Foto: Anna Zdiara
Foto: Anna Zdiara

Der Stadtmensch hat festgestellt, dass er auf sein Fleckchen Grün nicht verzichten muss, nur weil die eigene Wohnung im dritten Stock liegt und sich weder Hof noch Balkon zum glücklich machenden Einsatz des grünen Daumens eignen. Wie so oft schwappen die Trends von Berlin und Co. in die Heinermetropole. In Berlin haben sich mit den Prinzessinnengärten und dem Allmendekontor Utopien zumindest teilweise verwirklicht. Aber auch von so unbedarften Städten wie dem verschlafenen Rheinstädtchen Andernach kann man Einiges lernen: Die Stadt hat beschlossen, mit „Pflücken erlaubt“ statt „Betreten verboten“ ihre Grünflächennutzung zu revolutionieren. Wie eine Reihe engagierter Anpacker und ihre Projekte zeigen: Auch in Darmstadt führen viele Wege zu den blühenden Landschaften.

 

Saisongarten des Hofguts Oberfeld

Als „niedrigschwelligen Einstieg“ bezeichnet Jens Müller-Cuendet den Saisongarten auf dem Oberfeld. Der Agraringenieur (Fachrichtung: ökologische Landwirtschaft) betreut mittlerweile 280 Parzellen. Angefangen hat das Projekt 2010 mit 50 Parzellen, den Rahmen gab eine Initiative des Lebensmittelvertreibers Tegut. Das Prinzip: Im Mai beginnen die Pächter der Parzellen, ihr Stückchen Land alleine, als Familie oder in der Gruppe zu beackern. Die Entscheidung, was auf den 70 qm wachsen soll, wird ihnen zum großen Teil abgenommen. Mit einer Sähmaschine werden im Vorfeld mit verschiedene Sorten Rüben, Kartoffeln, Bohnen, Salat und vieles mehr gesät. Das schafft Abwechslung im Speiseplan und den Nutzern wird ein leichter Einstieg ins Gärtnern ermöglicht. Über die Jahre hat Jens Müller-Cuendet die E-Mail-Ansprachen an das gärtnernde Volk intensiviert, ist aber auch froh, dass sich die Nutzer untereinander viel zur Hand gehen. Eine solche Kooperation unter Hobbygärtnern bringt noch ganz andere Früchte hervor: Für „Das Saisongarten-Kochbuch“ von 2012 fanden sich Autoren, Fotograf und Verleger aus dem Parzellen-Milieu. Gekocht wird 2014 mit neuem Rübenangebot und essbare Blüten sind auch wieder mit dabei, so viel sei verraten, bis sich Anfang Mai wieder jeder mit oder ohne Clan auf seinem Acker breit machen darf. Eine Reportage über die Saisongärten findet Ihr unter www.p-stadtkultur.de/saisongarten .

www.landwirtschaft-oberfeld.de/hofgut-saisongarten.html

 

Internationale Gärten Kranichstein

Angelehnt an das amerikanische Modell der community gardens, möchten die Internationalen Gärten einen Ausgleich zur Dichte in den Stadtquartieren schaffen – ganzjährig. Angestoßen wurde die Idee 2006 von vier Darmstädterinnen Das 2.500 qm große Grundstück und der Wasseranschluss wurden über die Stadtentwicklungsinitiative „Soziale Stadt“ ermöglicht. Ein Bauwagen fürs Werkzeug und eine Komposttoilette sind dazu gekommen. Die Gärtner kommen aus dem Nahen Osten, Afghanistan, Nepal, Indonesien, Thailand, Lateinamerika und Osteuropa. Kommuniziert wird auf Deutsch, manchmal mit ein wenig Übersetzungshilfe. Da einige schon etwas älter sind, läuft das auch mal über die E-Mail-Accounts der Kinder. Man trifft sich auf dem Grundstück an der Fasanerie zum Arbeiten, Grillen, Quatschen, tauscht sich über den Anbau aus und stellt fest, dass andere Länder und Kulturen auch Kräuter haben. „Bei uns ist es so, dass wir auf knapper Fläche ganz viele Bedürfnisse befriedigen“, so Mitinitiatorin Barbara Mayer.

 

Permakulturgarten Kranichstein

Auf einem wiederum völlig anderen Ansatz beruht der Permakulturgarten in Kranichstein: eine Streuobstwiese, auf der nur minimal in das bestehende Ökosystem eingegriffen wird. Zu den alten Bäumen, die zum Bestand gehörten, als die Stadt Darmstadt das Areal der Initiative Transition Town zur Pflege übertrug, sind neue hinzugekommen: wilde Mirabellen, Birnenbäume, Linden, Walnüsse, Maronen und Obststräucher sind dort mittlerweile zu finden. Wildkräuter runden das Angebot am Boden ab und im letzten Jahr hat eine Jung-Imkerin zwei Bienenvölker auf dem Grundstück angesiedelt. Ein kleiner Kreis Aktiver und ein wechselnder Kreis Interessierter kümmern sich: Mit Sensen machen sie einmal im Jahr die Wiese zugänglich, lernen die Wildkräuter kennen oder haben einen gemütlichen Grillabend und zelten auf dem Gelände. Der Permakulturgarten ist zur Ernte der dort wachsenden Früchte oder einfach als Treffpunkt frei zugänglich.

www.transitiondarmstadt.wordpress.com/projekte/permakulturgarten

 

Solawi Darmstadt

Eine andere Art von Zusammenarbeit und Teilhabe in der Landwirtschaft möchte Solawi (Abkürzung für: solidarische Landwirtschaft) ermöglichen. Es geht ums Teilen von Ernte, Risiko und finanziellem Einsatz und damit um die Unterstützung kleinbäuerlicher Strukturen. Die in Darmstadt etwa 50 Mitglieder (Junge, Alte, Familien, Studenten-WGs) gehen mit einem lokalen Landwirt eine gemeinsame Planung an und entscheiden über die Produktion eines Jahres mit. Ein monatlicher Beitrag sichert den Mitgliedern einen wöchentlichen Ernteanteil. Regional, saisonal und ökologisch sind die Früchte dieser Verbindung – und effizient: „Wir werfen nichts weg, wir kriegen auch die krummen Gurken“, sagt Ev Bischof. Die Initiatorin des Projekts sieht die wöchentlichen Ernteanteile als besonders geeignet für Leute, die weniger aktiv sind, weniger Zeit haben oder denen schlicht der grüne Daumen fehlt. Es spricht besonders die Stadtmenschen an, denen die Wertschätzung der lokalen Produzenten, ihre eigene Mitgestaltung und der faire Handel auch abseits von Nord-Süd-Beziehungen am Herzen liegen.

www.solawi-darmstadt.de

Foto: Svenja Noä
Foto: Svenja Noä

 

Schlossgraben Darmstadt

Die Idee, den Darmstädter Bürgern die Grünanlage ums Schloss zurückzugeben, ist eine weitere Begrünungsinitiative der Schlossherrin (die Technische Universität Darmstadt). Der erste Botanische Garten Darmstadts befand sich bis 1830 am Schloss, nun soll die ursprüngliche Bepflanzung im Schlossgraben wieder hergestellt werden (orientiert am Pflanzenkatalog „Elenchus“ von 1824). Bis 2016 soll alles rundherum zugänglich sein, barrierefrei selbstverständlich. Erfolgsbedingung des Projekts sei, so Mareile Vogler, die das Projekt an der TU initiiert hat, „dass man Menschen hat, die mitmachen wollen“. Und neben der Unterstützung durch Uni-Präsidium und Darmstadt Marketing sind auch die Bürger Darmstadts gefragt: Beete, Nistkästen und die Teichanlage wurden zum Teil durch Spenden von Personen oder Gruppen finanziert. Aber auch gemeinsame Pflanzaktionen ermöglichen die Mitarbeit in der Anlage durch die Bürger (zum Beispiel beim Efeupflanzen im April 2014). Am Sonntag, dem 15.06.2014, wird der neue Schlossgraben feierlich eröffnet – auf den Tag genau 200 Jahre nach der Trockenlegung des Grabens durch Großherzog Ludwig I..

www.mein-schlossgraben.de

Foto: Chris Hartung
Foto: Chris Hartung

 

Weitere Projekte in Planung

Es grünt und blüht in Darmstadt, weitere Keime sprießen in der Orangerie, wo die Schließung der alten Stadtgärtnerei einem Bürgergarten Platz machen soll. Entwürfe für die Gestaltung der Fläche liegen bereits vor – einerseits als Projekt mehrerer ansässiger Vereine unter der Federführung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Es gibt jedoch andererseits Überlegungen, ein agro-urbanes Zentrum mit Leuchtturmprojekten à la Andernach und Berlin zu realisieren. Auch im Prinz-Emil-Garten wartet der ehemalige Minigolfplatz auf seine neue Bestimmung. Einige Möglichkeiten wurden im Zuge einer Kooperation des Nachbarschaftsheims Bessungen mit TU-Architekturstudenten bereits skizziert. Wir sind gespannt, ob Bessungen bald ein ähnlich grünes Zentrum entsteht wie in Kranichstein. Inspiriert von der Vielfalt der Möglichkeiten fällt es vielleicht auch einigen Träumern leichter, weitere Oasen an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten in Darmstadt entstehen zu lassen.

 

Win! Win!

Das P verlost drei Exemplare des „Saisongarten-Kochbuchs“, herausgegeben von Marianne Kissel-Lesser, Werner Lesser, Dorothee und Klaus North, erschienen im Synergia Verlag, Darmstadt HIER!