Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Darmstadts südlichster Stadtteil Eberstadt bedarf keines Navigationsgerätes, um gefunden zu werden: Man nehme die Heidelberger Straße und folge ihr circa fünf Kilometer südwärts entlang der Straßenbahnschienen. Einst schnaufte hier der „Feurige Elias“ gen Süden, heute ist es die „schnelle 6“. Die Haltestelle „Wartehalle“ ist nach dem Luisenplatz der zweitgrößte Nahverkehrs-Umsteigebahnhof Darmstadts. Doch der in den neunziger Jahren modernisierte Platz zeugt keineswegs von den eigentlichen Qualitäten Eberstadts. Eberstadt ist zugegebenermaßen nicht ganz so „in“ wie das Martinsviertel, hier schreibt sich „hip“ eher mit Doppel-P. Um den Stadtteil zu beschreiben, haben wir uns der drei „K“ bedient: Kinder, Küche, Kirche.

Kinder: 

Eberstadt eignet sich für Kinder, für Eltern und für solche, die mal Kinder haben wollen. Eberstadt besitzt ein reges Vereinsleben, in Eberstadt sind zahlreiche und gut funktionierende Grundschulen angesiedelt. Und vor allem: Eberstadt ist ein Naherholungsgebiet, wie es schöner nicht sein könnte. Dazu gehören die Streuobstwiesen, nicht ohne Grund die „Toskana Darmstadts“ genannt: Prächtige historische Apfelbaumlandschaften, die den Osten Eberstadts prägen.

Die Burg Frankenstein wird nicht nur von Touristen heimgesucht, hier wird geheiratet, hier wird gewandert und hier werden mit dem Mountainbike die körperlichen Grenzen ausgetestet. Quer durch Eberstadt fließt die Modau, entlang des Flüsschens führt die wunderschön restaurierte Modaupromenade. Am südwestlichen Stadtrand, südlich der Modau, liegt die knapp neun Hektar große Sanddüne am Ulvenberg, eine aus der Eiszeit stammende, 10.000 Jahre alte Flugsanddüne, seit 1991 als Naturschutzgebiet ausgewiesen und Naturspielplatz ohnegleichen.

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Foto: Jan Ehlers

Küche: 

Zwischen Wartehalle und Kirche findet man entlang der Heidelberger Landstraße eine abwechslungsreiche bis kultige Schlemmermeile. Im Sommer tummeln sich Schlangen vor dem Eiscafé Dolomiti, welches sich quasi am Nadelöhr der Straßenbahn angesiedelt hat. Absoluter Kult ist die Konditorei Heinz. Wer sich hier hereintraut und ein Kännchen Kaffee bestellt oder gar die Pralinensorte „Eberstädter Frankensteine“ erwirbt, kann sich eine (Zeit-) Reise in den Osten Deutschlands sparen. Auf der anderen Seite der Modaubrücke lässt es sich wunderbar im Klassiker „Kaffeehaus“ kuchenessend Zeitung lesen, und ein Stückchen weiter werden im „El Quinto Vino“ spanische Tapas auf hohem Niveau geboten. Sie erlauben es auch dem studentischen Portemonnaie, mal die neue Bekanntschaft zum Essen einzuladen. Richtig bierselig wird’s im „Antik Lokales“. Die Auswahl an Pizzagerichten ist quasi unendlich, die Qualität okay, die Gemütlichkeit innen und der feuchtbiotopische Biergarten außen bieten (Kneipen-)Romantik pur. Als kleiner bayerischer Fauxpas folgt die Einrichtung „Almhütte“ (ehemalige „Abfahrt“), vis-à-vis der Kirche: Hier tobt allabendlich der (Teddy-) Bär, hier sind die „Stubaier Schilehrer“ zu Gast, hier gibt‘s die 300-Kilogramm-Roulade, hier finden sich Promis wie Prinz Michael von Anhalt und Brigitte Nielsen ein und verspeisen gemeinsam die längste Fleischwurst aller Zeiten. Die echten Prominenten allerdings dinieren (und zieren die Wände) im „Stadt Heidelberg“, denn hier gibt‘s prompt und freundlich beste italienische Küche. Wem dies als Schlemmermeile noch nicht ausreicht, der folge der Straße weiter Richtung „Eberstadt Süd 3“ und finde dort im russisch dominierten Hochhausviertel kleine Läden mit leckeren Plinis und Piroggen.

Kirche: 

Neben den drei Kirchen sowie dem Kloster Kanaan steht hier die Kirchweih – im Dorfjargon kurz Kerb – im Vordergrund. Im weiteren Sinne umschreibt das dritte „K“ das kulturelle und kultige Leben des Stadtteils. Dank des Eberstädter Bürgervereins und seiner Geibel‘schen Schmiede hat Eberstadt ein Zentrum für festive Highlights wie die „Ewwerschter Kerb“ oder den Weihnachtsmarkt. Mit Wehmut denkt man an die heute fehlenden „Szenetreffs“ wie die in den Achtzigern schwerstens angesagte Kneipe „Fischlabor“ oder das Programmkino „Odeon“ an der Wartehalle. Dafür aber feiert man in Eberstadt noch Halloween auf der Burg Frankenstein und begrüßt den ein oder anderen Comedy-Act im Schwanensaal. Den coolen Cocktail am Abend aber gibt es hier nicht. Genauso viel Spaß bereitet jedoch der morgendliche Besuch der Backstube Schwind in der Heidelberger Straße 244 mit ihrer uralten, wunderschönen Holztheke (anno 1929).

Ein freundlicher Einkauf auf dem Marktplatz, das Stück Fleischwurst bei Metzger Bradtke für die Kleinen, der Kurzbesuch der gemütlichen Stadtbibliothek hinterm Rathaus, der informative Plausch mit einem netten Nachbarn beim samstäglichen Straßenkehren(das hier noch Pflicht ist), die zehnprozentigen-Einkaufsrabatte als Besitzer der „Ebercard“, all das ist angenehmer Alltag eines echten „Ewwerschters“ – und als Lebensqualität nicht zu unterschätzen. Wem das zu uncool ist, der downhille die „Rinne“ von der Burg Frankenstein hinunter und höre dabei auf seinem iPod Alter Ego (DJ Roman Flügel stammt übrigens auch aus Eberstadt), der decke sich anschließend ein bei Maruhn, dem größten Bier- und Mineralwassermarkt der Welt (ganz in der Nähe des auch vorhandenen Rotlichtviertels am Eberstädter Bahnhof). Und der setze sich mit Getränk ins saftige Grün an den Ufern der Modau, um sich über Darmstadts südlichsten Zipfel namens Eberstadt zu freuen.

www.eberstadt-online.de

www.eberstaedter-pinnwand.de