Foto: Jan Nouki Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Ein utopischer Rückblick auf die Einführung des Darmstädter Regionalgeldes. Wir schreiben das Jahr 2014. Die Welt steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit 1929. Deutschlands Schulden explodieren. Eine Pleitewelle erfasst zehntausende Firmen. Die Zahl der Arbeitslosen kratzt an der 10-Millionen-Marke. Bürger horten ihre Euros, denn sie hoffen auf weiter sinkende Preise. Bund und Länder sparen sich zu Tode und die öffentliche Infrastruktur zerfällt.

Doch ein paar Dutzend Gemeinden und Städte trotzen dem wirtschaftlichen Niedergang. Die Darmstädter fürchten weder Jobverlust, Schlaglöcher noch Gebührenerhöhungen. Der soziale Wohnungsbau blüht ebenso wie die Kulturszene. Bei den lokalen Unternehmern klingeln die Kassen – und alle zusammen singen ein Loblied auf das im Volksmund „Heiner“ genannte Geld. Das P blickt zurück und erzählt von den Anfängen der „Heiner- Arbeitswertgutscheine“ und wie die Idee des Darmstädter Regionalgeldes die Stadt vor dem Bankrott rettete.

Ein Aufruf mit Folgen

Im Dezember 2010 veröffentlicht der Darmstädter Verleger Alex Beckmann einen Aufruf in seinem Blog, eine Darmstädter Regionalwährung einzuführen. Den offenen Brief verschickt er auch an die Darmstädter Stadtverordneten-Versammlung, den Bürgermeister und die Dezernenten. In seinem „Aufruf zu einer „Lokalwährung“ in Form von Arbeits-Wertscheinen mit dem Namen „Heiner“ für Darmstadt und Umgebung“ fordert er die verschuldete Stadt auf, die Einführung einer Alternativwährung zu unterstützen und – der im Rückblick entscheidende Punkt – auch die Zahlung der Gewerbesteuer in der Regionalwährung zu akzeptieren. Bis dato gibt es zwar rund 60 Regionalwährungs-Initiativen in Deutschland, aber keine davon konnte ihre öffentliche Hand überzeugen, auch Steuern in der jeweiligen Regionalwährung zu zahlen. Der „Heiner“ soll in diesem Punkt Vorbildcharakter erlangen. Aber Alex Beckmanns Aufruf bleibt vorerst von den Lokalpolitikern unbeantwortet. Im P-Interview für die März-Ausgabe 2011 zeigt sich Beckmann enttäuscht: „Niemand von der Stadt hat auf meinen Aufruf geantwortet.“

Arbeitskreise und Medienberichte

Im Januar 2011 führt der Arbeitskreis Regionalgeld des Instituts für Praxis der Philosophie (IPPh) ein Informationsgespräch zum Regionalgeld für die Region Darmstadt. Unter der Leitung von Sibylle Riffel diskutieren Alex Beckmann und eine damals noch kleine Gruppe engagierter Bürger über die Einführung einer Regionalwährung. „Die Arbeitsgruppe sieht jedenfalls gute Chancen ein regionales Tauschmittel (umlaufgesichert) einzuführen, auch wenn über die genaue Art und Variante dessen noch weitgehend Unklarheit herrscht. Jetzt gilt es wohl, in der regionalen Wirtschaft und Politik zunächst das Bewusstsein über Geldkreisläufe, Währungen und deren Stabilitätskriterien zu erwecken und möglichst viele Menschen und Institutionen für die Idee zu begeistern … Ein Anfang.“, schreibt Beckmann nach der Gesprächsrunde in seinem Blog. Schneller als erwartet greifen die Medien das Thema auf. Noch im Januar titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) „Sieben Brötchen für zwei Heiner“ und berichtet über Beckmanns Aufruf und den Arbeitskreis des IPPh (siehe Links & Literatur). Das P, Regionalfernsehsender und weitere Zeitungen treiben die Idee voran. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Thema bei den Medien so eine Resonanz findet“, sagt Beckmann dem P im zweiten Interview.

Glücksfall OB-Wahl

Die Medienberichte erzeugen auf einmal mächtig Druck bei der Politik, denn die Kommunal- und Oberbürgermeisterwahl steht Ende März 2011 an. Die Kandidaten greifen nun Beckmanns Idee auf und überbieten sich mit Konzepten zum „Heiner“. Auch die Bürger und lokalen Unternehmer sympathisieren immer stärker mit der Einführung einer lokalen Euro-Ersatzwährung. Der  neue Oberbürgermeister erklärt den „Heiner“ im Mai 2011 zur „Chefsache“ und das Projekt nimmt dank der Beteiligung der Stadt richtig Fahrt auf. Alex Beckmann kann es kaum glauben, als bereits ein Jahr nach seinem Blog-Aufruf im Dezember 2011 der erste „Heiner“ über die Ladentheke geht. „Ich hätte nie gedacht, dass wir das Regionalgeld so schnell eingeführt bekommen. Die Medienberichte und die OB-Wahl wirkten wie ein Katalysator“, erklärt er dem P im Februar 2012.

Höhenflug und Börsencrash

Das Jahr 2012 wird der Durchbruch für den „Heiner“. Über 200 „Akzeptanzstellen“ in Stadt und Umgebung nehmen das Regionalgeld an. Die Darmstädter bezahlen ihre Brötchen und den Friseur mit „Heinern“. Die Stadt zahlt ihren Mitarbeitern einen Teil der Gehälter in „Heinern“ aus und erlaubt auch den ortsansässigen Unternehmern, ihre Gewerbesteuer mit der Lokalwährung zu begleichen. Der „Heiner“ lässt die Darmstädter Wirtschaft erblühen, sorgt für volle Stadtkassen und die Sozialträger und Kulturvereine freuen sich über die Überschüsse des gemeinnützigen Trägervereins. Alles scheint gut – bis am Freitag, dem 25. Oktober 2013, die Börse crasht. Es ist der „schwärzeste Freitag“ der Börsengeschichte. Die Finanzmärkte spielen verrückt und das Wirtschaftssystem kollabiert. Die darauf folgende Weltwirtschaftskrise versetzt ganz Deutschland in eine schwere Depression. Ganz Deutschland? Nein, denn ein paar Regionen und Städte trotzen der Krise – den Regionalwährungen sei Dank. „Ein Aufruf mit Folgen“, titelt und zitiert das P Alex Beckmann in der März-Ausgabe 2014.