Foto: Tanja Heuser
Der OstbahnhofFoto: Tanja Heuser

Das Woogsviertel ist innerhalb seiner Grenzen Mathildenhöhe, Oberfeld, Heinrichstraße und Teichhausstraße/Nieder-Ramstädter-Straße ein ruhiges Quartier. Abseits des Pulsschlags von Martinsviertel oder City wohnt es sich hier generationenübergreifend im Grünen. Das Viertel besitzt hohen Erholungswert und verfügt über wichtige  Orte der Stadtgeschichte.

Als gebürtiger Woogsviertler gehe ich die Tour in Pacman-Manier. Los geht’s an der Pützerstraße/Ecke Erbacher Straße. Und schon stoße ich auf den ersten Spot: die 1893 vollendete Stiftskirche und das Elisabethenstift. Die Notaufnahme  des „Stift“ mag dem ein oder anderen nach Sport oder Partyunfällen bekannt sein. 1858 eingeweiht, besitzt das Elisabethenstift in fünf Kliniken (Innere Medizin, Allgemeinund Viszeralchirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Geriatrie sowie Psychiatrie/Psychotherapie) 393 Betten, weitere Fachabteilungen, ein „Ärztehaus“ mit medizinischem Versorgungszentrum, Arztpraxen verschiedener Fachrichtungen und ein ambulantes OP-Zentrum.

Die Erbacher  Straße gen Osten eröffnet zur Linken den Blick auf Villen und Gärten der Mathildenhöhe. An der Ecke zur Beckstraße ist mit dem „Ristorante Riviera“ – ein Italiener der ersten Stunde in Darmstadt- einer der seltenen gastronomischen  Highlights des Woogsviertels lokalisiert. Hügelabwärts blicke ich an der nächsten Kreuzung links auf die Darmstädter Jugendherberge sowie rechts zur Rudolf-Müller-Anlage („Kleiner Woog“) – als Entspannungsoase ideal für ein Nickerchen oder Picknick auf sattem Grün. Im Winter lädt ein kleiner Hang zum Rodeln ein sowie der Teich für die ersten Schritte auf Kufen.

Darmstadt „en Woog“

Nun zum Namenspatron des Quartiers: Der „Große Woog“ spielt nicht nur eine urbane Hauptrolle, sondern aktuell auch im Kinofilm „13 Semester“. Das Gewässer begann wohl als Staubecken für den Darmbach, bevor es 1567 zum landgräflichen Vergnügungspark, Fischteich und Feuerlöschteich wurde, ab circa 1820 dann zum Badesee. Der Naturbadesee teilt sich in die 1925 eingeweihte Insel samt Liegewiese – beide Sommernachts fast so populär wie am Tage – und Familienbad am Woogsdamm, die sogenannte „Weiße“: Vieles war hier zuvor weiß getüncht. 1927 geformt und 1935 um Betonstege und Sprungturm erweitert, ist das Bad seitdem hier relativ ursprünglich erhalten. Es empfiehlt sich aus juveniler Erfahrung, den See nicht in hellen Badeklamotten zu durchschwimmen- das grünbraune Wasser sorgt für peinliche Spuren. Schippern mit dem Ruderboot ist hier prima, im Winter ist ein dick zugefrorener Woog grandios  auf Kufen und mit Eishockeyschläger. Die Gaststätte auf der Woogsdammseite könnte im Herbst 2010 zur neuen In-Kneipe werden, konzeptionell und visuell aufgepeppt durch die erfahrenen, neuen Betreiber Kirsten Holletschek  und Rodrigo Opazo („Schwarz Weiss Café“).

Schön ist auch ein Gang um den Teich mit der Entdeckung des ältesten Sportvereins der Stadt, der TSG 1846 Darmstadt mit netter Grillhütte. Treppabwärts vom Woogsdamm auf die Beckstraße folgt das zweite italienische Gastro-Kleinod, das „Delfino“, mit seiner besonders im Spätfrühling und Sommer schönen Außenterrasse. Auffällig ist der architektonisch skurille Mix aus Altbauten, sozialem Wohnungsbau der 60er/70er Jahre sowie in Richtung Südosten die Einfamilien- und Zweifamilienhäuser mit Siedlungscharakter. Das alte Woogsviertel fiel dem Zweiten Weltkrieg weitestgehend zum Opfer, wie insgesamt 78 Prozent der Bausubstanz in Darmstadt. Die wenigen intakten Altbauten sind heute natürlich hoch begehrt, ob als Mietobjekt oder Eigentum.

Auf der Darmstraße westwärts geht’s zu den zwei Schulen des Viertels: Peter-Behrens-Schule und Darmstädter  Abendgymnasium. Dahinter öffnet sich der geschichtsträchtige Mercksplatz, ehemalige Heinerfest-Heimat des Hamelzeltes und von 1831 bis etwa 1904 der Ur-Sitz der Firma Merck. Am Rößdörfer Platz beginnt die Rößdörfer Straße, die Lebensader des Woogsviertels mit Einrichtungshaus, Kneipe, Gebrauchtwagenhändler, kleinen Supermärkten, Second-Hand-Laden, Werbeagentur (!), Waschsalon, Beauty-Spa  (!), Bäcker, Sparkasse, Sonnenstudio, Friseursalons, Optiker, Zeitungsund Tabakladen,  Metzgerei und türkischem Feinkost- und Gemüseladen sowie Apotheke und Drogerie. Versicherungsbüros machen das bunte Chaos komplett. Das Viertel bietet zudem Hilfe in Sachen  Gesundheit  – vom Homöopathen über den Physiotherapeuten bis zum Pflegeunternehmen. Das Woogsviertel besitzt exakt eine Döner-Anlaufstelle, an der Ecke Heinrich- und Nieder-Ramstädter Straße (schräg gegenüber  vom „Blumen“), einen Modelleisenbahnladen – und sogar einen klassischen Tante-Emma-Laden daneben.

Den Pausen-Kaffee gönne ich mir im „Café Lotte“ in der Soderstraße, Höhe Inselstraße. Ob Kuchen, kleine Speisen „Hausmacher Art“ und sonntags ein Frühstücksbüffet – der Ausflug lohnt sich schon für den Platz auf dem gemütlichen, alten Sofa. Ab und zu gibt’s abends Lesungen und zukünftig sollen weitere kleine kulturelle Programmpunkte hinzukommen – nicht ganz einfach, so mitten im Wohngebiet. Es zieht mich in den Wald hinter der Rollsportanlage: Dort führt eine kleine Brücke über den Darmbach, der durch den Botanischen Garten plätschert. Im Sommer ist es an dieser Stelle besonders schön, da sehr still und kühl wegen des Blätterdachs darüber. Als Kind fing ich hier Krebstierchen. Der Botanische Garten bietet viel für Geist und Seele: 1814 bekam Hofgärtner Johann August Schnittspahn den Auftrag zur Schaffung eines botanischen Freiraums, da der Schlossgraben mit dem Wasser des Darmbachs und Altstadtabwasser gefüllt war – geruchstechnisch wohl ein Super-GAU. Nach einigen Ortswechseln Nach einigen Ortswechseln kam der Garten um 1880 in das Woogsviertel und ist seit 1897 an die TU Darmstadt angegliedert, die in der angrenzenden Schnittspahnstraße einige naturwissenschaftliche Institute beherbergt.

Weiter geht’s Richtung Oberfeld, vorbei am „Judenteich“ – im 16. Jahrhundert ein landgräflicher Forellenteich und benannt nach dem Teichgräber Heinrich Judt – sowie am naturgeschützten Gelände des Aquarien- und Terrarienvereins Hottonia e.V. mit viel Feuchtraum, der einheimischen Amphibien und Reptilien Unterschlupf gibt. An der Erbacher Straße schwenke ich nach Westen und stoße auf eine wahre Perle: das Hofgut Oberfeld. Es ist werktags mit seinen Naturprodukten und dem Außen-Café (auch im Winter, da beheizt!) sowie sonntags ab 14 Uhr (hausgemachte Kuchen!) einen Besuch wert. Das Hofgut ist biologischer Bauernhof, therapeutische Einrichtung für Behinderte, Lernort und Event-Location  für Feste und Kultur zugleich. Ein nähere Beschreibung würde hier den Rahmen sprengen, daher der Verweis auf die Website www.oberfeld-darmstadt.de.

Last but not least geht es dann unterhalb der Rosenhöhe zum Ostbahnhof. Im spätklassizistischen Stil errichtet und 1869 eröffnet, ist der Bau heute nur noch ein Durchgangsbahnhof für die Odenwaldbahn. Das Empfangsgebäude ist ein Kulturdenkmal – wohl der Grund, weshalb vor einigen Jahren der Versuch, in einem Teil des „Ost“ (nach einigen legendären Partys) einen Club unterzubringen, scheiterte.

Foto: Tanja Heuser
Das Café LotteFoto: Tanja Heuser