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Foto: Chris Büttner

Lange galt Darmstadt als nazifrei. In jüngster Vergangenheit tauchen häufiger Nazi-Schmierereien auf, Rechtspopulisten sitzen neuerdings auch hier im Stadtparlament. Die offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft wird auch in unserer beschaulichen Stadt zunehmend infrage gestellt. Wie schlimm ist die Situation und was kann man tun? Das P sprach darüber mit Philip Krämer, der sich unter anderem als Kulturreferent für den AStA der TU Darmstadt und Stadtverordneter der Grünen intensiv mit der rechten Szene beschäftigt.

Wie sieht die rechtsextreme Szene in Darmstadt momentan aus?

In Darmstadt gibt es keine nennenswerte rechtsextreme Szene. Es gibt Einzelpersonen, die allerdings nicht organisiert sind. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass die Heimspiele des SV Darmstadt 1898 immer häufiger von Neonazis besucht werden. Zwar ist die Ultra-Szene tendenziell antifaschistisch, bei den körperlichen Auseinandersetzungen mit den „Fans“ von Eintracht Frankfurt vor und nach dem Spiel waren auf Darmstädter Seite allerdings auch deutlich erkennbare Neonazis in der Menge. Außerdem gibt es in Darmstadt eine relativ große Gruppe „Grauer Wölfe“ (türkische Rechtsextreme) und ultra-nationalistischer Türken.

Hat sich die Situation im Zuge der gestiegenen Flüchtlingszahlen verändert?

Grundsätzlich nicht, es hat aber eine Vielzahl von Hakenkreuz-Schmierereien in Darmstadt gegeben.

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) sitzt zum ersten Mal aber eine rechtspopulistische Partei in der Stadtverordnetenversammlung. Was ist die Ursache dafür?

Ihr Wahlerfolg ist Ausdruck eines Rassismus der gesellschaftlichen Mitte. Es wird nach einfachen Antworten auf komplexe politische Abläufe und Strukturen gesucht. Wirtschaftliche Abstiegsängste artikulieren sich als Ablehnung Bedürftiger, in dem Fall Flüchtlinge. Der Wahlerfolg der AfD bedeutet vor allem, dass rechte Positionen, die noch vor ein paar Monaten undenkbar und als rechtsextrem abgetan worden wären, öffentlich vertreten werden können und dass offenbar ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft antidemokratische Meinungen vertritt.

Wie gefährlich ist die AfD?

Die Entwicklung der AfD steht an einem Scheideweg. Entweder zerbricht die Partei an internen Machtkämpfen und an ihrem neuen Thema, dem Islam, der im Vergleich zur Flüchtlingsfrage möglicherweise zu komplex für die Wählerschaft ist. Dabei helfen könnten beispielsweise auch die parlamentarische Auseinandersetzung mit der AfD und die öffentliche Entlarvung populistischer Positionen. Oder aber die AfD wird sich weiter festigen und sich sowohl in Parlamenten etablieren als auch als Sprachrohr für den rassistischen Mob auf der Straße fungieren.

Wie siehst Du die zukünftige Entwicklung? Wird es auch in Darmstadt eine größere Zustimmung für fremdenfeindliche Parolen geben?

Ich denke, dass man Darmstadt nicht von der Gesamtgesellschaft ausnehmen kann. Natürlich hat gerade die Willkommenskultur hier dazu geführt, dass größere Ausfälle bis jetzt ausblieben. In Zukunft muss das aber nicht unbedingt so bleiben. 9,2 Prozent für die AfD sprechen eine deutliche Sprache.

Wie verhält man sich am besten, wenn man eine rechtsextreme Straftat mitbekommt?

Wichtig ist, dass man hinsieht und so gut handelt, wie das eben in der jeweiligen Situation möglich ist. Ob das das Rufen der Polizei, sich öffentlich gegen Rassismus zu positionieren oder das Beenden einer körperlichen Auseinandersetzung ist, muss situationsgerecht und personenabhängig entschieden werden. Man sollte sich nicht selbst in Gefahr bringen. In jedem Fall sollte versucht werden, rechtsextreme Straftaten öffentlich zu thematisieren, um das Problem in das Bewusstsein der demokratischen Mehrheitsgesellschaft zu bringen.

Lohnt es sich, mit Rechten zu diskutieren?

Es lohnt sich solange mit Rechten zu diskutieren, solange sich das innerhalb eines demokratischen Rahmens abspielt und geltendes Recht akzeptiert wird. Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, über vorhandene Freiheiten der liberalen Demokratie zu diskutieren. Es gibt Grundwerte unserer Gesellschaft, die nicht verhandelbar sind.

Gibt es in Darmstadt Beratungsstellen und Präventionsangebote zum Thema Rechtsextremismus?

Es gibt vom „Netzwerk für Demokratie und Courage“ (NDC) Projekttage für Jugendliche ab 14 Jahren sowie Multiplikatoren-Schulungen für Pädagogen. Darüber hinaus gibt es von der Stadt Programme, die Projektgelder ausgeben, wie der „Lokale Aktionsplan“ oder „Demokratie leben“.

Tut die Stadt Darmstadt genug?

Die Stadt Darmstadt macht für die jetzige Situation, in der es keine organisierten Nazigruppen gibt, genug. Falls es in Zukunft zur Etablierung von organisierten rechtsextremen Strukturen kommen sollte, müssten vermehrt Beratungsangebote eingeführt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Argumentieren gegen Rechts

Das Netz liefert einige Argumentier-Hilfen, auch auf lokaler Ebene:

Projekttage vom Netzwerk Courage

www.netz-gegen-nazis.de

Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gibt es das Beratungsnetzwerk Hessen: www.beratungsnetzwerk-hessen.de