„Das Besondere meines Konzepts ist, dass ich in jedem Menschen einen Künstler sehe, der sich verwirklichen sollte. Ich biete hier eine Chance dazu und den Raum – Raum im doppelten Sinn. Für mich gibt es nicht die kapitalistische Trennung: Verkäufer versus Konsument, Bühne versus Rampe, Kunstwerk versus Betrachter. Die Übergänge sind fließend.“

Das sind die Worte des E. A. Diroll, Inhaber des Teefachgeschäfts „Kukicha“ in der Mauerstraße 4. „Tee, Absinth, Antiquariat und ein Geheimtipp für Darmstadts Avantgarde“, so beschreibt er das „Kukicha“ in einem Satz – wobei es mehr als ein paar Worte bedarf, den Charakter dieses Ladens ausreichend einzufangen und wiederzugeben. Eher humoristisch wird er von einem Gast beschrieben, der sich an einem Samstagabend Absinth trinkend mit dem Barkeeper unterhält und anscheinend öfters hier ist: „Im Teeladen „Kukicha“ ist in der Tat fast alles käuflich, außer gutem Müsli – glaube ich“, sagt er lachend, während er einen „hinterhältigen Holunder“ bestellt.

Kukicha
Illustration: Silvia Wagner

Doch egal, wie man das „Kukicha“ (japanisch: kuki = der Stiel, kukicha = japanische Grünteesorte) zu beschreiben versucht: Ein Besuch des Ladens ist der Besuch einer anderen Welt, der Welt des E. A. Diroll. So kommt es, dass man hier außer Tee und Kaffee auch Absinth und Bücher sowie Schokolade, T-Shirts, Möbel und andere Spezialitäten und Kuriositäten erwerben kann. Diese Vielfältigkeit kommt allerdings nicht nur in den Angeboten zur Geltung, sondern lässt sich auch an zahlreichen unterschiedlichen Veranstaltungen beobachten.

Für jeden, der in die Welt des alten Japan im Jahre 1872 eintauchen möchte und dem Alltag den Rücken kehren will, gibt es traditionelle Teezeremonien und Japanabende, bei denen die fernöstliche Kultur realitätsnah nachempfunden wird. Hobbyphilosophen oder Profidenker können sich bei einer Tasse Tee oder einem Glas Rotwein in der Philosophierunde austauschen und interessanten Vorträgen lauschen. Autoren und Freizeitliteraten, Slam Poeten und Germanistikstudenten, Deutschlehrer und Kulturfreunde kommen jeden ersten Freitag im Monat auf ihre Kosten, wenn die Lesebühne „Lesen Macht Schön“ zum kleinen Forum wird. Hier darf ein jeder seine Gedichte, Geschichten und kreativen Ergüsse aus seiner Schublade kramen und bei entspannter Atmosphäre zum Besten geben – er kann sich aber auch einfach nur gemütlich zurücklehnen und den unterschiedlichsten Texten lauschen.

Weniger kulturell, jedoch ebenso einzigartig sind die Absinth-Degustationen an jedem ersten Samstag im Monat, bei denen Tee- und Absinthmeister Diroll persönlich bekannte sowie neue Absinthsorten und Coctailkreationen zur Verkostung ausschänkt. Begleitet wird die Degustation von ungezwungenem, geselligem Beisammensein, versteht sich. Denn das Motto des E. A. Diroll beruht auf folgendem Gedicht eines unbekannten Zen-Meisters:

„Ständig zu leben
und nicht zu vergehen wie Tau
und nicht zu verwehen wie Rauch –
ließe nicht dieses wehmütige Gefühl aufkommen,
dass in der Unbeständigkeit alles Irdischen liegt.
Doch erst die Wandelbarkeit
macht uns die Schönheit
unserer Welt deutlich.“

 

[Leider musste das Kukicha mittlerweile schließen, Anm. d. Red.]