klappt. Tut es aber nicht mehr.

Es war im Winter 2013. Ich bat meinen Hausarzt, mir einen Hausbesuch abzustatten. Das bezeichnete er schon als ungeheuerliche Frechheit. Daraufhin entschuldigte ich mich bei ihm dafür, dass mir ausgerechnet an einem so verschneiten Wintertag die Bandscheibe platzen musste. Als er sich schließlich doch widerwillig zu mir begeben hatte, tat er seine Sorge um seinen Mercedes kund, der bei mir im Hof parkte und bezeichnete mein schönes Martinsviertel als Ghetto voller Diebe und Mafiosi. Ich hatte die Rotzigkeit meines Arztes bis dato immer für eine sehr eigene Form von Humor gehalten (vor allem wegen seiner wechselnden Toupets in aschblond, rubinrot und mahagoni), aber an dem Tag raffte ich: „So, Spritze, das tut jetzt weh!“ – „AUA!“

Der Typ ist ein Vollpfosten. Der ist von gestern. Als er weg war, heulte ich meinen Teppich voll: „Der hat in seiner Praxis nicht mal ein EDV-System!“ Also wechselte ich nach 60 Quartalen meinen Hausarzt. Der neue Hausarzt ist ganz anders als der letzte. Er ist so richtig modern, so totaaaal nett – und vollkommen inkompetent.

Beispiel: Er googelt meine Symptome. Als ich ihm erzähle, dass ein Kumpel von mir spezielle Kiefergymnastik gegen Ohrengeräusche verschrieben bekommen hat, sagt er mir, dass das gar nicht sein kann – „Gymnastik für Kiefer gibt es nicht.“ Beharrlich flüstere ich ihm zu, dass es so etwas geben muss. Daraufhin gibt er „Kiefergymnastik“ bei Youtube ein. Dann schauen wir uns an, wie ein Ökofritze schlaftrunken vor sich hin brabbelt und gegen Klangschalen dengelt. Fachmännisch befindet mein Arzt: „Das ist doch gut, das könnte Ihnen helfen, machen Sie das mal.“ Nach einem Treppensturz zieht’s mir in der Rippe. Erst guckt er mich an, dann seinen Rechner, um schließlich zu nuscheln: „Das is nix.“ Ich frage ihn, ob er mir helfen kann, mit dem Rauchen aufzuhören. Da ist er völlig hilflos, weil ihn das seit vier Jahren niemand mehr gefragt hat. Laut Computer.

Ich will Krankengymnastik machen, weil ich dauernd Ischias-Probleme habe. Der Arzt befragt kurz die Suchmaschine und empfiehlt mir dann einen Kurs, der sich als Sportmaßnahme des Jobcenters entpuppt. Für Best Ager. Ab 50. Klare Sache: Auch mein neuer Hausarzt ist ein Vollpfosten. Und heute habe ich begriffen: Ich kann so oft einen ewig gestrigen Vollpfosten gegen einen modernen computergesteuerten Vollpfosten tauschen, wie ich will – es bleibt ein Vollpfosten. Wobei: Der alte von gestern war noch in der Lage, Symptome zu lindern. Der neue von heute ist viel schlimmer. Er heilt keine Ursachen, er lindert keine Symptome – er googelt sie nur noch. Das kann ich auch.

Seit über einem Jahr gehe ich zu diesem Arzt – er hat mir noch nie etwas verschrieben. NOCH NIE! Seine einzige Diagnose war bisher: „Sie wirken auf mich unterschwellig aggressiv.“ Kann sein! Er kann mir kein Blut abnehmen, da er kein Ärztekrepp für die Behandlungsliege mehr hat. Die Bäckerin in der Innenstadt kann mir kein Schinken-Käse-Brötchen schmieren, da sie keine Radieschen mehr hat. Die lebt nach demselben Motto und benutzt dasselbe Betriebssystem wie mein Arzt.