buechner_final
Illustration: Hans-Jörg Brehm

In diesem Jahr jährt sich zum zweihundersten Mal der Geburtstag eines bedeutenden Heiners: Georg Büchner. Eine Gelegenheit, den Schriftsteller zu feiern und aus den verstaubten Bücherregalen zu holen, dachten sich auch die Macher des „Cage 100“-Festivals, die mit „Büchner 200“ an das letztjährige Konzept anküpfen wollen: Von Ende Juni bis Ende August wird sich der Vorplatz des Darmstädter Hauptbahnhofs wieder in einen kreativen, offenen Ort mit zahlreichen Veranstaltungen und vielfältigen Aktionen verwandeln.

Diese Idee wäre sicherlich auch im Sinne des Darmstädter Schriftstellers gewesen. Denn Büchner stritt zeit seines kurzen Lebens für die Möglichkeit aller Bürger, sich an gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen zu beteiligen. Vor allem in seiner politischen Schrift, dem „Hessischen Landboten“, klagte er die Herrschenden an, sie könnten das schöne Leben nur deshalb genießen, weil der Rest der Bevölkerung arbeite. „Krieg den Palästen! Friede den Hütten!“, lautete damals sein Schlachtruf. Büchner selbst wurde für diesen Aufruf als politischer Unruhestifter steckbrieflich gesucht, musste fliehen und starb 1837, gerade einmal 23 Jahre alt, im Schweizer Exil.

„Puppen sind wir.“

Um Aufrufe zu einem politischen Umsturz soll es bei „Büchner 200“ aber nicht gehen. Die Macher – allen voran die Centralstation, in Kooperation mit dem Staatstheater Darmstadt, der Hochschule Darmstadt und dem Verein Darmstädter Architektursommer – möchten vor allem auf die Aktualität von Büchners Gedanken aufmerksam und neugierig machen: „Es geht uns darum, die Stadt mit Büchner zu infizieren,“ umschreibt die Organisatorin des Festivals, Meike Heinigk, die Idee von „Büchner 200“. Das tut not. Denn in der Stadt, in der er den Großteil seines kurzen Lebens verbrachte (er lebte von 1816 bis 1831 in Darmstadt), kennt man ihn hauptsächlich als Namensgeber für Plätze, Schulen, Buchhandlungen und Preise.

Wer sich hingegen mit Büchners Werk beschäftigt, merkt schnell, dass es hierin eine Vielzahl an Themen gibt, die weiterhin spannend sind. „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“, sagt beispielsweise die Hauptfigur in seinem Theaterstück „Dantons Tod“, womit sie ein Gefühl beschreibt, das auch heute noch viele Menschen nachempfinden können. Sexualität, Wahnsinn und Verzweiflung sind Themen, die sich durch Büchners gesamtes Werk ziehen. Hundert Jahre vor Freud näherte er sich bereits auf künstlerische Weise den menschlichen Abgründen.

Büchner experimentierte aber auch mit unterschiedlichen Formen und Formaten. Er beschäftigte sich nicht nur mit Erzählungen und Theater, er versuchte sich auch an neuen grenzüberschreitenden Möglichkeiten der Darstellung. Ob Zitat, Collage, Montage oder Travestie: Büchner war seiner Zeit voraus und probierte alles aus. Dieser Aspekt soll sich im Programm des Festivals ebenfalls widerspiegeln, so Meike Heinigk: „Wir wollen unterschiedlichen Projekten eine Plattform bieten. Es wird Workshops geben, gemeinsames Chorsingen, Picknicken, Filmabende und Installationen.“

Die Welt mit Büchners Augen sehen

Dementsprechend heißt das Motto der Auftaktveranstaltung von „Büchner 200“ am Samstag, dem 29. Juni: „Wer ist Büchner?“. Geplant ist eine Demonstration für Georg Büchner. Im Anschluss an die Aufführung des Büchner-Stücks „Leonce und Lena“ im Schauspielhaus des Staatstheaters können sich Zuschauer, Büchner-Fans und Feierfreudige auf dem Georg-Büchner-Platz versammeln und das Festival einläuten. In einem Demonstrationszug geht es dann durch die Stadt Richtung Bahnhof. Ein Zwischenstopp am Exlibris-Haus in der Havelstraße ermöglicht einen Abstecher in das Atelier des Künstlers Willi Bucher. Neben der Installation „Aristotele’s Brain“ wird eine Performance mit Christian Wirmer zu sehen sein. Am Hauptbahnhof schließlich werden die „Büchner Box“ und die Festival-Bar „Königreich Popo“ mit einer „Langen Nacht mit Georg Büchner“ eingeweiht: Nach einer clownesken Darbietung der Regisseurin Ann Dargies und Clowns des Theaters Transit, musikalisch-poetischen Einlagen des Theaterlabors Darmstadt und der Band The Basstubation findet diese gegen 23 Uhr in einer „läd naid sürpries“ des Staatstheaters ihren Höhepunkt. Bei der anschließenden Party soll Büchner dann bis zum Morgengrauen tanzend gefeiert werden.

Lesen in der „Büchner Box“, Chillen im „Königreich Popo“

Während des Festivals steht die „Büchner Box“ mittags allen offen und soll durch Bücher, Zeitschriften und freien Internetzugang einen Ort bilden, an dem man sich informieren und so idealer Weise Büchners kritisches Denken fortsetzen kann. Meike Heinigk verbindet damit die Hoffnung, dass die dieser temporäre Veranstaltungsort zu einer Art „open workspace“ wird: „Es würde uns freuen, wenn sich die Menschen dort treffen, austauschen, informieren oder einfach nur lesen.“

Ein weiterer Anlaufort für Kulturgenießer ist der neugestaltete ehemalige Pavillon des Verkehrsamts (letztes Jahr „Cage & Cola“). In diesem Jahr firmiert die Bar mit angeschlossenem Garten unter dem Namen „Königreich Popo“ – eine Anspielung auf Darmstadt, die aus Büchners „Leonce und Lena“ stammt. Dort lassen sich warme Sommernächte und ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm genießen.

Schließlich sollen auch Bahnreisende wieder mit einem besonders prägnanten Zitat verabschiedet werden. „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“ aus Büchners „Dantons Tod“ prangt in diesem Jahr über dem Eingang zum Hauptbahnhofsgebäude und wird sicherlich für das eine oder andere Stirnrunzeln sorgen. Damit wäre dann ein Ziel des Festivals erreicht: Büchner nicht nur wiederzukäuen, sondern ihn als Anregung für Kritik, Nach- und Weiterdenken zu verstehen. In diesem Sinne: Alles Gute, Georg Büchner!

www.buechner200.de