Foto: Günzel/Rademacher
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Darmstadt im Jahre 1899. Joseph Maria Olbrich, 31-jähriger Wiener Stararchitekt, trifft am 10. Juli in der Hessischen Hauptstadt ein. Kaum hat der soeben zum Leiter des Großherzoglichen Projekts „Künstlerkolonie“ ernannte Olbrich sein Reisegepäck abgestellt, wird ihm bereits die erste vertrauensvolle Aufgabe übertragen: die Präsentation des Großherzogtums Hessen auf der Pariser Weltausstellung.

Die im Frühjahr 1900 beginnende Ausstellung war bereits die fünfte ihrer Art in Paris und sollte mit über 50 Millionen Besuchern die bis dahin erfolgreichste werden. Das Motto war die „Bilanz des Jahrhunderts“, 43 Nationen nahmen mit über 80.000 Exponaten an der Schau teil. Höhepunkt war die Eröffnung der ersten Linie der Pariser Metro am französischen Nationalfeiertag, doch nach der weitgehenden Verbreitung der Industrialisierung in Europa rückte die pure Demonstration technischer Kraftakte (wie des Crystal Palace in London 1851 oder des Eiffelturms in Paris 1889) in den Hintergrund. Zum Höhepunkt der „Belle Époque“ ließen die Nationen der Welt ihre Muskeln eher auf ästhetisch-künstlerischem Gebiet spielen. Natürlich versuchten alle Beteiligten, entsprechend dem damals stark ausgeprägten Nationalismus, auch auf diesem Gebiet das jeweils prächtigste und prunkvollste Bild abzugeben. So bemerkte ein deutscher Zeitgenosse zu dem im Stil der Deutschen Frührenaissance mit allerhand Erkern und Türmchen versehenen „Deutschen Haus“, dass doch „der Rahmen gar zu prächtig und der Platz für das Wesentliche zu klein geworden“ sei.

Foto: Günzel/Rademacher
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Da kam Olbrich mit seinem in verblüffend schlichter Modernität gehaltenen Beitrag aus Darmstadt gerade richtig. Die nur aus wenigen Möbelstücken bestehende Kombination aus Wohn- und Arbeitszimmer, zu der auch die Wandgestaltung und diverse Accessoires vom Universalkünstler persönlich entworfen wurden, fiel in der sie umgebenden, nahezu barocken Pracht positiv auf: Mit dem „ganz einfachen, aber reizenden Mobiliar“ zeige Olbrich, „wie man mit dem denkbar bescheidensten Budget zu hübschen Resultaten zu gelangen vermag. Das graue Holz des kleinen Darmstädter Zimmers ist so geschickt verwandt, die Proportionen sind so glücklich und der geringe Schmuck so vorteilhaft gewählt, daß dieser kleine Erker mehr Effekt macht, als gar viele prunkvolle Interieurs.“. Der Pionier der modernen Architektur erhielt mit einer „Medaille d’Or“ der Pariser Weltausstellung seine erste internationale Auszeichnung.

Doch damit nicht genug der Ehre. Auch seine alte Heimat Wien hatte Olbrich kurz vor seinem Weggang nach Darmstadt um einen Beitrag für Paris ersucht. Daher war er auch im Österreichischen Haus mit einem „Wiener Interieur“ vertreten, das der zeitgenössische Kunsthistoriker Ludwig Abels „zu den reifsten Produkten der neuen Stilrichtung“ zählte: „Jedes einzelne Stück dieses Raumes ist ein Bijou von feinster Detaillierung und korrektester Ausführung“. Damit hatte Olbrich erreicht, was vor oder nach ihm kaum ein zweiter Künstler vollbracht haben dürfte: zwei Nationen auf derselben Weltausstellung zu repräsentieren, quasi als Symbol für seine universelle, konzentriert-kreative Produktivität.

Nach der ehrenvollen Rückkehr nach Hessen wurde sein Darmstädter Zimmer vom „Geheimen Kabinettsrat“ Gustav Römheld, dem Leiter des Grossherzoglichen Regierungskabinetts, in dessen Privathaus im Alexandraweg übernommen. Der Grossteil wurde von den Bomben des 11. Septembers 1944 zerstört, die wenigen unversehrten Reste sind Teil der Sammlung des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt am Main und aktuell in der Olbrich-Retrospektive auf der Mathildenhöhe zu sehen.

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