Foto: Gregor Schuster

Oftmals sind Empfehlungen besonders wertvoll, um Neues zu entdecken. Also fragen wir namhafte Darmstädter nach ihren fünf liebsten Favoriten in drei selbst ausgewählten Kategorien. In unserer zweiten Folge stellt León Krempel, Kunsthistoriker und Direktor der renommierten Kunsthalle Darmstadt, uns seine liebsten Filme, Bücher und Kunstorte vor und erzählt, warum er gerade diese ausgewählt hat.

Top 5 Filme

„Sculpt“ von Loris Gréaud (2016)

Ein Film und auch wieder kein Film, sondern ein Ereignis, über das jeder anders berichtet, weil die Aufführungen zu unmöglichen Zeiten stattfinden und Aktionen dazukommen. Weder schwarzweiß noch Farbe, alles in rot. Wer das in einer seiner Versionen und Raubkopien zu sehen bekommt, wird die Aufregung wahrscheinlich künstlich nennen, aber Vorsicht, das gehört womöglich zur Strategie des Künstlers.

„Unterwegs in der Musik – die Komponistin Barbara Heller“ von Lilo Mangelsdorff (2016)

Dreifach beeindruckend durch das Werk und Leben der in Darmstadt und Umgebung lebenden Komponistin als auch durch die subtile Annäherung der Filmemacherin. Was Darmstadt an Persönlichkeiten des Geistes- und Kulturlebens bietet, begeistert doch immer wieder.

„Freies Kurdistan“ von Christian Gropper (2016)

Vor dem Tag der Weltpremiere im Rex ein Attentat in der Türkei. Damit im Kopf sah ich den Film. Man könnte ihm vorwerfen, dass er die politische Gemengelage nicht erklärt. Eben darin aber liegt seine Stärke, dass er die Menschen im Süd-Irak selbst zu Wort kommen lässt. Mikroperspektive. Großartig.

„Paterson“ von Jim Jarmusch (2016)

Die Verbindung von Realem und Fiktivem, Film und Poesie, einsame Klasse. Genau das Gegenteil von „Sculpt“: leise.

„In einem Jahr mit 13 Monden“ von Rainer Werner Fassbinder (1978)

Den Film muss jeder, der im Rhein-Main-Gebiet lebt, gesehen haben. Frankfurt, bevor das Museumsufer kam. Ein Zeitportrait, das zeitlos ist.

 

Top 5 Bücher

Aby Warburg: Bilderatlas ZKM (2016)

Warburgs revolutionäre Methode der Bildbetrachtung endlich einmal nicht als Geheimwissenschaft betrachtet. Die Macher dieser leider limitierten Publikation, die aus Fotokopien besteht, rekonstruieren Warburgs epochales Unternehmen, Geschichte anhand von Bildern zu erzählen.

Hypnerotomachia Poliphili, translated by Joscelyn Godwin (2005)

Ende des 15. Jahrhunderts wird hier ein Traum in einem Traum erzählt. Das Buch inspirierte Künstler und Gartengestalter und ist noch immer ein Traum. Der Autor, vielleicht ein Dominikaner, vermixt Latein, Italienisch und Griechisch, um über das Thema Liebe zu sprechen. Unlesbar für Nicht-Philologen, umso dankbarer ist man für die tolle Übersetzung.

Pico della Mirandola: Über die Würde des Menschen (1486)

Diese Lektüre ist für mich mit der Erinnerung an einen Universitätslehrer in Mainz verbunden, der erklärte, dass sich in der Wissenschaft ein Buch, eine These oder eben etwas von der Art nach langer Zeit bewahrheiten könne. Ich finde, dass das gegen Thomas Kuhns „Paradigmenwechsel“ ein guter Standpunkt ist, der Lust auf das Lesen alter Texte macht. Worum geht es heute mehr, als um die Würde des Menschen?

Aristoteles, Gesamtausgabe

Von zehn Sätzen verstehe ich einen. Die Lektüre bereitet kein echtes Vergnügen. Aber sie fasziniert doch. Das Unterfangen, alles, aber auch alles, in ein System der Wissenschaften zu zwingen.

Catalogus librorum bibliothecae Adriani van der Wallii (1684)

Meine Hauptlektüre seit Jahren, eine Art Meta-Buch, der Katalog einer großen Gelehrtenbibliothek, aus deren „Regalen“ ich mir (mit Hilfe von Google Books) Band für Band ziehe. Das ist eine Entdeckungsreise und Form von Lesen, die mir gefällt.

 

Top 5 Kunstorte

Congonhas

Weltkulturerbe. Von der Terrasse der Wallfahrtskirche im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais schaut man weit. Das Ensemble der zwölf lebensgroßen Propheten, aus Speckstein, von Aleijadinho, wirkt in ihrem Verwitterungszustand wie ein Teil der Landschaft.

Mönchengladbach

Die Postmoderne hat der Museumsarchitektur das vermisste Leben eingeblasen. Und das Städtische Museum Abteiberg von Hans Hollein in Mönchengladbach ist für mich immer noch der interessanteste Bau. Hier vergisst man den Alltag, fühlt sich wie in einer römischen Villa und steht den Kunstwerken selbst gegenüber.

Sharjah Biennale

Das Emirat Schardscha am persischen Golf richtet seit 1993 eine Biennale aus, die sich nach und nach einen hervorragenden Ruf erworben hat. Unbedingt sehenswert: Die libanesische Kuratorin Christin Tohmé hat für die diesjährige Ausgabe den durch eine Ausstellung in der Kunsthalle hierzulande bekannt gewordenen Radenko Milak zusammen mit Roman Uranjek eingeladen.

National Gallery London

Mitten in der Stadt gelegen und eintrittsfrei zu besuchen. Van Eyck, Rembrandt, Vermeer … Was will man mehr?

Gipsoteca Canoviana

Das ist ein wirklich besonderer Ort. Das ehemalige Bildhaueratelier von Antoni Canova, in dem jetzt die Gipse stehen, mit denen er seine Marmore vorbereitet hat. Ein moderner Anbau des venezianischen Architekten Carlo Scarpa erweitert das Museum. Unbedingt einen Ausflug wert, nach Possagno, Treviso, Italien.