Foto: Martin Imruck
Foto: Martin Imruck

Vor einigen Jahren suchte das Darmstädter Alice Hospital nach einer Alternative zur üblichen Krankenhausverpflegung. Die Lösung: Slow Food. Eine Idee, deren Ursprung in der italienischen Region Piemont liegt und die sich weltweit wachsenden Interesses erfreut. Die bewusste Auswahl regionaler Zutaten und deren Genuss begeisterte auch Dagmar Vogel, die Betriebsleiterin der Küche im Alice Hospital. Im Interview mit dem P Stadtkulturmagazin berichtet sie von den Vorteilen des Slow-Food-Konzepts, aber auch von Mängeln in der Gesetzgebung.

Vorab noch etwas Hintergrundwissen: Die Slow-Food-Bewegung gründete sich Mitte der Achtziger in Italien, als genuss-orientierte Menschen dort bemerkten, dass regionale und traditionelle Lebensmittel und Rezepte zunehmend verloren gingen. In Deutschland zählt der offizielle Slow-Food-Verein aktuell mehr als 12.000 Mitglieder. Zahlreiche regionale Gruppen, sogenannte Convivien, haben sich bundesweit gegründet und kooperieren mit diversen Partnern wie Gastronomen oder Feinkostläden. Das Slow-Food-Convivium Odenwald ist unter anderem Partner des Alice Hospitals. Weitere Infos online unter www.slowfood.de/slow_food_vor_ort/odenwald.

Frau Vogel, wie würden Sie Slow Food charakterisieren?

Ganz grob lauten die Slow-Food-Kriterien: gut, sauber und fair. Das „Slow“ hat also nicht wirklich etwas mit „langsam“ zu tun, sondern eher mit „bewusst“. Nach diesen Richtlinien handeln wir, was gleichzeitig auch bedeutet: Wir unterstützen Produzenten aus der Region und haben kurze Transportwege. Ein 60-Kilometer-Umkreis ist bei unseren Lieferanten die Grenze. Der Vorteil von Slow Food ist also, dass ich genau weiß: Salat, Fleisch und Gemüse kommen von diesem bestimmten regionalen Händler.

Wie wurde die Auswahl der Lieferanten getroffen?

Wir haben einen Kriterienkatalog erstellt, mit dem wir potentielle Lieferanten besucht haben. Unsere Liste haben wir dann dort dementsprechend abgearbeitet und uns die Produktionsumstände angesehen. Natürlich haben wir auch jederzeit die Möglichkeit, das erneut nachzuprüfen. Würden wir unsere Produkte von irgendeinem Großlieferanten beziehen, wäre nur zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, ob die Bedingungen noch eingehalten werden. Hier kostet es mich nur einen kurzen Besuch.

Ist Slow Food eigentlich besser als bio?

Das kann man so nicht sagen. Wir haben hier ja schließlich auch Ware, die den Bio-Kriterien entspricht, nur sind die Betriebe bis auf wenige Ausnahmen nicht zertifiziert. Viel Bio-Ware kommt aus dem Ausland. Wenn man sich da die Transportwege, die Herstellung, den Anbau, die oftmals nicht so strengen Kontrollen vorstellt, glaube ich, dass ich mit der Ware, die hier bei uns aus der Region stammt, besser bedient bin.

Warum genau, woher kommen Ihre Produkte?

Aus dem regionalen, integrierten Landbau beispielsweise. Hier werden ebenfalls viele Kriterien beachtet, die auch für Bio-Produkte wichtig sind. Ich finde, das ist genauso gesund, da heute auch Bio-Ware Gene oder Pflanzenschutzmittel enthält, die da drin nichts verloren haben. Slow Food richtet sich also nicht nach irgendwelchen Auflagen, sondern orientiert sich vielmehr an den Produktionskriterien.

Das alles ist eher untypisch für eine Großküche.

Gerade die Großküche hat sich in den letzten 25 Jahren stark gewandelt. Immer weniger Fachkräfte, immer mehr Aushilfen. Im ungünstigsten Fall haben sie gar keine Küche mehr, sondern bekommen alles geliefert. Ich persönlich will nicht Betriebsleiterin einer Küche sein, in der ich nur noch kontrollieren muss, dass jeder den richtigen Tiefkühlbeutel zur richtigen Zeit aufmacht. Das ist nicht das, was ich unter Kochen verstehe. Daher legen wir schon sehr viel Wert darauf, eine Frischküche zu haben.

Seit 2006 bieten Sie Slow-Food-Gerichte an und sind damit in Darmstadt das einzige Krankenhaus. Warum gerade dieses Alleinstellungsmerkmal?

Wir wollen hier vernünftige und vollwertige Kost anbieten. Wenn man ernährungsphysiologisch mal nachdenkt, geht nichts über frisch. Aber frisch heißt auch kurze Transportwege sowie Lagerzeiten. Darüber hinaus müssen wir wissen, woher die Produkte kommen und wie sie verarbeitet wurden. Das alles gibt das Slow-Food-Konzept her. Daher bieten wir unseren Gästen unter dem Slogan „genesen genießen“ die Slow-Food-Speisen an. Jeden Tag gibt es ein Slow-Food-Gericht, das in den Speiseplan integriert wird. Das ist allerdings natürlich auch einen Ticken teurer.

Lohnt sich das?

Selbstverständlich. Für den Gast, weil er weiß, was auf dem Teller ist. Für uns in der Küche ist es einfach so, dass wir uns mit den Speisen identifizieren können, und für das Haus ist es eine Möglichkeit, sich im Angebot von anderen Häusern zu unterscheiden.

Was ist denn konkret der Unterschied zu den anderen Speisen?

Der Unterschied zu den anderen Essen ist, dass bei jeder Zutat genau dabei steht, woher sie kommt. Damit signalisieren wir den Gästen natürlich auch: Schau her, dieses Produkt kommt aus der Region. Da kannst du mit dem Auto oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hinfahren und es selbst kaufen. Wenn mir bewusst ist, wo ich was herbekomme, wie eine Pflanze gewachsen ist oder wie ein Tier gehalten wurde, bekomme ich in diesem Moment gleich eine andere Wertschätzung gegenüber dem Essen.

Erkennen das die Gäste auch an?

Ein Großteil ist sehr interessiert an Slow Food. In der Gesellschaft vielleicht so 25 Prozent. Einige sind dennoch nicht bereit, mehr Geld dafür auszugeben und sagen sich: „Ich finde das zwar toll, aber mache es auch nicht jeden Tag.“ Hier im Krankenhaus sind es vielleicht 10 bis 15 Prozent, die das Angebot nutzen [täglich gehen 700 Essen im Alice Hospital über die Theke, Anm. d. Red.]. Schön ist mittlerweile jedoch, dass langsam eine Generation heranwächst, die wieder großes Interesse an Ernährung entwickelt. Die Denke „Hauptsache, es kostet nicht mehr als 1,99 Euro, macht satt und geht schnell“, wird langsam wieder umgekehrt. Wo es ziemlich hapert, ist seitens der Politik.

Was meinen Sie damit?

Die meisten Vorschriften und Auflagen sind für Kleinbetriebe einfach nicht umsetzbar, da sie eine Stange Geld kosten. Die Bio-Zertifizierung ist ein gutes Beispiel. Viele kleine Produzenten können sich die Zertifizierung nicht leisten. Davon profitieren natürlich die Großkonzerne, von denen es im Endeffekt heute nur noch drei oder vier gibt. Die teilen die ganze Lebensmittelproduktion unter sich auf und bestimmen damit neben dem Markt auch die Qualität und den Preis. Das ist gerade hier in Deutschland ganz schlimm: alles immer möglichst billig.

Wie stehen da die Chancen für Veränderung?

Eines Tages, das behaupte ich, zahlen wir die Rechnung für diese Einstellung. Irgendwann sind auch die Großkonzerne dazu gezwungen mit den Preisen hoch zu gehen. Anfangs mag es bei der Gesetzgebung tatsächlich um die Hygiene gegangen sein. Allerdings ist die Lobby in diesem Bereich sehr stark – gerade in der EU. Da hat ein Politiker allein keine Chance. Das sind Einzelkämpfer. Dabei muss hier wirklich im großen Rahmen gegengesteuert werden.

Was würden Sie jemandem raten, der umsteuern und anders essen möchte – etwa slow?

Kauf Dir ein vernünftiges Kochbuch! Kein markenspezifisches, sondern eins mit regionaler und traditioneller Küche – und koche selbst. Man bekommt so schnell ein anderes Verhältnis zu seinem Essen, wenn Arbeit drin steckt. Und es schmeckt vor allem bedeutend besser. Beim Einkaufen sollte man nachfragen: Woher kommt das? Was wurde damit gemacht? Gerade auf dem Markt erhält man hierzu viel Auskunft. Das macht einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln aus und verhindert außerdem, dass viel weggeworfen wird.